Ein Anstrich zu viel – Skulpturenrestaurierung in der Friedrichswerderschen Kirche
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Zur Wiedereröffnung der Friedrichswerderschen Kirche werden
auch zahlreiche dort beheimatete Kunstwerke restauriert. Ein marmornes
Standbild des Archäologie-Pioniers Johann Joachim Winckelmann stellte
die Restauratorin Anna von Graevenitz vor besondere Herausforderungen.
Text: Anna von Graevenitz
Am
27.10.2020 eröffnet die Friedrichswerdersche Kirche nach längerer
Sanierung wieder. Neben dem Gebäude werden auch zahlreiche Kunstwerke
die Besucher*innen in neuer Frische begrüßen – unter ihnen ein Standbild
des Archäologie-Pioniers Johann Joachim Winckelmann (1717–1768).
Nachdem bereits die Standbilder der Bildhauer Christian Daniel Rauch und Johann Gottfried Schadow und des Architekten Karl Friedrich Schinkel restauriert wurden, ermöglichte eine großzügige Förderung der Ernst von
Siemens Kunststiftung, dass auch das Standbild Winckelmanns in den
letzten Monaten restauriert werden konnte. Das Quartett wird zukünftig
wieder die Eckpfeiler der Ausstellung in der Friedrichswerderschen
Kirche bilden.
Spuren älterer
Restaurierungsversuche haben das Erscheinungsbild der Skulptur
Winckelmanns deutlich beeinträchtigt. Vor allem ein Anstrich der
gesamten Skulptur verfälschte den Oberflächeneindruck, indem er die
Spuren der Objektgeschichte verdeckte. Darüber hinaus waren beide Hände
der Skulptur in den 1960er-Jahren ergänzt worden. Sowohl die damalige
Modellierung als auch das einst verwendete Kunstharz machte eine
Überarbeitung notwendig.
Das Standbild Winckelmanns wurde von
Ludwig Wilhelm Wichmann zwischen 1848 und 1850 für die Vorhalle des
Alten Museums geschaffen. Es stand über 80 Jahre im Außenbereich und
diese Aufstellung hat am Marmor deutliche Spuren hinterlassen. Auch die
darauf folgende Einlagerung in den Kellern des Pergamonmuseums und in
Verschlägen unterhalb der Treppen des Alten Museums haben die
Kristallstruktur teilweise gelockert und zu einer Aufrauung und
Verschmutzung und damit Vergrauung der Marmoroberfläche geführt.
Bei
der Restaurierung am Ende der 1960er-Jahre konnte insbesondere
letzteres Phänomen nicht auf ein zufriedenstellendes Maß reduziert
werden, so dass die Oberfläche der Skulptur abschließend mit einem
lasierenden Anstrich versehen wurde. Dieser diente erfolgreich der
Substanzfestigung und deckte zusätzlich mit Hilfe der zugegebenen
Weißpigmente aus Titan verbliebene Verdunkelungen ab. Leider brachte er
aber auch einen starken Glanz mit sich, welcher die ursprünglich raue
Marmoroberfläche verdeckte und damit einen verfälschten Materialeindruck
hinterließ. Besonders störend waren die Reflexionen im Gesicht des
Dargestellten. Unregelmäßige Laufspuren des Anstrichs verunstalteten
überdies das ästhetische Erscheinungsbild der Skulptur.
Ein
jahrelanger Einfluss von Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen führt
bei Skulpturen aus Marmor zunächst zum Verlust der fragilen, frei
stehenden Partien. Es ist also davon auszugehen, dass die Finger beider
Hände des Standbildes bereits zum Zeitpunkt der voran gegangenen
Restaurierung nicht mehr vorhanden oder das Materialgefüge zu locker
gewesen sind. Sie wurden damals neu modelliert, aus Kunstharz gegossen
und dann mit Metallstiften an den Handteller aus Marmor angesetzt.
Risse, Brüche, Abplatzungen
Insbesondere
links war der Witterungseinfluss besonders stark, so dass sich an der
Oberfläche zahlreiche feine Risse gebildet haben, in denen sich Schmutz
ablagerte. Dies führte zu einer starken Verdunkelung der linken Seite
des Haarschopfes, des linken Armes und der Hand, der Doppelherme, der
drapierten Falten des Umhanges sowie seines linken Schuhs. Außerdem gab
es an der gesamten Skulptur zahlreiche kleinere Abplatzungen und
Fehlstellen. Sie wurden bereits früher mit unterschiedlichen
Kunststoffen ergänzt und aufgefüllt. Da es in den meisten Bereichen zur
Anwendung mehrerer verschiedener Materialien an einer Stelle kam, kann
vermutet werden, dass das Standbild mehr als eine Restaurierungsphase
erfahren hat. Nach der letzten Restaurierung haben sich die Materialien
teilweise farblich verändert und sind spröde geworden. Sie unterschieden
sich dadurch stark von der Originaloberfläche und prägten unschön das
Bild der Skulptur. Der umlaufende Bruch entlang des Halses weist auf
eine einst massive Beschädigung hin, bei der auch die Nase bestoßen
wurde sowie großflächige Abplatzungen am Kinn und an den Augenbrauen und
Wangen sowie Haaren erfolgt waren.
Die
meisten der beschriebenen Schadensbilder waren zu Beginn der
Restaurierung jedoch noch nicht erkennbar, da sie unter dem Anstrich
nicht auszumachen waren. Aufnahmen unter UV-Licht sollten dazu erste
Anhaltspunkte liefern, da die verwendeten Materialien unterschiedlich
fluoreszieren und sich dadurch voneinander abzeichnen.
Der
entscheidende erste Schritt bestand deshalb darin, eine Möglichkeit zu
finden, den gesamten Anstrich abzunehmen. Da die Zusammensetzung
desselben nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, musste auf
empirischem Weg eine Methode gefunden werden. Es wurden zahlreiche
Testreihen mit verschiedenen Lösungsmitteln und Lösungsmittelgemischen
angefertigt. Das Ausbleiben eines Reinigungserfolges brachte schnell die
Erkenntnis, dass mit Kompressen und Gelen gearbeitet werden muss, um
die Einwirkzeit zu erhöhen. Das Lösungsmittel wird dabei in ein
Trägermaterial eingearbeitet und für eine bestimmte Einwirkzeit auf der
Oberfläche belassen. Die zahlreichen Variablen bei den Versuchsreihen
wie die Auswahl und Konzentration des Lösungsmittels, die Auswahl des
Trägermaterials und die Variation der Einwirkzeit und die wahlweise
Abdeckung der Kompresse mit Folie, um den Trocknungsprozess zu steuern,
machen deutlich, dass die Lösungsfindung ein langer Prozess war. Gute
Ergebnisse brachte ein Gemisch aus Aceton und Ethanol, welches unter
eine feucht haltende Kompresse gegeben wurde. Der Anstrich konnte dann
nach einer Einwirkzeit von 2 bis 3 Tagen mit Schwämmen und Bürsten
weitgehend entfernt werden.
Jedoch
stellen vor allem die Bereiche der Risse eine Herausforderung dar, da
die Pigmente in die feinen Vertiefungen eingedrungen waren und sich dort
bei einem ersten Reinigungsvorgang nicht entfernen ließen. Zudem wurde
während dieser Maßnahme deutlich, dass während der letzten Restaurierung
die verschieden geschädigten und verschmutzten Bereiche der Skulptur
unterschiedlich behandelt worden waren. Eine Reinigung mit
unterschiedlichen Mitteln oder eine partielle Festigung der Substanz
haben dazu geführt, dass die Haftung des Anstriches sehr unterschiedlich
ausgeprägt war.
Um die
Verschmutzung der Marmoroberfläche zu reduzieren, welche seit der
letzten Restaurierung unter dem Anstrich konserviert war, wurde das
gesamte Standbild in mehreren Zyklen mit Heißdampf und niedrigem Druck
gereinigt. Der milde Reinigungserfolg wurde durch die Anwendung weiterer
Kompressen und Gele verstärkt. Das mit Verdickungsmittel versetzte
Wasser wird dabei als Gel auf die Oberfläche aufgetragen. Während des
Trockenprozesses bindet es die Schmutzpartikel an sich und löst sie von
der Oberfläche ab. Nach dem vollständigen Trocknen, lassen sich die
gebildeten Krusten mit Pinseln von der Oberfläche abnehmen. Besonders
dunkel verschmutzte Bereiche wurden mehrmals mit Wasserdampf, Gel und
Kompressen behandelt, um eine Aufhellung zu erzielen.
Diesen
Reinigungsprozessen folgte das Austauschen der alten
Ergänzungsmaterialien. Eine besondere Herausforderung stellten dabei die
plastischen Bereiche dar. Erst nach der vollständigen Entfernung des
Anstriches und Abnahme der Kittungen und Ergänzungen war das gesamte
Ausmaß des Substanzverlustes bei den Fingern der linken Hand samt Torso
erkennbar. Diese Freilegung hat alleine vier Tage in Anspruch genommen.
Glücklicherweise ist hier der kleine Finger im Original erhalten. Er
konnte in Größe und Ausbildung der Details als Orientierung für die
Modelle der fehlenden neun Finger dienen. Diese wurden von dem Bildhauer
Andreas Klein zunächst in Gips modelliert und anschließend in Marmor
umgesetzt. Für die Formgebung des Torsos in Winckelmanns Hand fehlte es
jedoch an Bildmaterial, welches den Originalzustand in ausreichender
Detailliertheit zeigt. Einziger Anhaltspunkt ist die erhaltene untere
Hälfte des Torsos. Das gesamte bildhauerische Konzept der Skulptur lenkt
das Augenmerk des Betrachters auf den Inhalt der erhobenen linken Hand.
Eine Ergänzung war daher trotz mangelnder Belege unabdingbar. Nach
einer ausführlichen Recherche und dem Hinzuziehen der Meinungen und
Hilfe verschiedener Experten wurde entschieden, einen Torso der Berliner
Antikensammlung mit vergleichbarer Beinstellung, als Vorbild für das
Modell zu nutzen.
Für die fehlende Nasenspitze Winckelmanns
habe ich mit dem Standbild in seiner Geburtsstadt Stendal ein sehr gutes
Vorbild für die Formgebung gefunden. Die Bronzestatue stammt ebenfalls
von Ludwig Wilhelm Wichmann. Er fertigte ihr Modell nur zwei Jahre vor
dem Modell des Standbildes für die Vorhalle an. Zahlreiche detaillierte
Fotografien halfen bei der exakten Modellierung der Nase.
Ergebnis
der Restaurierung ist die Freilegung der Originaloberfläche. Der Marmor
erhält seine eigene Ausstrahlung zurück und lässt neben den Spuren der
Objektgeschichte auch die Werkzeugspuren des Bildhauers wieder erkennen.
Darüber hinaus konnten sogar Verdunkelungen durch Verschmutzung der
Jahrzehnte vor der Restaurierung zum Ende der 1960er-Jahre reduziert
werden. Mit dem Austausch der Ergänzungsmaterialien, vor allem der
Ergänzungen der plastischen Bereiche in Marmor, konnte ein einheitliches
Gesamtbild geschaffen werden.
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