Porträts ohne Augen, zerbombte Skulpturen, zusammengestückelte Vasen: In der Kunstbibliothek zeigt die von Volontär*innen kuratierte Ausstellung „In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt“ Fragmente von der Antike bis zur Gegenwart. Vier Nachwuchswissenschaftler*innen erzählen von ihrer Arbeit.
Die Erfolgsgeschichte startete 2016 mit „Bart – zwischen Natur und Rasur“, der ersten Ausstellung, die ausschließlich von Nachwuchswissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin kuratiert wurde. Nach „Fleisch“ und „Status – Macht – Bewegung“ warten die Volontär*innen nun mit einer Schau auf, die nur unvollständige oder unvollendete Objekte aus verschiedenen Häusern der SPK zeigt.
Doch wie einigen sich rund 25 Kurator*innen auf ein Thema? „Die Themenfindung war ein demokratischer Prozess: Jeder war aufgerufen, Ideen einzubringen. Es gab dann recht schnell verschiedene Konzeptvorschläge, teils schon mit konkreten Objektvorschlägen. Die Konzepte wurden in der Gruppe vorgestellt und diskutiert. Wichtig war dabei, dass sich das Konzept auf alle Sammlungen übertragen lässt, sich also überall geeignete Objekte finden lassen. Drei Themen hatten sich recht schnell als Favoriten herauskristallisiert.
Anschließend wurde in der Gruppe abgestimmt“, erzählt die ehemalige Volontärin Franziska May. „Ausgangspunkt für die Fragment-Idee waren, anders als man vielleicht vermutet, nicht die offensichtlich fragmentierten Objekte, wie sie zahlreich in den archäologischen Sammlungen vorhanden sind, sondern eher die versteckten Fragmente, wie beispielsweise die spätmittelalterlichen Tafelbilder in der Gemäldegalerie. Bei dem Großteil der auf Holz gemalten Werke handelt es sich in vielerlei Hinsicht um Fragmente, sie sind aber als solche nicht unbedingt sofort für die Besucher*innen erkennbar. Stellvertretend zeigen wir in der Ausstellung ein kleines Werk von Dieric Bouts, einem altniederländischen Maler, das gleich durch mehrfache Fragmentierung zu seinem heutigen Zustand kam.“
Ebenen, die über das einzelne Objekt hinausgehen
„Das erste grobe Konzept zum Thema Fragment wurde dann innerhalb der Gruppe weiterentwickelt und geschärft. Viele der Volontär*innen hatten schnell ein oder mehrere Objekte aus ihren Sammlungen im Kopf, die inhaltlich sehr gut in die geplanten Ausstellungskapitel passten. Daran zeigte sich, dass die Idee, alle Sammlungen einzubinden, aufgeht. Zugleich zeichnete sich schnell ab, dass das Thema uns ermöglicht, zahlreiche Objekte auszustellen, die bisher nur selten oder noch gar nicht gezeigt wurden. Und damit auch bisher noch nicht erzählten Objektgeschichten nachzugehen. Gleichzeitig berührt das Thema Fragment und Fragmentierung Ebenen, die über das einzelne Objekt im Museum hinausgehen, wie etwa Dekontextualisierung durch Sammeln, fragmentierte Provenienzen oder die besondere Situation der lange Zeit geteilten Sammlungen in Ost und West“, so May weiter.
In der Ausstellung sind Objekte aus allen Sammlungen der Staatlichen Museen zu sehen, aber auch Stücke der Staatsbibliothek zu Berlin und dem Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung, die ebenfalls zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz gehören. „Das sind natürlich Objekte, die sich in Form, Material, Zeitstellung, kultureller und geographischer Herkunft stark unterscheiden – von einem kleinen Ohrring aus einem Stück der Berliner Mauer hin zu einer großformatigen Skulptur“, sagt Valentin Veldhues, der als Nachwuchswissenschaftler in der Antikensammlung tätig ist.
„Alle Objekte haben gemeinsam, dass sie Fragmente sind, aber nicht immer auf dieselbe Art und Weise: Es gibt Stücke, die tatsächlich physisch fragmentiert sind, wobei die Hintergründe sehr unterschiedlich sein können: Archäologisches Fundgut kommt stets fragmentarisch aus dem Boden. Andere Objekte wurden auch erst im Museum fragmentiert, beispielsweise die vielen im Zweiten Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogenen Objekte. Daneben gibt es dann aber auch Stücke, die bewusst zerteilt wurden, um sie in anderem Kontext wiederzuverwenden, etwa als Zahlungsmittel aufgrund ihres Materialwertes oder aber um sie inhaltlich umzudeuten. Der Umgang mit Fragmenten war sehr unterschiedlich, wie die verschiedenen Formen von Restaurierung und die darüber anhaltende Debatte bis in die heutige Zeit zeigen.“
Das ‚Sammeln‘ der Objekte kann selbst zur Fragmentierung beitragen
In der Diversität der Objekte liegt der große Reiz der Ausstellung: Es zeigen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Hintergründen und im Umgang mit Fragmenten. Galt unter europäischen Sammler*innen von Antiken im 18. und 19. Jahrhundert die Maxime der Vollständigkeit, diente in der aus Japan stammenden kintsugi-Technik die Reparaturmethode mit Lack und Goldstaub als zusätzliches Zierelement.
„Viele der Objekte zeigen auch, wie das ‚Sammeln‘ der Objekte selbst zur Fragmentierung beitragen kann. Sie werden ausgewählt, ihrem ursprünglichen Kontext entrissen und in einen neuen Kontext gestellt. Nicht zuletzt wird auch die künstlerische Auseinandersetzung – in Europa besonders am Beispiel der vielen Torsi – mit dem Thema Fragment behandelt. Dabei handelt es sich um künstlich geschaffene ‚Fragmente‘ oder Stücke, die solch einen Eindruck erwecken und dabei auch die Frage aufwerfen, was eigentlich ‚Vollständigkeit‘ bedeutet“, erklärt Veldhues.
Die Legende vom autoritären Kuratoren ist längst Vergangenheit, moderne Ausstellungen sind häufig ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Disziplinen und Wissenschaftler*innen. So erzählt Museumsassistentin Josephine Hein: „Ein Gemeinschaftsprojekt war es in der Tat, insgesamt waren rund 25 Volontär*innen beteiligt. Wir haben Arbeitsgruppen gebildet, Aufgaben verteilt und uns regelmäßig in Videocalls zusammengefunden, um den Stand der Dinge zu besprechen. Das erfordert natürlich Vertrauen. Toll war, dass wir so viele verschiedene Kompetenzen im Team hatten, sei es im Bereich Kommunikation, Publikationen oder auch Video- und Schnitttechnik. Dann wiederum kamen die unterschiedlichen Fachdisziplinen zum Tragen. Ich erinnere mich besonders gerne an die lebhaften Diskussionen beim Schreiben der Wandtexte für unsere Ausstellungskapitel. Der Blick auf das Thema ‚Fragmente‘ aus Sicht der Archäologie, Kunstgeschichte oder Kulturwissenschaft, kombiniert mit persönlichen Erfahrungshorizonten ist natürlich immer ein anderer. Das macht ein Gemeinschaftsprodukt ja aus: Wir haben die unterschiedlichen Blickwinkel und Meinungen einbezogen, wodurch ganz besondere Synergieeffekte entstanden sind.“
Über den eigenen Tellerrand hinaus blicken
Ihre Kollegin Christina Dembny ergänzt: „Wir beobachten auch an anderen Museen die Tendenz, eher im Kollektiv zu kuratieren. Das bringt natürlich einen höheren Aufwand an Kommunikation mit sich. Ich halte es aber für ganz entscheidend, über den eigenen Tellerrand hinaus zu blicken. Was sind Aspekte, die ich in meiner eigenen Arbeit vielleicht übersehen habe? Welchen Mehrwert bringt der Austausch, welche Erfahrungen können geteilt werden? Wir stellen uns auch die Frage, wie das Ausstellungsmachen diverser und demokratischer gestaltet werden kann. Das ist im Speziellen für uns Volontär*innen wichtig, aber sicherlich auch für Personen, die schon seit längerer Zeit Ausstellungen machen. Die Vorstellung von einem Kurator, der über allem thront, ist heute nicht mehr die Idealvorstellung wie vielleicht noch vor einigen Jahren.“
Der Mehrwert dieser Zusammenarbeit ist in der sehenswerten Schau unverkennbar. So sieht es auch Florentine Dietrich, die das Referat Museumsentwicklungs- und Strukturplanung in der Generaldirektion der Staatlichen Museen leitet. Sie hofft, dass auch künftige Volontär*innen-Generationen sich an das Projekt „Nachwuchs-Ausstellung“ wagen.
Dieses Gespräch fand am 29.9.2022 zur Eröffnung der Ausstellung „In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt“ unter Moderation von Moritz Wullen in der Kunstbibliothek statt. Aufgezeichnet von Elena Then.
Die Ausstellung wird gefördert von der Ernst von Siemens-Kunststiftung.
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