Emil Nolde im Hamburger Bahnhof: „Deutsch, stark, herb und innig“
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Lange galt Emil Nolde als Opfer der NS-Kulturpolitik, doch neuere Forschung zeichnet ein anderes Bild. Eine Ausstellung im Hamburger Bahnhof widmet sich dem Zusammenspiel von Werk und Biografie des Künstlers und bringt Licht in ein dunkles Kapitel.
Text: Karolin Korthase
Rot blühender Klatschmohn, leuchtende Sonnenblumenköpfe vor schweren Gewitterwolken, dramatische Wellen und fantastische Gestalten – Emil Nolde wusste meisterhaft mit der Farbpalette umzugehen und schuf starke, berauschende Bilder. Im Gegensatz zu expressionistischen Kollegen wie Max Beckmann oder Ernst Ludwig Kirchner scheute er jedoch politische Sujets. In seinem Werk sucht man größtenteils vergeblich nach verstörenden Großstadtszenen, Kriegseindrücken oder politischen Reaktionen. Als Maler verschloss Nolde vor gewissen Aspekten der Realität ganz einfach die Augen. Dass er dies auch in Hinblick auf seine eigene Biografie getan hat, ist erst seit wenigen Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.
Die Ausstellung „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ im Hamburger Bahnhof nimmt ein düsteres Kapitel in Noldes Leben in den Blick und demontiert einen vom Künstler selbst konstruierten Opfermythos. Dass Nolde einerseits ein von den Nazis Verfolgter war, dessen Werke in der Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ hingen, aber gleichzeitig mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisierte und sich dem Regime anbiederte, ist ein Widerspruch, der nur schwer auszuhalten ist.
Dies gilt besonders in Hinblick auf die Verehrung, die dem Expressionisten nach Kriegsende in Deutschland zuteilwurde. Nicht nur die Kunstwelt feierte den Maler, sondern auch die Politik. Theodor Heuss und Helmut Schmidt waren große Nolde-Fans und schätzten neben der Qualität seiner Gemälde sicher auch die Legende um den unkorrumpierbaren Künstler während der NS-Zeit. Schmidts Begeisterung ging so weit, dass er 1982 im Bonner Kanzleramt eine Ausstellung mit Leihgaben aus Seebüll organisieren ließ.
Jenseits aller Verehrung hat sich die Nolde-Forschung in den letzten Jahren verstärkt dem dunklen Kapitel im Leben des Künstlers gewidmet. Dass Noldes Biografie während der NS-Jahre so umfangreich erforscht werden kann, ist der Öffnung seines gewaltigen Nachlasses zu verdanken. 2013 übernahm Christian Ring als neuer Direktor die Leitung der Nolde Stiftung in Seebüll und verfolgt seitdem eine Politik des offenen und transparenten Umgangs mit der kontroversen Vergangenheit des Künstlers.
Gemeinsam mit dem Historiker Bernhard Fulda und der Kunsthistorikerin Aya Soika, denen er uneingeschränkten Zugang zum Archiv ermöglichte, trieb Ring die längst überfällige Forschung, die extern finanziert wurde, voran. So entstand die Grundlage für die Ausstellung im Hamburger Bahnhof, die das Trio gemeinsam und mit Unterstützung des kuratorischen Teams der Nationalgalerie entwickelte.
„In den Jahrzehnten zuvor wurde der Zugang zum Nolde-Archiv sehr restriktiv gehandhabt“, erzählt Bernhard Fulda. Das Archiv umfasst insgesamt zwischen 25.000 und 30.000 Dokumente, viele davon Briefe Noldes und seiner Frau Ada, in denen Krankheiten, Reisepläne, Kunst und Alltagssorgen besprochen werden. In den Briefen fanden die Forscher aber auch Passagen, die politisch brisant sind. So schrieb Nolde über Hitler: „Der Führer ist groß und edel in seinen Bestrebungen und ein genialer Tatenmensch.“
„Tief im Heimatboden verwurzelt“
Seine eigene Kunst beschrieb Nolde gegenüber Goebbels als „deutsch, stark, herb und innig“. 1938 forderte er vom Propagandaminister die Rückgabe seiner beschlagnahmten Leihgaben: „Ich empfinde diese als besondere Härte und auch besonders, weil ich vor Beginn der Nationalsozialistischen Bewegung als fast einzigster deutscher Künstler in offenem Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst, gegen das unsaubere Kunsthändlertum und gegen die Machenschaften der Liebermann- und Cassiererzeit gekämpft habe.“ Im Jahr 1933 versuchte Nolde erfolglos, dem völkischen Kampfbund für deutsche Kultur beizutreten. Ein Jahr später wurde er Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig.
Viele Jahre lang hoffte er, dass seine expressionistische Kunst, die „tief im Heimatboden wurzelt“, unter Hitler doch noch die Anerkennung finden würde, die sie seiner Ansicht nach verdiente. Er scheute auch nicht vor antisemitischer Rhetorik zurück. So schrieb er zum Beispiel 1933 in einem Brief an seinen Förderer Max Sauerlandt: „Ich möchte gern, daß eine reinliche Scheidung erfolgt, zwischen jüdischer u. deutscher Kunst.“
Doch Noldes Versuche der Anbiederung trugen keine Früchte. Ab 1937 wurde er als „entarteter Künstler“ diffamiert und ab 1941 mit einem Berufsverbot belegt. Insgesamt wurden bis zum Ende der nationalsozialistischen Diktatur mehr als tausend seiner Werke beschlagnahmt. Eine unglaubliche Zahl, die Bernhard Fulda zufolge nachträglich zu einem Symbol für Noldes Opferstatus wurde. „Dabei ist vielen gar nicht bekannt“, so Fulda weiter, „dass das Essener Museum Folkwang erst 1935 insgesamt 455 Bilder, also fast die Hälfte der kurz darauf beschlagnahmten Werke, angekauft hatte.“
In der Ausstellung im Hamburger Bahnhof werden insgesamt 100 Werke aus Noldes OEuvre gezeigt. Fast alle stammen aus dem Bestand der Nolde Stiftung. Laut Stiftungsleiter Ring geht es „zum einen darum, den verfolgten Künstler darzustellen, auf der anderen Seite sollen Noldes Haltung, sein kontinuierliches Anbiedern an das nationalsozialistische Regime und sein widerlicher Antisemitismus thematisiert werden“.
Vier chronologisch gestaffelte Themenbereiche bieten den Besucher*innen dabei Orientierung: Zum Nolde-Kult vor 1933 und zu den Jahren zwischen 1933 und 1938, in denen über die Verortung des Expressionismus im Nationalsozialismus gestritten wurde, wird es jeweils eigene Blöcke geben. Auch die Ausstellung „Entartete Kunst“, die 1937 in München stattfand, spielt hier eine Rolle. In einem dritten Ausstellungskapital werden die Jahre zwischen 1937 und 1945 näher beleuchtet, also die Zeit, in der Nolde als Künstler verfemt wurde und angestrengt um seine Rehabilitierung bemüht war.
Herzstück dieser Sektion – und der Ausstellung – ist eine Rekonstruktion des Bilderraums in Seebüll, mit der vom Künstler selbst vorgenommenen Hängung seiner Werke im Winter 1941/42. Der letzte Teil schließlich rückt den Nolde-Kult nach 1945 in den Fokus. Es geht hier um die Legendenbildung durch den Künstler selbst, aber auch um den postumen Heldenmythos. Die Ausstellung knüpft mit diesen Themen eng an die vorangegangene Ausstellung „Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung. 1933–1945“ der Nationalgalerie an und beleuchtet ein weiteres Kapitel der NS-Kunstgeschichte.
Dunkler Fleck zwischen Überzeugung und Opportunismus
In ihrer Umfänglichkeit zeigt die Ausstellung, wie unterschiedlich die Bewertung der ideologischen Verstrickungen Emil Noldes in den 63 Jahren nach seinem Tod ausfiel. Für Altkanzler Helmut Schmidt schien der dunkle Ideologie-Fleck in Noldes Vergangenheit bei der Rezeption der Bilder keine große Rolle zu spielen. In einem Geleitwort für einen Ausstellungskatalog der Hamburger Kunsthalle schrieb er: „Die NS-Begeisterung Emil Noldes bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unwichtig.“
Aya Soika und Bernhard Fulda, die mit ihren Forschungen in den letzten Jahren vieldazu beigetragen haben, den Mythos des widerständigen Künstlers zu dekonstruieren, warnen in einem Essay vor einem zu „statischen Bild“. Es sei, so schreiben die Forscher, „nicht immer einfach, zwischen persönlicher Überzeugung und zweckgerichtetem Opportunismus zu unterscheiden“. Letztlich wird dies jede*r Besucher*in der Ausstellung für sich selbst entscheiden müssen – das mag vielleicht nicht einfach sein, dafür aber umso wichtiger.
Die Ausstellung wird ermöglicht durch die Freunde der Nationalgalerie und die Nolde Stiftung Seebüll und finanziell unterstützt durch die Friede Springer Stiftung.
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