Durchblicke, Aufsichten, Reflexionen – Veronika Kellndorfer und die Neue Nationalgalerie
Lesezeit 7 Minuten
Die Künstlerin Veronika Kellndorfer zeigt unter dem Titel
„Screens an Sieves“ fotografische Arbeiten zur Neuen Nationalgalerie.
Joachim Jäger im Gespräch mit der Künstlerin über ihre Ausstellung im
Mies van der Rohe-Haus in Berlin-Hohenschönhausen.
Interview: Joachim Jäger
Die
feine, sorgfältig von Dir zusammen gestellte Ausstellung „Screens and
Sieves“ versammelt ganz verschiedene Arbeiten zur Neuen Nationalgalerie,
darunter auch die große Arbeit „Shortly before Renovation“. Alle
Arbeiten basieren auf Fotografien, die 2015 kurz nach der Schließung der
Neuen Nationalgalerie entstanden sind. Wie war das Fotografieren im
damals bereits leeren Haus?
Veronika Kellndorfer:
Es war ein besonderer Moment, Du hattest mich eingeladen, zu kommen –
das Gebäude war noch vollkommen intakt, aber bereits übergeben an die
Chipperfield Architekten, kurz bevor die eigentlichen
Renovierungsarbeiten begannen. Die Nationalgalerie leer, ohne Kunst,
aber mit all diesen Zeitspuren, den Flecken auf den Rahmen der Fenster,
den gesprungenen Scheiben bis hin zu einem großen Kondenswasserfleck,
der später in eine meiner Arbeiten eingegangen ist. Durch die Schließung
gab es diese Brisanz des Unwiederbringlichen. Diese große ungenutzte
Halle, das war sehr speziell. Ab und zu haben sich die Leute von außen
die Nasen platt gedrückt. Dann habe ich gewartet, bis sie wieder weg
waren. Die Verlassenheit verstärkte die Monumentalität noch mal enorm.
Ein besonderes Erlebnis erinnere ich, als ich am Boden lag und auf diese
schwere Decke schaute und auf einmal das Japanische des Hauses
entdeckte, eine gewisse Umkehrbarkeit des Raumes, genau wie Roland
Barthes das im „Reich der Zeichen“ beschreibt, dass der Boden – wenn man
die Nationalgalerie umdrehen würde – auch die Decke sein könnte. Das
hat auch meinen wochenlangen Destillationsprozess, ich weiß nicht von
wie vielen Fotos über das Haus, stark beeinflusst.
Wie viele künstlerische Arbeiten sind aus den Fotos von der leeren Nationalgalerie konkret entstanden?
Noch im selben Jahr 2015 erhielt ich die Einladung zur
Architektur-Biennale nach Chicago. Sharon Johnston und Mark Lee
kuratierten die 2017er Ausgabe unter dem Titel „Make New History“. Mark
war begeistert von der Idee, die Nationalgalerie nach Chicago zu
transferieren. So sind für die Biennale drei mehrteilige Arbeiten
entstanden. Und dann noch mal eine zweiteilige, grüne Arbeit mit völlig
verrückten Verschiebungen von Spiegelungen, von Konvex und Konkav. Also
das Wahnsinnige ist ja immer, wie Innenraum und Außenraum in der
Spiegelung sich wie ein Puzzle neu zusammensetzen.
Aus
einem Kontingent von sieben-acht Arbeiten, die es heute zu dem
Themenkreis gibt, hast du nun für die Ausstellung im Mies-Haus drei
große Arbeiten ausgewählt, allesamt fotografische Arbeiten auf Glas. Du
arbeitest ja seit langem auf Glas, weil Dich diese Spiegelungen
interessieren, weil Glas, besonders wenn es so großformatig daherkommt
wie in Deinen Arbeiten, selber etwas Architektonisches hat. Welche
Auswirkungen hatte das bei Deiner Beschäftigung mit der Neuen
Nationalgalerie – immerhin ja selbst ein Bau, bei dem großformatige
Gläser eine zentrale Rolle spielen?
Die Neue
Nationalgalerie ist prädestiniert dafür als „Bild“ ins Glas einzugehen,
weil sich ganz viele Themen meiner Arbeiten bereits im Bau zeigen,
Durchblicke, Aufsichten, Reflexionen aller Art. Der Transfer dieser
Schichten auf einen Träger, der selbst wieder spiegelt, holt eine
weitere Schicht ins „Bild“. Die fertige Arbeit reflektiert ja auch den
Ausstellungsraum, in dem meine Arbeiten gezeigt werden. Der reale Raum
ist in meinen Glasarbeiten immer präsent. Glas ist sozusagen eine
Fortsetzung der Dialektik, von Transparenz und Spiegelung, die bei Mies
so wichtig ist. Es geht mir um dieses prozessuale, ja transformatorische
Potential des Mediums Glas, nicht um Repräsentation. Mir ist wichtig,
dass ich darin immer eine Gegenwart einfange, die mit realem Leben, mit
Prozessen zu tun hat. Dieses physische Erlebnis, das man hat, wenn man
vor der Architektur steht, wird in den Arbeiten noch mal erfahrbar
gemacht, man ist nicht nur Betrachter, man wird selbst Teil der Arbeit.
Zugleich
stoßen Gegenwart und eine seltsam unbestimmte Vergangenheit in Deinen
Werken aufeinander. Besonders gut ablesbar an der Arbeit „Shortly Before
Renovation“. So wie sie hier im Mies van der Rohe-Haus an der Wand
lehnt, spiegelt sich in ihr die ganze von Dir beschriebene Umgebung, die
Fensterfassade und der Garten. Aber zugleich hat die Aufnahme eine
atmosphärische Stimmung, die sich schwer einordnen lässt, mich stark an
die Architekturfotografie der 1980er Jahre erinnert. Schwarzweiß, sehr
grafisch angelegt, lebt das Bild stark von Strukturen und dem Blick auf
die Spuren der Zeit und des Gebrauchs. Den großen Kondensfleck hattest
Du selbst schon erwähnt – er ist ja irgendwie typisch für den Bau, für
die langen Berliner Winter, in denen alles etwas trauriger aussieht. Der
Fleck verleiht dem eigentlich so klaren Bau einen Schleier. Zugleich
hat er auch etwas von einem nicht greifbaren „Geist“, der in den Dingen
wohnt. Du hast einmal gesagt, eigentlich wärst du „eine Malerin, die
mit Fotografie arbeitet“. Zu diesen malerischen Mitteln gehört
natürlich auch, dass die Fotografie von Dir in mehrteilige Glastafeln
übersetzt wird. Auffällig gerade an der Arbeit „Shortly Before
Renovation“ ist, dass diese Bild-Teilungen sowohl auffällig als auch
unauffällig sind. Die Schnittlinien trennen nicht wirklich das
Gesamtbild. Sie fungieren eher als bewusste Störungen des Sehens. So
scheint mir tatsächlich Dein eigentliches Thema das „Fließen des Raumes“
zu sein. Gerade der bei der Neuen Nationalgalerie so fließende Raum der
Architektur bleibt auch in Deinen Arbeiten weiterhin offen, ergibt
gerade mit den Glasreflexionen wieder einen fließenden Raum, nun mit
ganz anderen Themen und Aufladungen.
Das ist ein ganz
wichtiger Aspekt, den du gerade ansprichst, dass meine Arbeiten von der
Fotografie wieder in etwas Malerisches überführt werden. Der zentrale
Punkt von Malerei ist die Bannung des Raumes in die Fläche. Fotografie
stellt dies quasi automatisch her. Aber durch den Druck einer Fotografie
auf Glas findet sozusagen auf der Materialebene noch ein weiterer
Verdichtungsprozess statt, eine Reduktion. Diese riesige Halle wird auf
durchsichtige Scheiben gedruckt, und dahinter siehst du dann die Wand,
den Putz. Das Auge hat die Möglichkeit hin und her zu stellen, zwischen
dem Objekt, der Glasscheibe und dem Dahinter, der Wand sowie der
Spiegelung, die gleichzeitig auch noch auf dem Glas stattfindet.
Bei
der Neuen Nationalgalerie fokussierst du wiederum so stark auf die
Glasschicht des Gebäudes, dass hier mehrere Ansichten zusammenkommen,
die man mit dem Auge nur nacheinander wahrnehmen könnte. Denn das
menschliche Auge muss sich eher entscheiden, welche Ebene gerade zu
sehen sein soll. Oft blenden wir Reflexionen gerade aus, um durch ein
Glas beispielsweise hindurch in den Innenraum sehen zu können. Bei Dir
ist nichts ausgeblendet, im Gegenteil, sogar der Ausstellungsort selbst
wird mit ins Bild gespiegelt. Hier im Mies van der Rohe-Haus in
Weissensee ist dies natürlich besonders anspielungsreich, weil damit ein
anderer Mies van der Rohe in den Blick gerät, nämlich der Mies der
1930er Jahre. Die viel kleineren Proportionen, der rote Ziegel, und die
Idee eines privaten Hofhauses kollidiert hier mit der monumentalen und
„amerikanischen“ Nachkriegsmoderne, für die die Neue Nationalgalerie
steht.
Genau darum geht es, um diese Überlagerungen,
von einer Architektur mit der anderen – fast eine fotografische
Überblendung, in der sich die Raster beider Häuser überlagern. Raster
ist ja ein zentraler Begriff in der Malerei, „grid structures“, der mir
wichtig ist. Meine Arbeiten erzählen zwar eine Geschichte, wie diese
organische Form auf der Scheibe, dieser Schwitzwasserfleck, den dann ein
herunter rinnender Wassertropfen zerschneidet. Aber letztlich nehme ich
das Narrativ nur in Kauf. Mir geht es eher um formale Dinge wie die
Figur-Grund-Beziehung oder die Bannung vom Raum in die Fläche. Malerei
ist ja immer eine Projektion – also eine Rück-Projektion von etwas
Dreidimensionalem in die Fläche. Das unterscheidet mich eben dann doch
von einer Fotografin. Und darum sind die Arbeiten auch in so einer Art
Zwischenbereich angesiedelt.
Veronika Kellndorfer. Screens and Sieves. Bis 20.12.2020. Mies van der Rohe-Haus, Berlin Hohenschönhausen, www.miesvanderrohehaus.de
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