Zum 250. Geburtstag widmet die Alte Nationalgalerie mit „Unendliche Landschaften“ Caspar David Friedrich erstmals eine Einzelausstellung in Berlin. Auch das Kupferstichkabinett hat darin einen starken Auftritt. Autorin Irene Bazinger traf die Kuratorinnen Birgit Verwiebe und Anna Pfäfflin in der Ausstellung.
Text: Irene Bazinger
Caroline Bardua, Bildnis des Malers Caspar David Friedrich, 1810; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger
Lange hat es gedauert, bis Caspar David Friedrich eine eigene Ausstellung in Berlin bekam – aber jetzt ist es so weit, zu seinem 250. Geburtstag glänzt die ganze Stadt im Zeichen von CDF! Eintrittskarten für „Unendliche Landschaften“ sind online kaum noch zu kriegen, aber an der Kasse können täglich Eintrittskarten erworben werden. Schon zur Eröffnung standen vor der Alten Nationalgalerie hoffnungsvolle Besucher*innen im Regen unverdrossen Schlange. Obwohl längst berühmt wie ein Popstar und auf Plakaten, Kalendern, Tassen, Schirmen, Klebezetteln, Beuteln, sogar Brillenputztüchern und Socken omnipräsent, verzaubert er die Menschen nach wie vor und holt sie in die Museen, um die Originale zu sehen. „Man kann seine Bilder immer wieder anschauen“, so Birgit Verwiebe, Expertin für Caspar David Friedrich, Kuratorin in der Alten Nationalgalerie für die Gemälde der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und auch für die Berliner Ausstellung: „Die Werke erschöpfen sich nicht in dem, was sichtbar ist, denn es steckt stets mehr darin, etwas Größeres, Höheres. Sie sind nicht bis ins letzte auflösbar, sondern fordern zum schöpferischen Dialog auf. Man kann immer wieder mit ihnen Kontakt aufnehmen, weil sie nicht vollständig erklärbar sind und einen stets aufs Neue emotional und kognitiv herausfordern.“ Das ist ein anspruchsvoller Prozess, dem sich nicht alle zu jeder Zeit aussetzen wollten, weshalb Caspar David Friedrich zwischendurch in Vergessenheit geraten war. Durch die „Deutsche Jahrhundertausstellung“ der Nationalgalerie 1906, in der von ihm 36 Gemälde und 57 Zeichnungen zu sehen waren, wurde er wieder entdeckt. An diese legendäre Ausstellung knüpft Birgit Verwiebe an. Sie kann nun fast fünfzig Prozent der damaligen Exponate zeigen. Allerdings gibt sie ihnen eine neue thematische Dramaturgie, indem sie diese in Räumen mit Titeln wie „Bilderpaare“, „Gebirge. Schluchten. Waldinneres“ oder „Küste. Ufer“ gruppiert. Das ist kuratorisch schlüssig und für das Publikum ein fesselnder Kurs durch Friedrichs Oeuvre.
Die Zeichnungen erhellen eigenständig die Gemälde
Caspar David Friedrich, Selbstbildnis, um 1810; Foto:
Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett / Jörg P. Anders
Erweitert wird die Ausstellung, die mit Highlights wie „Kreidefelsen auf Rügen“ (1818), „Das Eismeer“ (1823/24) oder „Der Mönch am Meer“ (1808-1810) aufwarten kann, durch ein stattliches Konvolut von Zeichnungen, Holzschnitten und Skizzen, die aus Hamburg, Oslo und vor allem aus dem Berliner Kupferstichkabinett stammen. Letzteres schätzt sich über den umfangreichsten Bestand mit rund 200 Werken Friedrichs glücklich und hat die Alte Nationalgalerie bei „Unendliche Landschaften“ nach Kräften unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich, denn gerade Arbeiten auf Papier sind äußerst lichtempfindlich und werden aus konservatorischen Gründen eher zögerlich verliehen. Abgesehen von ihrem künstlerischen Wert kommt ihnen hier im Zusammenspiel mit den Gemälden die tolle Aufgabe zu, in das Denken Caspar David Friedrichs einzuführen – ein starker Auftritt! Anna Pfäfflin, Kuratorin im Kupferstichkabinett, konkretisiert: „Man kann da wirklich die besondere Art erkennen, wie er sein Sehen in Kunst verwandelte. Eine hier nicht ausgestellte Zeichnung aus der Hamburger Kunsthalle, das ‚Selbstbildnis mit Mütze und Visierklappe‘, zeigt ihn 1802 mit einer speziellen Augenklappe, die es ihm erlaubte, beim Zeichnen jeweils ein Auge zu verdecken. Wenn er draußen in der Natur unterwegs war, schaute er mal mit einem Auge, um seine Umgebung zweidimensional wahrzunehmen, danach wieder mit beiden, um dreidimensionale Eindrücke zu sammeln. So hat er es auch in seinen Skizzenbüchern festgehalten. Er wechselte aktiv zwischen zweidimensionalem und dreidimensionalem Sehen hin und her.“
Ausgestattet mit diesen Naturstudien kehrte Friedrich dann in sein Atelier zurück und komponierte mit vorhandenen Elementen seine Landschaften, die als solche nie existierten. Birgit Verwiebe nennt sie „innere Landschaften“, was Anna Pfäfflin gern aufgreift: „Friedrich war kein Vedutenmaler – er malte die Landschaft nie so, wie sie war, sondern so, wie er sie haben wollte.“
Landschaften zum Nachdenken, nicht zum Wandern
Caspar David Friedrich, Der einsame Baum, 1822; Staatliche
Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Fotograf: Jörg P. Anders
Ein gutes Beispiel dafür ist „Das Kreuz im Gebirge“, entstanden von 1805 bis 1807 – die letzte Sepiazeichnung Friedrichs, ehe er sich der Ölmalerei zuwandte. Es ist eine Vorarbeit für den Tetschener Altar und sorgte mit der ungewöhnlichen Thematik für erhebliche Kontroversen, weil plötzlich ein Landschaftsgemälde als Altarbild präsentiert wurde und kein in direktem Sinne religiöses Bild. „Die Szenerie ist wie eine Theaterkulisse aufgebaut“, so Anna Pfäfflin: „Im Vordergrund – quasi als Schattenriss – sieht man das Kruzifix, den Felsen als Symbol des Glaubens und die Tannen als Symbol der Hoffnung. Dahinter öffnet sich ein unermesslicher Raum. Statt einer Heiligendarstellung soll hier die göttliche Schöpfung selbst angebetet werden. Das war für viele Menschen ein Schock.“ Heute ist der nicht mehr leicht nachvollziehbar, doch es gibt durchaus Möglichkeiten, sich die damalige Verstörung zu vergegenwärtigen. Betrachtet man etwa die Sepia-Zeichnung „Küstenlandschaft mit Kreuz und Statue“ (um 1806/1807), erinnert sie erst einmal an einen englischen Landschaftsgarten, erläutert Pfäfflin: „Aber wir können ihn nicht erwandern! Da geht es uns wie Friedrichs Zeitgenossen. Er weist uns keinen Weg in dieses Gelände. Vorne ist ein Hügel, der den Weg versperrt, daran grenzt ein Abgrund, dessen Tiefe wir nicht ermessen können. Im Hintergrund breitet sich das Meer aus. Es gibt durchaus vertraute Motive in dieser Landschaft wie zum Beispiel die Statue einer Trauernden oder auch das Kreuz auf einer Anhöhe, gerahmt von drei Eichen. Aber zu Fuß erwandern könnte man diese Gegend nicht, stattdessen bietet die Darstellung Reflexions- und Assoziationsangebote.“ Und Birgit Verwiebe fügt an: „Dies ist eine innere, eine konstruierte Landschaft zum Nachdenken, nicht zum Wandern.“
Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24; Hamburger
Kunsthalle / bpk Foto: Elke Walford
So kann man Friedrich über die Schulter blicken
Caspar David Friedrich, Abtei im Eichwald, 1809/10; Staatliche
Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger
Gerade die Leihgaben aus dem Kupferstichkabinett lassen begreifen, wie analytisch und mit welchem Aufwand Friedrich vorging. Von manchem Baum skizzierte er quasi Blatt für Blatt, Zweig für Zweig, notierte die Richtung, aus der die Sonne schien und woher der Wind wehte, wie auf „Distel und zwei Baumstudien“, mit „17./24. Juli 1799“ genau datiert. Enthusiastisch führt Anna Pfäfflin aus: „Hier kann man sehen, wie er sieht – mal mit einem Auge, mal mit zweien. Einmal zeichnet er den charakteristischen Umriss eines Blattes, ein andermal das Ensemble einer ganzen Baumgruppe in der Ferne. Wir können ihm dabei unmittelbar über die Schulter blicken. Friedrich arbeitet höchst akribisch und zugleich völlig frei. Das ist faszinierend.“ Es gibt die schöne Formulierung vom „Tagauge“ und vom „Nachtauge“ – mit dem einen sieht er auf die Dinge, mit dem anderen hinter die Dinge, mit dem einen bewusst, mit dem anderen unbewusst: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ In dem berühmten – seinem letzten – Selbstporträt, um 1810 mit schwarzer Kreide auf Papier gebracht, hat er diese dialektische Weltwahrnehmung explizit ausgedrückt. Sein rechtes Auge ist der Mittelpunkt, genau im Schnittpunkt der Diagonalen des Blattes. Es ist weit geöffnet und forschend, als würde der Künstler niemals blinzeln, sondern unsentimental, unentwegt und unbeirrt ins Leben schauen. Das linke Auge ist verschattet und nicht so beschwörend, als hätte es einen anderen, weicheren Zugang zum Kosmos. Die Haare, der Bart und eine Art Kutte als Kleidungsstück sind lediglich der „Rahmen für dieses intensiv fordernde Sehen“ (Pfäfflin). Friedrich war 36 Jahre alt und auf dem Höhepunkt seines Erfolges, hatte doch der preußische König gerade sein Bilderpaar „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“ (1809-1810) angekauft. So mutet diese Zeichnung wie eine programmatische Selbstdarstellung an, in der Friedrich auf sich anwendet, was er ansonsten in Bezug auf Land und Leute tut.
Alte Bilder, neue Forschungen, wieder Sehen lernen
In enger Abstimmung eröffnen die Alte Nationalgalerie und das Berliner Kupferstichkabinett mit „Unendliche Landschaften“ neue und unerwartete Wege durch das Oeuvre von Caspar David Friedrich. Außerdem werden die aktuellen Forschungsergebnisse zu seiner Maltechnik von der Restauratorin Kristina Mösl in drei Kabinetten und an einer Medienstation präsentiert.
Caspar David Friedrich, Mönch am Meer, 1808-1810; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Fotograf: Andres Kilger
Wer also dachte, schon alles über Caspar David Friedrich zu wissen, wird sich hier aufs Schönste wundern können. In seiner Bedeutungsoffenheit und performativen Ambivalenz ist er interpretatorisch nämlich einfach nicht zu fassen, da sind sich Birgit Verwiebe und Anna Pfäfflin einig. Einerseits erzählt er von Melancholie, Einsamkeit, Scheitern – und andererseits von heiteren und vergnügten Momenten, wie auf dem Ölgemälde „Wiesen bei Greifswald“ (1821/1822), wo vor der Silhouette der Stadt mit Kirchturmspitzen und Windmühlen ein paar Pferde auf frischem Grün ausgelassen herumspringen. Und alles projiziert er in „Auge, Herz und Verstand“ (Verwiebe) der Besucher*innen, die mit ihm immer mehr auch über sich erfahren. Was kann einem Besseres passieren, als mit solch grandiosen Kunstwerken neu sehen zu lernen? Ja, vielleicht sogar, wenigstens in Ansätzen, wie der Meister selbst sehen zu lernen? Oder, wie es Caspar David Friedrich einmal schrieb: „Heilig sollst du halten jede Regung deines Gemütes, heilig achten jede fromme Ahndung, denn sie ist Kunst in uns! In begeisternder Stunde wird sie zur anschaulichen Form; und diese Form ist dein Bild!“
Mit seiner letzten Ausstellung als Direktor des Kupferstichkabinetts greift Heinrich Schulze Altcappenberg ein Thema auf, das ihn schon lange beschäftigt…. weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare