Frauen sind beim generischen Maskulinum immer auch mitgemeint. Oder? Eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe WEITWINKEL – Globale Sammlungsperspektiven ging dieser Frage nach und kam zu eindeutigen Erkenntnissen.
Text: Lisa Botti
„Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie Du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle“ – das klingt doch logisch und nachvollziehbar? Warum ist unser Sprachgebrauch dann noch immer so ein zwiespältiges Thema welches regelmäßig zu hitzigen Diskussionen führt?
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch von der Freien Universität zu Berlin beschäftigt sich mit dieser Frage. In der öffentlichen Veranstaltungsreihe „Diversität und Vielfalt in Kulturinstitutionen“ erklärte er Anfang Juli die Komplexität des Themas sowie Lösungsansätze in Form der „Goldenen Regel“ einem interessierten Publikum von 80 Teilnehmer*innen.
Eine Frage der Moral
Ziel der Veranstaltung war, die Bedeutung der Sprache für ein vielfaltssensibles Miteinander aufzuzeigen und damit einen Sensibilisierungsprozess anzustoßen, der Rassismus und Diskriminierung sprachlich vorbeugen kann.
Anatol Stefanowitschs goldene Regel, „Stelle andere sprachlich nicht so dar, wie Du nicht wollen würdest, dass man dich an ihrer Stelle darstelle“, wird auch in seinem 2018 im Duden Verlag erschienenen Buch „Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ erklärt.
Änderung der Grundordnung
In unserer Veranstaltung nutzte Stefanowitsch das Beispiel der Perspektivumkehr, um seine Regel zu veranschaulichen: In der Grundordnung der Universität Leipzig wurde 2013 das sogenannte generische Maskulinum, das oftmals als geschlechtsneutrale Form betrachtet wird, kurzerhand umgedreht. Ein vergleichender Auszug aus der Fassung von 2004 und 2013 illustriert die Veränderung:
Grundordnung der Universität Leipzig, Fassung von 2004: §6(6) Inhaber einer Funktion oder eines Mandats sind verpflichtet, im Falle ihres Rücktritts oder nach Ablauf ihrer Amtszeit ihre Funktion oder ihr Mandat verantwortungsvoll weiterzuführen, bis ein Nachfolger bestellt oder gewählt ist, wenn kein Stellvertreter oder Ersatzvertreter bestimmt ist. §1(4) Für den gesamten folgenden Text schließen grammatisch maskuline Formen zur Bezeichnung von Personen solche weiblichen und männlichen Geschlechts gleichermaßen ein.
Grundordnung der Universität Leipzig, Fassung von 2013: §3(6) Inhaberinnen einer Funktion oder eines Mandats sind verpflichtet, nach Ablauf ihrer Amtszeit ihre Funktion oder ihr Mandat verantwortungsvoll weiterzuführen, bis eine Nachfolgerin bestellt oder gewählt ist, wenn keine Stellvertreterin oder Ersatzvertreterin bestimmt ist. Fn. 1 In dieser Ordnung gelten grammatisch feminine Personenbezeichnungen gleichermaßen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts.. […]
Die Reaktionen in der Presse sowie von anderen Fakultäten waren erstaunlich:
„An der Uni Leipzig sind Männer bald auch Frauen“ (dpa, 4.6.2013), „[A]n der Uni Leipzig gibt es jetzt satzungsgemäß keine Männer mehr“ (Mainpost, 14.6.2013), „Wir werden [diesem Beschluss] nicht folgen. Kein männlicher Student der Juristenfakultät Leipzig muss damit rechnen, als ‚Studentin’ angesprochen zu werden“ (Juristische Fakultät der Universität Leipzig, Juni 2013), „Völlig absurd“ (Ricarda Bauschke-Hartung, Prorektorin der Univ. Düsseldorf, 7.6.2013), „Gender-Wahn an der Uni Leipzig“ (rtl.de, 4.6.2013)
Männer aus der Fassung
Daraus folgte für Anatol Stefanowitsch eine eindeutige Schlussfolgerung: „Wenn es Männer derart aus der Fassung bringt, nur „mitgemeint“ zu sein, dürfen sie es auch Frauen und non-binären Menschen nicht zumuten, nur „mitgemeint“ zu sein.“
Auf dieses Argument folgen in der Regel drei Einwände:
1. Frauen und non-binäre Personen seien nicht nur „mitgemeint“, sondern direkt mit angesprochen, denn das Maskulinum ist eine geschlechtsneutrale Form.
2. Frauen seien vom Maskulinum nur „mitgemeint“, aber alle anderen Formen verursachen Verständnisprobleme und schließen viele Menschen von der Teilhabe an Kommunikation aus.
3. Frauen seien vom Maskulinum nur „mitgemeint“, aber den Argumentierenden als Mann würde das umgekehrt auch nicht stören.
Allen drei Argumenten ist die Behauptung gemein, der aktuelle Sprachgebrauch sei nicht diskriminierend. Um diese Annahme jedoch endgültig zu widerlegen, legte Anatol Stefanowitsch eine eindrucksvolle Studie mit dem Titel „Nennen Sie 5…“ vor. In dieser experimentellen Erhebung wurde aufgezeigt, dass bei der Frage: „Nennen Sie 5 Sportler“ circa 80 Prozent männliche und 20 Prozent weibliche Sportler*innen genannt wurden. Bei der Frage: „Nennen Sie 5 Sporttreibende“ wurden 74 Prozent Männliche und 26 Prozent Weibliche genannt. Bei „Nennen Sie 5 Sportlerinnen und Sportler“ ein ähnliches Resultat: 75 Prozent Männliche und 25 Prozent Weibliche. Bei „Nennen Sie 5 SportlerInnen“ 60 Prozent männlich zu 40 Prozent weiblich und bei „Nennen Sie 5 Sportler*innen“ 70 Prozent männlich zu 30 Prozent weiblich.
Frauen nicht mitgedacht
Kurzum lässt sich sagen: Der aktuelle Sprachgebrauch ist indirekt diskriminierend, da Frauen eben offensichtlich nicht mitgedacht werden, wenn wir das sogenannte „geschlechtsneutrale“ Maskulinum verwenden.
Für Anatol Stefanowitsch ist die Sache klar: „Gerechte Sprache allein schafft noch keine gerechte Welt. Aber indem wir sie verwenden, zeigen wir, dass wir eine gerechte Welt überhaupt wollen.” Der Weg dahin ist noch weit, aber wir alle können zumindest mithelfen und durch die Verwendung von geschlechtsneutraler Sprache unseren Willen zu einer gerechteren Welt deutlich machen – in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der gesamten Gesellschaft.
Die Reihe „Diversität und Vielfalt in Kulturinstitutionen” findet jeden ersten Donnerstag im Monat statt und hat zum Ziel, über das Thema Diversität zu informieren, seine verschiedenen Facetten zu beleuchten und praktische Umsetzungen an Kulturinstitutionen zu diskutieren. Die Veranstaltungsreihe ist im Rahmen von „WEITWINKEL – Globale Sammlungsperspektiven” sowie der Initiative „Diversität als Narrative, Diversität als Wirklichkeit“ am Museum für Islamische Kunst konzipiert worden.
Die Ausstellungsintervention „Objektwege – Von der Kunstkammer ins Museum“ hinterfragt die museale Praxis: Welche Rolle haben Museen heute, wie werden… weiterlesen
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