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Azu Nwagbogu und Sven Beckstette, Kuratoren bei „Hello World“

Azu Nwagbogu und Sven Beckstette, Kuratoren der Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof – Museums für Gegenwart – Berlin. © Staatliche Museen zu Berlin, David von Becker
Azu Nwagbogu und Sven Beckstette, Kuratoren der Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof – Museums für Gegenwart – Berlin. © Staatliche Museen zu Berlin, David von Becker

Die beiden Kuratoren Azu Nwagbogu und Sven Beckstette haben gemeinsam das Kapitel „Colomental“ in der Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof entwickelt. Wir stellten den beiden sechs Fragen zu ihrer Arbeit und ihren Ansätzen.

Welche Schwerpunkte oder Leerstellen haben sich in der Sammlung der Nationalgalerie für Sie gezeigt?
Sven Beckstette: Als wir unsere Sammlung durchsahen, fiel uns auf, dass wir kaum Arbeiten von modernen oder zeitgenössischen Künstler*innen besitzen, die zu Ländern oder Themenfeldern des afrikanischen Kontinents in Beziehung gebracht werden können. Um diese Leerstelle zu schließen, haben wir darüber nachgedacht, welches Thema heute als dringlichst in der Beziehung zwischen bestimmten afrikanischen Staaten und Deutschland erfahren wird, das auch von Künstler*innen aufgegriffen wurde. Seit einigen Jahren gibt es hierzulande ein tieferes Verständnis für die koloniale Vergangenheit. Unter dem Titel „Colomental“ versammeln wir Werke der vier zeitgenössischen Künstler*innen Joël Andrianomearisoa, Peggy Buth, Astrid S. Klein und Dierk Schmidt.
Azu Nwagbogu: Meiner Meinung nach können Leerstellen für eine Sammlung sogar sehr gesund sein, wenn das Museum die fehlenden Glieder zur Sprache bringt. Als nigerianischer Kurator ist mir natürlich bewusst, dass die Sammlung der Nationalgalerie nicht „inklusiv“ ist. Aber ich ziehe es vor, dies positiv zu beleuchten. Wir sollten uns nicht auf die Defizite der Sammlung fokussieren, sondern die freien Räume als eine Möglichkeit in Betracht ziehen, neue Dynamiken und offene Plattformen innerhalb einer etablierten Institution zu kreieren.

Mit welchen Objekten knüpft Ihr Ausstellungsteil an diese Bestände an?
Beckstette: In diesem Fall keine Objekte, sondern mehr die Frage, was das Thema Kolonialismus für eine Institution bedeutet, bei der es sich um die Nationalgalerie eines Landes mit einer lange verdrängten, aber gleichfalls sehr gewalttätigen Kolonialgeschichte handelt.
Nwagbogu: Ich beanspruche für mich weder Leerstellen zu füllen, noch beabsichtige ich Referenzen zu bestimmten Kunstwerken der Sammlung herzustellen. „Colomental“ sollte als Sprungbrett betrachtet werden, als ein Angebot, die Perspektive von innen heraus zu verändern. Hoffentlich wird sich der Besucher Aspekte unseres Ausstellungsteils einprägen und sich diese vielleicht bei der Begegnung mit anderen Objekten des Museums vergegenwärtigen.

Welche Perspektive trägt Ihr Kapitel zur Ausstellung als Ganzes bei?
Nwagbogu: Ich lehne es ab, als ein Kurator betrachtet zu werden, der lediglich die afrikanische Perspektive beiträgt. Ich hoffe wirklich, dass die Besucher den globalen und holistischen Ansatz, den wir versucht haben zu erreichen, erfassen werden. Eigentlich trägt unser Ausstellungskapitel nicht eine bestimmte Perspektive bei, „Colomental“ soll vielmehr Perspektiven hinterfragen.
Beckstette: Tatsächlich ist dieser Ausstellungsteil im Austausch entstanden. Ich sehe ihn deshalb auch als Versuch, mehrere Perspektiven zuzulassen, da es eine einzige Sichtweise nun wirklich nicht gibt.

Welche Verbindungen gibt es zu Ihrer bisherigen kuratorischen Arbeit?
Nwagbogu: Als Kurator war ich schon immer daran interessiert, kulturelle Sicherheitszonen zu schaffen, in denen Künstler unterschiedlicher Kontinente frei interagieren und dauerhafte Diskurse initiieren können. Wir sollten unsere Hemmschwellen überwinden und unsere Gegenüber herausfordern, um neue Narrative zu etablieren. Mit „Colomental“ schaffen wir es möglicherweise, einen Raum zu choreographieren, in dem dies gelingen könnte.
Beckstette: Ich habe mich in meiner wissenschaftlichen Arbeit immer wieder mit dem Verhältnis von Kunst und Geschichte auseinandergesetzt. Die Frage, wie Künstler*innen auf Vergangenheit und Gegenwart reagieren, um – wie Azu richtig sagt – neue Narrative zu etablieren, sehe ich gleichfalls als wesentlichen Aspekt von „Colomental“ an.

Warum ist es heute dringend notwendig, die Kunstgeschichtsschreibung und die Idee des Kanons zu hinterfragen?
Nwagbogu: Der etablierte Kanon der Kunstgeschichte wird bereits seit einiger Zeit hinterfragt. Vielleicht nicht in dem Tempo, in dem ich es mir wünschen würde, aber eine Phase des Umschwungs wurde auf den Weg gebracht; zum Beispiel durch Blogs, Onlinemagazine, unabhängige Kreativräume und natürlich auch akademische Institutionen. Die Dringlichkeit den Kanon zu verändern, liegt auf der Hand: Nur wenn wir Regionen, Geschichten und Themen berücksichtigen, die für lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurden, wir es uns gelingen, globale Phänomene zu verstehen.
Beckstette: Der Kanon der Kunstgeschichte wurde immer hinterfragt und zwar als erstes von den Künstler*innen selbst. Durch das Verständnis von globalen Zusammenhängen im Feld der Kunst hat sich jedoch in den letzten Jahren gezeigt, dass ein Denken in dem Schema von Zentrum und Peripherie die vielschichtigen Prozesse und Dynamiken von sich zeitgleich an unterschiedlichen Orten ereignenden Kunstproduktionen nicht gerecht wird. Außerdem sollte sich auch an den Wänden im Museum die Struktur einer multiethnischen Gesellschaft wiederfinden oder wie in unserem Teil, mehrere Blickwinkel auf die Geschichten zusammengebracht werden, durch die zwei oder mehrere Länder miteinander verbunden sind.

Was kann ein Museum und eine Sammlung im Besonderen dabei leisten?
Beckstette: Sammlungen sind historisch gewachsen und spiegeln den Kunstbegriff und die Ästhetik vergangener Zeiten wider. Ausgehend vom singulären eigenen Bestand kann ein Museum diese Kategorien immer wieder hinterfragen, um Entwicklungslinien, Brüche, Widersprüche und Gegensätze aufzuzeigen. Denn das Museum verbindet über die Kunstwerke die Vergangenheit mit der Gegenwart.
Nwagbogu: Eine Museumssammlung ist darauf ausgelegt, nachhaltig und konsistent zu sein. Im Vergleicht zu flüchtigen und kommerziellen Assoziationen besitzt ein Museum das akademische Rückgrat wohl überlegt und aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu auszuwählen. Obgleich eine Museumssammlung als Entität nicht flexibel ist, haben Kuratoren die Möglichkeit, zu spielen, zu hinterfragen und zu re-arrangieren. Am Ende geht es nicht um die Sammlung, sondern darum, dass wir Kuratoren einen Unterschied erzielen können.

Die Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ findet noch bis 26.8.2018 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin statt.

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