Ägyptologie:

Ein trauriger Glücksfall: Die archäologische Sicherungsgrabung Qubbet el-Hawa Nord

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz baut seit Jahren eine enge Beziehung zu ägyptischen Forschern und Institutionen auf. Nun ist das Ägyptische Museum und Papyrussammlung erstmals seit 100 Jahren wieder an einer Grabung vor Ort beteiligt. Friederike Seyfried, Direktorin des Museums, im Gespräch.

Interview: Friederike Schmidt

2012/2013 machten die Bewohner des nubischen Dorfes auf der Westseite von Assuan einen Sensationsfund südlich ihrer Siedlung: Sie stießen auf ein unbekanntes Gräberfeld aus der Zeit des Neuen Reiches (ca. 1500-1000 v.Chr.). Nachdem der Fundort, der in der Zwischenzeit systematisch geplündert worden war, offiziell bekannt wurde, ergriff die ägyptische Antikenbehörde die Initiative. Sie unternahm erste Sicherungsmaßnahmen im Jahr 2014 und legte gleichzeitig die Basis für das weitere Vorgehen: Seit 2015 sichert das Kooperationsprojekt „Qubbet el-Hawa Nord“ der Ägyptischen Antikenverwaltung und des Ägyptischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin die Grabungsstelle. Friederike Seyfried, Direktorin des Ägyptischen Museums und Grabungsleiterin, erzählt von der ersten Grabung des Museums in Ägypten seit 100 Jahren.

Frau Seyfried, Sie graben gemeinsam mit dem Inspektorat Assuan als „Egyptian-German Mission Qubbet el-Hawa-North“ an der sensationellen Fundstelle im Süden Ägyptens. Wie kam es zu dieser doch ziemlich besonderen Kooperation?
Der Impuls für die Kooperation ging von den Ägyptern aus. Der damalige ägyptische Antikenminister, Prof. Mohamed Ibrahim Ali, erkundigte sich Anfang 2014, ob das Ägyptische Museum Berlin sich eine Zusammenarbeit vorstellen könne, um das Gräberfeld der Qubbet el-Hawa-Nord zu dokumentieren und zu sichern. Dies war ein eher ungewöhnlicher Schritt und basierte offensichtlich auf dem im Februar 2013 zwischen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Antikenbehörde unterzeichneten „letter of intent“, in welchem ein intensiverer wissenschaftlicher Austausch festgehalten wurde. Zum anderen dürfte die ausgewiesene Expertise meiner eigenen archäologischen Forschung in Gräbern des „Neuen Reiches“ ausschlaggebend für die Anfrage gewesen sein. Dieses außergewöhnliche Angebot war natürlich ein Glücksfall, denn die Chance ein neues Gräberfeld zu dokumentieren bietet sich selten. Zu Beginn haben wir das Gebiet in einem dreitägigen Besuch sondiert und uns danach um die Drittmittelfinanzierung gekümmert. Für eine erste kurze Evaluierungskampagne im Herbst 2015 wurden wir bereits von der DFG unterstützt und vor allem konnten wir den Verein zur Förderung des Ägyptischen Museums e.V. einbeziehen. Es ist also eine Art „Joint Venture“ zwischen DFG und Förderverein entstanden. Während der vierwöchigen Anlaufkampagne haben wir den Antrag für ein Langzeitprojekt bei der DFG vorbereitet, nachdem das wissenschaftliche Potential hinreichend ausgelotet war. Ende 2016 wurde das Projekt dankenswerter Weise auf 12 Jahre bewilligt. Gleichzeitig haben wir auch weiterhin den Förderverein mobilisiert, denn die DFG darf primär nur Forschung finanzieren, sodass alles andere wie z.B. Restaurierungsmaßnahmen anderweitig gestemmt werden muss. Dafür springt in großzügigem Maßstab das Kuratorium des Fördervereins ein.
Zu dem Kooperationsprojekt gehört übrigens auch, dass die fünf ägyptischen „Inspektoren“ – so nennt man dort die Mitarbeiter der Altertumsverwaltung – eng mit uns zusammenarbeiten. Wir werden alle Grabungsergebnisse zusammen publizieren. Das ist für mich ein wichtiger Beitrag unter dem heute gern verwendeten Begriff „Capacity Building“.

Was bedeutet „Capacity Building“ in diesem Fall genau?
Wir wollen den jungen ägyptischen Wissenschaftlern ein gleichwertiges Arbeitsniveau anbieten und sie zu Führungskräften heranbilden. Praktisch bedeutet dies, dass wir sie bei der Publikation des Grabes des Bürgermeisters von Elephantine, namens User, unterstützen und ausbilden. Die Inspektoren haben vor Ort nicht die Möglichkeit so zu arbeiten, wie wir das können. Im Inspektorat in Assuan gibt es z.B. keine Bibliothek. Durch die Unterstützung des Kuratoriums möchten wir ihnen kurze Forschungsaufenthalte in Berlin ermöglichen, so dass sie hier in der Bibliothek arbeiten können. Ich hoffe sehr, dass die Inspektoren – aufgeteilt in zwei Gruppen – möglichst bald hierher kommen können.
Dieses Jahr werden zumindest zwei junge Restauratorinnen nach Berlin kommen, um von Frau Krutzsch, unserer Papyrusrestauratorin, ausgebildet zu werden. In der Vorkampagne 2014 konnten die Inspektoren um die 1000 Fragmente eines großen Totenbuchpapyrus bergen, der unbedingt restauriert werden muss. In Assuan gibt es derzeit jedoch niemanden, der mit Papyri arbeiten kann und es hieß, die Fragmente sollten nach Kairo geschickt werden. Wahrscheinlich hätte dies zur Folge gehabt, dass der Papyrus nie wieder nach Assuan zurückgekommen wäre. Dabei gehört dieser Fund in restauriertem Zustand unbedingt in das Nubische Museum in Assuan. Nun gehen wir folgendermaßen vor: Frau Krutzsch war schon zweimal vor Ort und hat den Restauratorinnen gezeigt, wie man die Fragmente behandelt, nummeriert, vermisst und glättet. Das Zusammensetzen müssen sie jedoch schrittweise hier erlernen. Ein erstes Training findet voraussichtlich im Oktober statt. Für die nächste Kampagne ist zudem geplant, auch unsere Steinrestauratorin mitzunehmen, um die Wiedereinsetzung eines gestohlenen, aber beschlagnahmten Architraven an seinen ursprünglichen Platz zu gewährleisten und weitere restauratorische Maßnahmen zu ergreifen.

Beim Jahresempfang der SPK hat Hermann Parzinger ihr Projekt und die Zusammenarbeit mit den ägyptischen Behörden als zukunftsweisendes Vorbild genannt. Welche Chancen bringt die bilaterale Zusammenarbeit?
Ich denke wir haben gezeigt, dass man einen „letter of intent“ mit Leben füllen kann und zwar in vielfältiger Hinsicht. Wir engagieren uns nicht nur auf dem Sektor der Archäologie, sondern auch auf den unterschiedlichsten Gebieten des Museumsplanung und -verwaltung. Hierzu gehört die langfristige logistische Unterstützung zur Vollendung des Echnaton-Museums in el-Minja in Mittelägypten sowie die zahlreichen Stipendien- und Ausbildungsaufenthalte von ägyptischen Museumsmitarbeitern an unserem Haus seit 2013. Dieses partnerschaftliche und kollegiale Miteinander ist für beide Seiten ein unvergleichlicher Gewinn.

Das Projekt läuft auch unter dem Titel „Rettungsgrabung“. Was bedeutet das?
„Rettungsgrabung“ heißt die Unternehmung deshalb, weil die Gräber nach der ersten ägyptischen Revolution 2011 geplündert wurden. Das Grabungsfeld war vorher unbekannt, weshalb man davon ausgehen darf, dass sie bis dahin intakt waren. Wir müssen den verbleibenden Rest dieser Gräber so schnell wie möglich dokumentieren. Bisher haben wir uns primär mit denjenigen Gräbern beschäftigt, die schon offen lagen und die man mit Türen versehen und adäquat sichern muss. Wir wissen nicht, ob dazwischen noch unberührte Gräber liegen. Für die Ägyptologie sind die Funde, die noch gemacht werden können, selbst in geplündertem Zustand, hochinteressant.
Eine „Rettung“ ist es auch insofern, als das Grabungsgebiet durch das nubische Dorf zuzuwachsen droht. Die Antikenbehörde hat das Gebiet zum Antikengelände erklärt, sodass die Bevölkerung des nubischen Dorfes kein Recht mehr hat, ihre Häuser in Richtung dieser Gräber zu erweitern. Wir haben deshalb beantragt, eine niedrige Mauer um das Gebiet herum aufzurichten, damit tatsächlich keine Häuser das Grabungsgebiet überwuchern.

Was bedeutet die Ausgrabungstätigkeit für die Menschen vor Ort?
Für uns ist es wichtig, eine Sensibilisierung bei der nubischen Bevölkerung zu schaffen, ihr Kulturerbe nicht weiter zu zerstören. Letztlich wird das Dorf nach der touristischen Erschließung des Fundorts von dem Projekt profitieren. Es ist wichtig, eine Akzeptanz der Archäologie, aber auch eine Bewusstseinsbildung in der Bevölkerung zu erreichen, ihr eigenes kulturelles Erbe zu erhalten, denn es geht auch um nubisches, nicht nur um ägyptisches Kulturgut. Assuan und Elephantine sind schon seit Jahrtausenden Grenzgebiet. Die Nubier sind ethnisch eine andere Bevölkerungsgruppe und sprechen eine komplett andere Sprache. Im Zuge der Bauarbeiten am zweiten Staudamm wurde die nubische Bevölkerung ab 1967 zwangsweise umgesiedelt und erhielt Landzuweisungen im Niltal nördlich ihrer alten Heimat. Dies blieb nicht ohne Spannungen, die bis heute spürbar sind. Da wir im Gebiet einer nubischen Siedlung graben, leben wir selbstverständlich im Dorf und schaffen – wenn auch immer nur für ein viertel Jahr – Arbeitsplätze. Wir hoffen, dass wir durch ein gutes Miteinander eine Akzeptanz der archäologischen Aktivitäten erreichen.

Es handelt sich bei dem Fundort um eine Nekropole – ein Gräberfeld – aus dem Neuen Reich. Warum ist es besonders für das Alte Ägypten wichtig und interessant, Totenstätten auszuwerten?
Für die Archäologie Ägyptens stammen die meisten Erkenntnisse über Individuen aus dem Kontext von Nekropolen und Gräbern. Das liegt zum einen daran, dass diese im Wüstenbereich liegen und sich dort die materiellen Güter hervorragend erhalten haben. Städte und Siedlungen lagen damals meist nahe am Fruchtland und sind deshalb häufig nicht erhalten oder überbaut. Somit stammen die meisten vollständig erhaltenen Kulturzeugnisse aus den Gräbern. Obwohl einige Beigaben speziell für den Grabkontext hergestellt wurden, kann die Grabausstattung in gewisser Hinsicht als eine Art Spiegel der damaligen Kultur gelten. Nekropolen liefern – wie in allen Kulturen – Erkenntnisse über die soziale Schichtung der jeweiligen Gesellschaft. Im Grab des User gibt es z.B. interessante Details in den Wandmalereien einer Gastmahlszene zu beobachten: Durch die Darstellung der Hautfarbe wurden die im Staatsdienst beschäftigte Nubier und Ägypter voneinander unterschieden. Diese ethnische Koexistenz und Einbindung in die altägyptische Verwaltungsebene ist hinreichend bekannt, findet hier aber eine besonders gelungene Form der bildlichen Wiedergabe.
Die Nekropole der „Qubbet-el-Hawa-Nord“ ist vor allen Dingen deshalb bedeutend, weil viele der Personen, deren Gräber jetzt dokumentiert werden, schon lange namentlich aus Darstellungen, Korrespondenzen oder Inschriften bekannt sind. Bisher wusste man jedoch nicht, wo diese Personen der Führungselite bestattet wurden. Für die Wissenschaft ist dies ein extremer Zugewinn an Information.

Sie sind vor ein paar Wochen von der letzten Grabungskampagne zurückgekommen sind: Gab es besondere Funde und Ergebnisse?
In dieser Kampagne haben wir einen vollkommen verschütteten Vorhof freigelegt, um eine Tür in ein bislang ungeschütztes Grab der 18. Dynastie einzusetzen. In dem bis zu vier Metern Höhe verschütteten Hof fanden wir in den ungestörten Schichten erstaunlich viel Keramik – ungefähr 120 Gefäße –, die bei Totenfesten und bei der Bestattung Verwendung fand. Man könnte dies salopp als „Picknick“-Keramik für den Totenkult bezeichnen. Von besonderer Bedeutung war auch der Fund eines gemauerten Ziegelaltars. Der Altar ist aus Nilschlammziegeln errichtet und hat eine kleine Treppe sowie seitlich eine Bank aus Sandsteinblöcken. In diesem Ambiente fand der aktive Totenkult statt. Ein solcher Befund ist recht selten, da sich Ziegeleinbauten aus Nilschlamm in offenen Höfen nur bedingt erhalten haben.

Werden die Funde aus Qubbet el-Hawa einmal in Berlin im Ägyptischen Museum zu sehen sein?
Wir wollen in ein paar Jahren tatsächlich in Berlin eine Ausstellung zur Grabung zeigen. Dafür müssen jedoch Leihvertragskooperationen mit Ägypten geschlossen werden, damit uns die Funde für eine begrenzte Zeit überlassen werden. Da unsere Beziehungen mittlerweile eng und freundschaftlich sind, kann ich mir dies sehr gut vorstellen. Für die Berliner Besucher, aber auch für die Staatlichen Museen zu Berlin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wäre es einfach wunderbar, in einer Sonderausstellung zeigen zu können, in welchem Kontext die Funde gefunden wurden und welche Ziele die Grabung verfolgt und erreicht hat. Auch für das unbedingt erforderliche Fundraising dürfte eine solche Präsentation hilfreich sein.

Aufnahme des Vorhofes  des  Grabes QHN 6/7 mit Hilfe eines Fotokrans (Foto: S. Steiß)
Aufnahme des Vorhofes des Grabes QHN 6/7 mit Hilfe eines Fotokrans (Foto: S. Steiß)
Arbeit im Scherbengarten (Foto: F. Seyfried)
Arbeit im Scherbengarten (Foto: F. Seyfried)
Konservierungsarbeiten ägyptischer Restauratoren an den Papyrusfragmenten aus dem Grab des User (QHN 2)unter Anleitung von Myriam Krutzsch im Magazin von Assuan im Herbst 2017 (Foto: F. Seyfried)
Konservierungsarbeiten ägyptischer Restauratoren an den Papyrusfragmenten aus dem Grab des User (QHN 2)unter Anleitung von Myriam Krutzsch im Magazin von Assuan im Herbst 2017 (Foto: F. Seyfried)
Papyrusfragmente vor der Glättung (Aufnahme im Magazin: S. Steiß und F. Seyfried)
Papyrusfragmente vor der Glättung (Aufnahme im Magazin: S. Steiß und F. Seyfried)
Wandmalereien im Grab des User (QHN 2), Bürgermeister von Elephantine, aus der Zeit Amenophis III. (um 1360 v. Chr.)( Foto: S. Steiß)
Wandmalereien im Grab des User (QHN 2), Bürgermeister von Elephantine, aus der Zeit Amenophis III. (um 1360 v. Chr.)( Foto: S. Steiß)

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