Ein Preusse kommt nach Hause: 20 Jahre Christian Daniel Rauch-Museum in Bad Arolsen
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In der kleinen hessischen Residenzstadt Bad Arolsen schlummert seit 20 Jahren ein besonderer Schatz der Nationalgalerie. Im Christian Daniel Rauch-Museum wird ein Großteil der Arbeiten des klassizistischen Bildhauers gezeigt. Doch wie kamen die Stücke aus Berlin in die Provinz?
Text: Sven Stienen
„Als wir das erste Mal hierherkamen, waren noch Blutflecken auf dem Boden“, erinnert sich Bernhard Maaz. Ich stehe mit dem Kunsthistoriker vor dem Christian Daniel Rauch-Museum in der waldeckischen Residenzstadt Bad Arolsen in Nordhessen und wir trinken Kaffee. „Das war ursprünglich der Marstall der hiesigen Fürsten und wurde auch für jagdliche Zwecke genutzt“, erklärt Maaz und meint das Museumsgebäude hinter uns. „Als wir – es war wohl 2001 – unsere erste Begehung machten, stand überall noch Jagdgerät herum.“ Vor 20 Jahren entstand hier im fürstlichen Marstall das Rauch-Museum – und deshalb sind wir heute hier: Anlässlich des Jubiläums hat sich das Who-is-Who der einschlägigen Fachwelt zu einer Tagung zur Skulptur des 19. Jahrhunderts eingefunden, am Abend soll ein Festakt stattfinden. Und ich bin aus der Hauptstadt angereist, um dabei zu sein und mehr darüber zu erfahren, wie eine Berliner Skulpturensammlung in die nordhessische Provinz kam.
Als ich das Museum betrete, läuft gerade einer der Vorträge der Tagung. Ich schließe leise die massive Eichentür und schaue mich um. Der Raum hinter dem zentral situierten Eingang ist groß und etwas geschwungen, ein angedeuteter Halbkreis. Die weiß getünchten Wände sind gute sechs Meter hoch und von großen Fensterbögen durchbrochen, die viel Tageslicht durch die meterdicken Wände lassen. Es fällt auf Skulpturen in Marmor und Gips: Köpfe der großen Figuren Preußens. Persönlichkeiten aus Militär, Wissenschaft und Gesellschaft sind vertreten, aber auch Miniaturen, Grabmäler und mythologische Figuren finden sich auf der Ausstellungsfläche. Sie wurden von Christian Daniel Rauch und anderen bedeutenden Bildhauern des Klassizismus geschaffen und stammen aus der Sammlung der Alten Nationalgalerie. Bernhard Maaz, inzwischen Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, war während der Gründungsphase des Museums in Bad Arolsen Kustos in Berlin. „Uns ist an diesem Raum sofort aufgefallen, dass das wandernde Tageslicht, das durch die Fenster fällt, für eine ganz besondere Stimmung sorgt und die Skulpturen verlebendigt“, sagt der Wissenschaftler.
Nach Preußen und zurück
Bad Arolsen ist ein pittoresker Ort mit barockem Charme. Folgt man der Hauptstraße vom Bahnhof aus, kommt man zunächst durch den neueren Ortsteil. Vorbei an Modegeschäften für Senioren, Eisdielen und Dönerbuden, passiert man irgendwann den zentralen Platz mit der spätbarocken Kirche, der an diesem sonnigen Tag Anfang Mai in verschlafener Ruhe liegt. Hier beginnt augenscheinlich der ältere Teil der Stadt: Fachwerkhäuser säumen die kopfsteingepflasterte Straße und nach kurzer Zeit erreicht man das prachtvolle, ab 1710 errichtete Schloss, das lange Zeit die Residenz der Fürsten von Waldeck-Pyrmont war. Im Sommer kommen die Touristen hierher. Schräg gegenüber dem Schloss befindet sich der Marstall. Doch warum ist die einzigartige Sammlung bedeutender Rauch-Skulpturen heute ausgerechnet hier in der nordhessischen Provinz zu sehen?
Die Verbindung des Bildhauers Rauch mit Bad Arolsen ist schnell erzählt: Er ist der berühmteste Sohn der Stadt. 1777 wurde er hier in einfachen Verhältnissen geboren. Nach einer Ausbildung in der örtlichen Schule begann er mit 13 Jahren eine Lehre bei dem Bildhauer Friedrich Valentin im Stadtteil Helsen. Sein weiterer Weg führte ihn an den preußischen Hof und die Berliner Kunstakademie, wo er Gehilfe von Johann Gottfried Schadow wurde und bald selbst als einer der gefragtesten Bildhauer im klassizistischen Preußen und darüber hinaus galt. Zu seinem Oeuvre zählen Werke wie das Grabmal für Königin Luise von Preußen (1814), Arbeiten für die Walhalla des bayerischen Königs Ludwig I. (1842) sowie die Standbilder zahlreicher Persönlichkeiten Preußens.
Der überwiegende Teil von Rauchs Werk entstand in Berlin und verblieb dort nach seinem Tod im Jahr 1857 – er ging in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) über. Dort würden große Teile wohl heute im Depot der Nationalgalerie schlummern, wenn es nicht das Föderale Programm gäbe: Da die SPK von Bund und Ländern gemeinsam getragen wird, sieht sie es als ihre Aufgabe, ihre kulturellen Schätze auch in den Bundesländern zugänglich zu machen. Seit den 1990er Jahren werden daher kuratierte Ausstellungen aller Sammlungsbereiche aus Berlin an Kultureinrichtungen in den deutschen Bundesländern verliehen. Und manchmal entstehen auf diesem Weg eben auch ganz neue Museen.
Für das Licht geschaffen
Ich trinke noch einen Kaffee und verbringe den Rest der Pause, indem ich mit Yvette Deseyve durch die Präsentation schlendere. Die Kuratorin ist eine Berliner Kollegin und gemeinsam mit dem Direktor Ralph Gleis eigens aus der Alten Nationalgalerie angereist. Auch sie schwärmt von der besonderen Situation hier im Museum, vom natürlichen Licht, das die Skulpturen lebendig erscheinen lässt. „Das ist die optimale Bedingung für diese Kunstwerke“, erklärt sie mir, „dafür wurden sie geschaffen.“ Besonders spannend an der Präsentation sei, dass man die Werke von allen Seiten erleben könne. „Wenn man um die Arbeiten herumgeht und von allen Seiten schaut, kann man immer wieder Neues entdecken“, sagt Deseyve. In Berlin verfolgt man in der Alten Nationalgalerie ein ähnliches Konzept in der Friedrichswerderschen Kirche, der Skulpturen-Dependance des Hauses. Auch das Christian Daniel Rauch-Museum könne als Dependance der Nationalgalerie verstanden werden, erklärt die Kuratorin mir. „Natürlich hat das hiesige Museum einen spezifischen Fokus, denn es geht ja darum, das Werk von Rauch in seiner Geburtsstadt zu zeigen“, sagt sie. Dennoch habe man bei der Konzeption des Museums versucht, Rauch als Teil der Berliner Schule zu zeigen und ihn in den Kontext seiner Zeit einzubetten. Deswegen finden sich hier nicht nur Werke von Rauch, sondern auch die seiner Zeitgenossen wie Schadow und Ludwig Wilhelm Wichmann sowie anderer europäischer Bildhauer.
Das Tagungsprogramm geht weiter und Yvette Deseyve muss zurück – ich schlendere noch ein wenig durch das Haus, das eine angenehme Ruhe ausstrahlt, und bin fasziniert von der Schönheit der präsentierten Skulpturen. Tatsächlich entfalten die Arbeiten hier, in diesem mehr oder weniger authentischen Umfeld, eine ganz besondere Wirkung.
Ein Forum für den Sohn der Stadt
Als am Abend der Festakt beginnt, hat sich der Raum merklich gefüllt. Über hundert Gäste sitzen im Ausstellungsbereich zwischen den Skulpturen und Vitrinen und lauschen gespannt den Reden von Bürgermeister Marko Lambion, SPK-Präsident Hermann Parzinger, Direktor Ralph Gleis und weiteren Honoratioren. Ich mische mich unter sie und warte auf eine Gelegenheit, mit Birgit Kümmel, der Leiterin seit Gründung des Hauses, zu sprechen. Tagsüber war es unmöglich, sie zu erwischen – die Frau mit den kurzen dunklen Haaren und der prägnanten roten Brille war immerzu beschäftigt, Gäste empfangen, Probleme lösen und dafür sorgen, dass sich alle in ihrem Haus wohlfühlen. Am Abend, bei Käsehäppchen und einem Glas Weißwein, gelingt es mir schließlich, sie zwischen den Konversationen in ein Gespräch zu verwickeln.
„Die ursprüngliche Initiative für die Gründung des Museums ging von unserem Denkmalpfleger Michael Neumann aus“, erklärt sie mir. Der, so erfahre ich weiter, war damals für die Sanierung der Arolser Barockstadt verantwortlich gewesen. Als eine neue Nutzung für den ehemaligen Marstall gesucht wurde, kam die Idee auf, dem Bildhauer Rauch hier in seinem Geburtstort ein breites Forum zu bieten. Der Denkmalpfleger Neumann wandte sich daraufhin an den damaligen SPK-Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann. „Der war Wahlhesse, das war ein Vorteil für uns“, erinnert sich Frau Kümmel, „und ich kannte Bernhard Maaz als zuständigen Kustos schon, der bereits in den 1990er Jahren eine Gastausstellung der Nationalgalerie hier in Bad Arolsen betreut hatte“ – eben eines jener Projekte im Rahmen des Föderalen Programms. Stiftungspräsident Lehmann war von der Idee angetan und mit der Unterstützung des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst fiel der Entschluss, das Museum zu realisieren. „Bernhard Maaz und ich erstellten sogleich ein Konzept und einen Finanzplan und nach einer sehr arbeitsreichen Zeit konnten wir im Oktober 2002 das Museum eröffnen“, sagt Frau Kümmel.
Seit den ersten Tagen ist viel passiert. Im Laufe der Jahre, so erfahre ich, konnten mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, der Kulturstiftung der Länder sowie der Ernst von Siemens Kunststiftung etliche hochkarätige Skulpturen aus dem Kunsthandel erworben werden. Seit 2010 finden zudem regelmäßig künstlerische Interventionen statt – angefangen mit dem Künstlerpaar Venske & Spänle treffen seither immer wieder zeitgenössische Positionen auf die klassische Kunst. Das Rauch-Museum ist inzwischen zu einem überregionalen Bezugspunkt und zum Highlight des Museums Bad Arolsen geworden – und Birgit Kümmel blickt hoffnungsvoll in die Zukunft: „Wir wollen das Museum und den Sammlungsbestand bewahren, aber es wird auch weiterhin Wechselausstellungen auf hohem Niveau geben.“ Die nächste steht schon fest: Eine Ausstellung mit dem spanischen Bildhauer Samuel Salcedo und seinen ironisch-absurden bis gesellschaftskritischen Gesichtsskulpturen. Ich würde gern noch mehr darüber erfahren, aber da ist Frau Kümmel schon wieder weg und begrüßt andere Gäste. Ich nippe an meinem Wein und drehe noch eine Runde durch das Haus.
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