Rückkehr zum Ideal: Skulpturenrestaurierung in der Friedrichswerderschen Kirche
Lesezeit 6 Minuten
Die Skulpturenausstellung der Friedrichswerderschen Kirche
kehrt am 27. Oktober endlich zurück – zuvor war eine aufwendige
Schönheitskur für die steinernen Meisterwerke nötig.
Text: Thomas Gdanitz und Theo Schubert, steinfest Restaurierung GbR
Kurz
vor der Wiedereröffnung wurden in der Friedrichswerderschen Kirche die
monumentalen Skulpturen dreier Berliner Bildhauer für ihren prominenten
Auftritt zurechtgemacht. In der neuen Ausstellung „Ideal und Form.
Skulpturen des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung der Nationalgalerie“
werden Besucher*innen zukünftig von den Denkmälern der beiden
Hauptvertreter der Berliner Bildhauerschule empfangen: „Christian Daniel
Rauch“ von Friedrich Drake und „Johann Gottfried Schadow“ von Hugo
Hagen. Während diese beiden Werke bereits vor der sanierungsbedingten
Schließung der Kirche gezeigt worden waren, wird Reinhold Begas
Figurengruppe „Eva mit ihren Kindern Kain und Abel“ nach langen Jahren
im Depot nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
Deutliche
Verschmutzungen des hellen Marmors, verwitterte Oberflächen oder
Verluste ganzer Körperteile, zum Beispiel fehlende Nasen und Finger,
sowie inadäquate historische Restaurierungen haben die klare Ästhetik
der Skulpturen deutlich beeinträchtigt. Die Mängel stellten unser
fünfköpfiges Team der steinfest Restaurierung GbR vor eine komplexe und
anspruchsvolle Aufgabe. Es war anfangs noch offen, mit welcher
Vorgehensweise wir welche Ergebnisse erreichen würden. Dieser Vorzustand
stimmte uns anfangs skeptisch, die ursprüngliche Strahlkraft der
überlebensgroßen Skulpturen wiederbringen zu können. Restauratoren sind
es aber gewohnt, mit ungewöhnlichen und individuellen Problemstellungen
konfrontiert zu werden, weshalb wir motiviert unsere Arbeit aufnahmen.
Die etappenweise Herangehensweise wurde zunächst über Fachliteratur und
Musterflächen in enger und kollegialer Absprache mit der fachlichen
Leitung der Alten Nationalgalerie durch die Fachrestauratoren Alexandra
Czarnecki und Kai Rötger sowie der Ausstellungskuratorin Yvette Deseyve
konzipiert. Während der dreimonatigen Betreuung konnten so Schritt für
Schritt die störenden und verfälschenden Spuren der Zeit durch eine
restauratorische Schönheitskur minimiert und die Lesbarkeit der
ursprünglichen skulpturalen Ausstrahlung verbessert werden.
Bevor
wir die Arbeiten an den Skulpturen beginnen konnten, musste das
wertvolle Holzinterieur der Kirche vor Feuchtigkeit sowie der kürzlich
instandgesetzte Fußboden vor Beschädigungen geschützt werden. Daher
errichteten wir temporäre Podeste sowie verschließbare Schutzzelte um
die Skulpturen herum. Nun konnte die Auswahl der geeigneten
Reinigungstechnologien beginnen. Da es sich um wertvolle Originale
handelt, wurden maximal schonende Reinigungsverfahren ausgewählt. In
Kombination mit Heißdampf kamen wässrige Reinigungspasten und -gele zum
Einsatz, welche den aufliegenden Schmutz anlösen und binden, ohne dabei
das Bestandsmaterial zu gefährden. Bei hartnäckigeren Verschmutzungen
und Verfärbungen wurden chemische Reinigungsharze sowie basische
Reinigungskompressen in niedriger Konzentration hinzugezogen. Als
effektivste Methode stellten sich zwei wässrige Pasten aus Zellstoff und
Tonmineralen heraus. Diese Massen wurden in Zusammenarbeit mit
Restauratorin Alexandra Streich gleichmäßig auf die Skulpturen
aufgebracht und mit Folie abgedeckt, um ein Verdunsten der Feuchtigkeit
zu verhindern.
Nach
mehrtägigem Einweichen wurde die Folie entfernt, damit die
Reinigungsmasse austrocknen und anschließend manuell entfernt werden
konnte. Der angelöste Schmutz wurde abschließend mit Heißdampfstrahlern
„abgedampft“ und aufgefangen. Bei ungleichmäßigen Reinigungsergebnissen
und hartnäckigen Verschmutzungen wurde dieses Verfahren wiederholt.
Die
mehrmaligen Reinigungszyklen brachten eine überraschend gute
gleichmäßige Aufhellung des zuvor fleckigen, verdunkelten und partiell
vergilbten Marmors hervor. Unsere Freude war groß, als wir das Ergebnis
sahen: Die über 100-jährigen Skulpturen sind ihrem ehemaligen Zustand
und der Materialgerechtigkeit des Marmors wieder wesentlich
nähergekommen.
Durch
die Reinigungsmaßnahmen konnten die historischen Ergänzungen nicht mehr
nur durch die UV-Aufnahmen verortet werden, sondern wesentlich besser
optisch begutachtet und beurteilt werden.
Wir
kamen zu der Entscheidung, dass sich nicht-figürliche Ergänzungen, wie
ergänzte Mantelecken, gut in die Formensprache der Figuren einfügten.
Figürliche Ergänzungen, wie die Nase der Rauch-Skulptur, der Unterarm
der Natura-Statuette am Standbild Schadows oder die zahlreichen
Gipsergänzungen an der Eva-Gruppe von Begas, besaßen dagegen eine
undeutliche Formensprache und minderten die Ästhetik der Figuren
deutlich. Andere historische Ergänzungen waren weiterhin schadhaft und
wurden ebenfalls schonend entfernt. Kleinteilige Gesichtsattribute, wie
Nasen, wurden zuvor als Gipsmodell abgeformt, sodass sie als
Orientierung für die Bildhauerergänzungen dienen konnten. Kleinflächige
Fehlstellen wurden mit einer Ersatzmasse ergänzt, welche die
marmortypische Transluzenz (Tiefenlicht) nachstellen konnte. In
anspruchsvollen, mehrfachen Bearbeitungsschritten konnten wir damit u.
a. neue Zehen für Eva, ein neues Ohr für Kain und ein neuer Oberarm für
die Naturafigur formen.
Für
größere und prägnante Fehlstellen beschlossen wir, diese durch
Naturstein zu ersetzen. Wichtig hierbei war es, eine Marmorvarietät
auszuwählen, welche die feine Kristallinität und die Farbgebung des
Originalmarmors aufwies. Die Fertigung der Ersatzstücke erfolgte als
„Inlays“. Das bedeutet, dass die natürlichen Bruchkanten am Original
erhalten blieben und daran keine Überarbeitung oder Glättung stattfand,
weshalb die Ergänzung an den Kantenverlauf angepasst werden musste.
Durch diese aufwendige Verfahrensweise konnte das originale
Skulpturenmaterial komplett erhalten werden.
Bevor es zur
Anfertigung der Inlays kam, wurden verschiedene Bildhauermodelle aus
Ton, Gips und den Verbundstoff Keramoplast durch die Bildhauer*innen
Maria Richter und Aron Rauschhardt angefertigt und mit der Fachgruppe
begutachtet, diskutiert und bis zur allgemeinen Zufriedenheit
modifiziert. Wichtig hierbei war es, die Formgebung und
Oberflächengestaltung des jeweiligen Künstlers nachzuempfinden.
Herausfordernd waren die z.T. sehr kleinen und aufwendig durchformten
Inlays, wie etwa Evas Nasenspitze oder Kains Ohr. Die vorgeformten
Inlays wurden reversibel eingeklebt und abschließend, entsprechend der
Modellvorgaben, final überarbeitet.
Die
dünnen Fugen wurden mit der bereits verwendeten Ergänzungsmasse
geschlossen, wodurch sich das Neumaterial unauffällig in das Gesamtbild
einfügte. Auch nach diesen formvollendenden Ergänzungen der vielfältigen
Fehlstellen konnten wir zufrieden feststellen, dass die Skulpturen viel
von ihrer ursprünglichen Aussagekraft zurückerlangten. Trotz des
beachtlichen Reinigungserfolges und der formschließenden Ergänzungen
verblieben optisch auffällige Partien, die für Betrachter*innen den
Eindruck einer Figur des 19. Jahrhunderts stören würden. Besonders die
historischen Ergänzungen an den Rauch- und Schadow-Skulpturen stachen
noch optisch hervor und mussten an den hellen, warmen Farbton des
Bestandmarmors angepasst werden. Auch die Eva-Gruppe wies zahlreiche
weiße Abstoßungen auf, wodurch die farbtonvertiefende Politur des
gräulichen Marmors störend unterbrochen wurde. Die vielfältigen
Störfaktoren sollten als abschließende Maßnahme der Schönheitskur
farblich an den Gesamteindruck der Skulptur angepasst werden. Hierfür
wurden verschiedene Farb-Bindemittel-Systeme zunächst erprobt und je
nach Notwendigkeit lasierend oder deckend aufgetragen. Durch die
verschiedenen Auftragstechniken konnten Bereiche, die optisch
hervortraten, gut in einen harmonischen Gesamteindruck integriert
werden. Dabei wurde darauf geachtet, das Alter der Skulpturen nicht zu
leugnen und gewisse Spuren der Zeit dezent sichtbar zu belassen. Jedes
der Bindemittel ist reversibel, sprich wieder rückstandsfrei und
materialschonend entfernbar.
Mit
jedem Arbeitsschritt sahen wir, wie die Ästhetik der Figuren sich
stetig verbesserte. Durch die Rückgewinnung ihrer materialeigenen
Strahlkraft, die Vereinheitlichung des hellen Farbeindrucks und die
formvollendenden Ergänzungen konnten die Skulpturen zu ihrer
ursprünglichen erhabenen Wirkung zurückfinden und werden in Zukunft
vielen Besucher*innen der Friedrichswerderschen Kirche Freude bereiten.
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