Von Dürer bis Dior: Restaurierung bei den Staatlichen Museen zu Berlin
Lesezeit 8 Minuten
Die Restaurator*innen der Staatlichen Museen zu Berlin
arbeiten täglich mit Objekten aus den unterschiedlichsten Materialien:
von Papier über Textil bis zu Stein. Oft müssen sie dabei improvisieren
und auf Tricks zurückgreifen. Anlässlich des 3. Europäischen Tags der
Restaurierung am 11.10.2020 haben wir den Fachleuten bei einigen
Restaurierungen über die Schulter geschaut.
Texte: Karolin Korthase und Sven Stienen
Dürers
Lieblingskneipe: Neueste Bildanalysetechnologien halfen den
Restaurator*innen am Kupferstichkabinett, eine überklebte Zeichnung des
Renaissancemalers Albrecht Dürer sichtbar zu machen
Albrecht
Dürer entsprach nicht dem modernen Klischee vom chaotischen
Künstlergenie. Der Nürnberger Meister war gewissenhaft und
geschäftstüchtig, wie seine Aufzeichnungen beweisen. Zu einem Porträt
des dänischen Königs Christian II. notierte Dürer 1521: „(…) ich hab
dem könig von öhlfarben conterfett, der hat mir 30 gulden geschenckt.“
Während eines Aufenthalts in Aachen im Jahr zuvor hielt er fest: „Jch
hab Paulus Topler und Merten Pfinczig jn mein büchlein conterfet.“ Mit
„büchlein“ meinte Dürer sein Skizzenbuch, das rund 30
Silberstiftzeichnungen auf 16 Seiten enthielt.
Die erwähnte
Abbildung der Patrizier Paul Topler und Martin Pfinzing ist auf einem
von vier Blättern aus dem Büchlein erhalten, die sich heute im
Kupferstichkabinett befinden. Chefrestaurator Georg Josef Dietz erzählt:
„Seit 1984 ist bekannt, dass sich auf der Rückseite des Blattes eine
weitere, überklebte Zeichnung befindet. Wann und warum sie überklebt
wurde, wissen wir aber nicht.“ Mit Hilfe neuester Technologie – der so
genannten multispektralen Bildgebung – wurden nun 14 Aufnahmen des Werks
gemacht, die unterschiedliche Spektren wiedergeben. „Auf jeder
Abbildung ist etwas anderes zu sehen“, so Dietz. Digital wurden die
einzelnen Aufnahmen anschließend übereinandergeblendet.
Das Bild,
das sich dabei herausgebildet hat, ist aber alles andere als eindeutig.
„Vage zu erkennen ist ein Innenraum mit einem Kamin, einer Türe und
einem Fenster; auch das berühmte Dürer- Monogramm lässt sich an einer
Stelle vermuten“, berichtet der Restaurator. Vielleicht handelt es sich
bei dem Motiv um eine Darstellung des Gasthauses „Spiegel“ in Aachen?
Diese These stammt von Christof Metzger, dem Chefkurator der Albertina
in Wien. Georg Josef Dietz hatte ihn im Zuge der Bildanalyse
kontaktiert. Dass Dürer gerne zockte, ist hinlänglich belegt. In seinen
Tagebuchaufzeichnungen ist z.B. vermerkt: „Ich hab 5 Weißpfennig mit den
Gesellen vertrunken und verbadet.“ Oder auch: „Ich habe 7 Stüber mit
Herrn Hans Ebner im ‚Spiegel‘ verspielt.“ Da Dürer die Vorderseite des
Skizzenblattes nachweislich in Aachen bezeichnet hatte, ist es durchaus
denkbar, dass die Rückseite eine Innenansicht des Aachener Gasthauses
zeigt, in dem sich Dürer gerne aufhielt. Komplett freilegen lässt sich
die Rückseite leider nicht. Im Zuge früherer Ablösungsversuche,
möglicherweise um 1900, wurden Teile der Zeichnung zerstört. Dass sich
digital überhaupt so viel von der Skizze rekonstruieren ließ, ist aus
restauratorischer Perspektive ein Erfolg – schließlich wurde so
unverhofft ein ganz „neues“ Dürer-Werk entdeckt.
Schadows
Herzensprojekt: Johann Gottfried Schadow war preußischer Hofbildhauer
und schuf ikonische Werke wie die Prinzessinnengruppe, deren Gipsmodell
nun wieder in seinen Originalzustand gebracht wird
Johann Gottfried Schadow war einer der
wichtigsten Bildhauer des preußischen Klassizismus. Neben der Quadriga
auf dem Brandenburger Tor schuf er die berühmte „Prinzessinnengruppe“
mit Kronprinzessin Luise und ihrer Schwester Friederike. Doch die Arbeit
entstand nicht als Auftrag, sondern entsprang einem Herzenswunsch
Schadows. „Er hat zwei Jahre an diesem Projekt gearbeitet“, weiß
Alexandra Czarnecki, die Skulpturenrestauratorin der Alten
Nationalgalerie. Von der ersten Idee über Detailstudien und einem
Gipsmodell bis hin zur Marmorskulptur hat der königliche Bildhauer die
Prinzessinnengruppe aus eigenem Antrieb entwickelt, als Hommage an die
Damen der Königsfamilie.
Das gipserne Originalmodell der
Prinzessinnen steht derzeit in Czarneckis Werkstatt. „Schadow hat daran
eigenhändig gearbeitet, während die Marmorskulptur von seiner Werkstatt
ausgeführt wurde und von ihm nur den finalen Schliff erhielt“, erzählt
die Restauratorin. Die Arbeitsspuren lassen sich am Original sehr gut
nachvollziehen. Dass die Gipsplastik aus dem Jahr 1795 restauriert
werden kann, hängt mit zwei Zufällen zusammen. Zum einen musste die
Friedrichswerdersche Kirche, in der die Skulptur bis 2012 stand, wegen
Statikproblemen geschlossen werden; zum anderen ist die technische
Entwicklung heute erst so weit, dass man die äußerst schwierige
Gipsrestaurierung überhaupt in Angriff nehmen kann, wie die
Restauratorin erklärt: „Das Originalmodell galt lange als
unrestaurierbar. Gips ist offenporös und sehr empfindlich, Methoden wie
mechanische Reibung oder der Einsatz von Wasser schließen sich aus.“
So
hatte man im frühen 20. Jahrhundert die Skulptur mit Farbe
überstrichen, um den Schmutz der Jahrzehnte zu überdecken. „Nach
Untersuchungen mit UV-Licht konnten wir zwei Übermalungen und zahlreiche
Retuschen feststellen“, erläutert Czarnecki. Nun müssen sie und ihre
Kolleg*innen sich rückwärts vorarbeiten, um sich dem ursprünglichen
Zustand wieder anzunähern. „Wir nehmen die beiden Farbschichten mit in
Lösungsmittel getränkten Papierfliesen nacheinander ab und werden dann
die Verschmutzung mit einem Laser reduzieren.“ Die Alte Nationalgalerie
plant für 2022 eine Ausstellung zu Schadow, in der die beiden Originale
aus Marmor und Gips gemeinsam präsentiert werden. Anschließend kehrt der
Gips in die wiedereröffnete Friedrichswerdersche Kirche zurück.
Spieglein,
Spieglein: Vor mehr als 2.200 Jahren fertigten griechische Handwerker
mit viel Geschick wunderschöne Klappspiegel. In der Antikensammlung wird
momentan ein stark beschädigter Spiegel restauriert
Es
braucht einiges an Fantasie, um in den fragilen Figuren auf dem Deckel
des antiken Bronzeklappspiegels einen Satyr und ein ihm gegenüber
sitzendes Mädchen auszumachen. Ein Teil des Mädchenkörpers ist zerstört,
vom Kopf des Satyrs, der in der griechischen Mythologie als Begleiter
des Weingottes Dionysos auftritt, sind nur Schemen zu erahnen. Wie der
antike Spiegel mit der Inventurnummer 30219, 911 vor seiner Zerstörung
während und nach dem Zweiten Weltkrieg aussah, belegen Fotografien von
1921 und 1957.
Uwe Peltz, Restaurator in der Antikensammlung,
erzählt: „Zum Glück liegen uns hochauflösende Glasnegative vor, die das
Objekt eins zu eins abbilden. Da sieht man jedes Detail, qualitativ kann
im Vergleich dazu jede digitale Technik einpacken.“ Anhand dieser
Fotografien versuchen Peltz und die Restaurierungspraktikantin Tatiana
Marchenko die Deckelfiguren wieder originalgetreu zu rekonstruieren. Wie
bei einem Puzzle müssen die zig zersplitterten Relieffragmente
zusammengefügt werden. Besonders viel Fingerspitzengefühl verlangt der
Umgang mit den heute fehlenden Bereichen. Restauratorisch bieten sich
zwei Optionen an, wie der Experte erläutert: „Entweder zeigt man den
fragmentarischen Zustand oder ergänzt Fehlstellen mit faserarmiertem
Kunststoff, der wahlweise noch farblich retuschiert werden kann, um den
Unterschied zum Original auszugleichen.“
Dies verweist auf eine
Fragestellung, mit der sich alle Restaurator*innen beschäftigen: Wie
stark rekonstruiert man ein Objekt und wie viele historische Spuren –
auch Schäden – bewahrt man als Teil seiner Geschichte? Seit 1912 gehört
der Spiegel, dessen Entstehungszeitraum auf das dritte Viertel des 3.
Jh. v. Chr. datiert wird, zum Bestand der Antikensammlung. Fritz von
Gans, ein Frankfurter Industrieller und Kunstsammler, hatte den
Königlichen Museen in Berlin damals seine umfangreiche Sammlung als
Schenkung vermacht. Uwe Peltz fasziniert an dem Objekt vor allem das
Wechselspiel zwischen Technik und Ästhetik: „Als gelernter
Werkzeugmacher habe ich allerhöchsten Respekt vor dem Geschick des
damaligen Handwerkers an der Drehbank.“ Dem stimmt Tatiana Marchenko als
vorgebildete Technologin voll und ganz zu.
Zwischen
Aufbruch und Tradition: 2019 erwarb das Kunstgewerbemuseum ein fast 70
Jahre altes Abendkleid aus dem Hause Dior. Derzeit wird das kunstvoll
verzierte Modestück restauriert
Eine
schmale Taille, üppige Hüften und ein aufreizendes Dekolleté: Das ist
das Schönheitsideal der 1950er Jahre. Der französische Modeschöpfer
Christian Dior entwarf Kleider, die nach den zehrenden und aus modischer
Sicht eher pragmatischen Jahren der Nachkriegszeit die Weiblichkeit
feierten und einen fast schon nostalgischen Blick offenbarten. Für
diesen sogenannten „New Look“ – so nannte Carmel Snow, die
Chefredakteurin von „Harper’s Bazaar“, Diors Kreationen – wurde der
Designer nicht nur gefeiert, sondern auch scharf kritisiert. Zu
rückständig erschien manchen das Frauenbild, das er mit seinen langen
Röcken und den zusammengepressten Taillen vermittelte.
Im
Kunstgewerbemuseum wird derzeit ein Kleid aus Diors
Herbst-/Winterkollektion 1951 restauriert, das seit 2019 zum
Sammlungsbestand des Hauses gehört. „Es handelt sich um das Abendkleid
‚Mexique‘ mit einem eng anliegenden, schulterfreien Oberteil und einem
bodenlangen Tüllrock in Glockenform“, erzählt die Textilrestauratorin
Gabriella Gaal. Das Besondere an dem Kleid ist, neben den kunstvoll
aufgestickten Pailletten und Glasperlen, das Material: Der Tüll ist,
typisch für Dior-Mode aus den 1950er Jahren, aus modifizierter
Zellulosefaser gefertigt. „Generell ist das Kleid in einem guten
Zustand“, stellt Gaal fest. Probleme machen der Restauratorin vor allem
mehrere kleinere und größere Löcher im Tüllstoff: „Es ist ein
doppellagiger Stoff. Bei den kleineren Löchern ist es möglich, die
Tüllstruktur zusammenzufügen, bei den größeren, die etwa zwei Zentimeter
Durchmesser umfassen, plane ich, mit Intarsien zu arbeiten und zu
versuchen, den Originalstoff nachzuempfinden.“
Zu den Aufgaben der
Restauratorin gehört außerdem die Anfertigung einer Figurine, die
passgenau unter dem Kleid sitzen muss. Mithilfe von Schaumstoff kann die
von Dior vorgesehene Körperform mit einer extrem schmalen Taille von
nur 65 Zentimetern Umfang perfekt nachgebildet werden. Wann das
„Mexique“-Kleid der Öffentlichkeit präsentiert wird, steht noch nicht
fest. Kuratorin Katrin Lindemann hofft, „dass dieses beeindruckende
Beispiel von Abendmode aus den 1950er Jahren irgendwann im Laufe des
Jahres 2021 in einer Ausstellung zu sehen sein wird.“
Weitere
Informationen rund um die Arbeit der Restaurator*innen gibt es zum 3.
Europäischen Tag der Restaurierung am 11.10.2020 unter www.tag-der-restaurierung.de. Die Restauror*innen der Staatlichen Museen zu Berlin geben außerdem bei der Veranstaltungsreihe „Von Restauratoren erforscht“ regelmäßig Einblicke in ihre Projekte.
Ein spezielles Bild beschäftigte die freie Restauratorin Nicola Müller in der Gemäldegalerie intensiv: Francesco Bissolos Renaissance-Gemälde „Die Auferstehung Christi“ war… weiterlesen
Die Skulpturenausstellung der Friedrichswerderschen Kirche kehrt am 27. Oktober endlich zurück – zuvor war eine aufwendige Schönheitskur für die steinernen… weiterlesen
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