Was macht eigentlich ... :

Natasha Ginwala, Kuratorin bei “Hello World”

Die Ausstellung „Hello World. Revision einer Sammlung“ im Hamburger Bahnhof wurde von einem internationalen, 13-köpfigen Team entwickelt. Wir haben die Beteiligten zu dem Projekt befragt. Natasha Ginwala hat den Ausstellungsteil zur indischen Moderne entwickelt.

Welche Schwerpunkte oder Leerstellen haben sich in der Sammlung der Nationalgalerie für Sie gezeigt?

Natasha Ginwala: Während sich die Nationalgalerie in erster Linie darauf fokussierte, eine Sammlung euroamerikanischer Moderne und zeitgenössischer Kunst aufzubauen, berücksichtigt diese Ausstellung globale Netzwerke der kolonialen Moderne sowie das Wirken des Künstlers als kosmopolitische Figur. Trotz dieses verspäteten Versuchs, ist es notwendig, kritischere Rahmenwerke und eine kuratorische Sprache zu formen, die das Museum als einen Raum für die Reflexion der eigenen Sammlungsgeschichte öffnen, mit der die Institution verbunden ist und der Reflexion dessen, was diese ersuchte aus dem Narrativ auszuschließen.

Mit welchen Objekten knüpft Ihr Ausstellungsteil an diese Bestände an?

Natasha Ginwala: Das Kapitel ‚Ankunft, Einschnitt. Indische Moderne als gewundener Pfad‘ beinhaltet unterschiedliche Werke der modernen indischen Malerei der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst, welche zwischen den 1960er und 1980er Jahren von dem Archäologen und Kurator Herbert Härtel, während seiner Zeit als Direktor im Museum für Asiatische Kunst, erworben wurden. Darunter sind Arbeiten von bahnbrechenden Künstlern wie Ram Kumar, Krishen Khanna, Satish Gujral, Biren de, Laxman Pai und anderen, die über Jahre im Depot lagerten. Die Berliner Öffentlichkeit war sich dessen kaum bewusst, dass diese Exponate sich als Teil der institutionellen Geschichte auszeichnen. Mein Bestreben lag darin, den Besuchen und Ausstellungen des Philosophen und Poeten Rabindranath Tagore in Berlin und der „verlorenen Werke“ der Nationalgalerie während des Nationalsozialismus nachzugehen. Ein weiteres Beispiel ist die Skulptur von Anish Kapoor, 1000 Names, die inmitten anderer Arbeiten gezeigt wird, welche eine fragwürde Beziehung mit der indischen abstrakten Kunst sowie dem religiös-philosophischen Ansatz des Tantras darstellen.

Welche Perspektive trägt Ihr Kapitel zur Ausstellung als Ganzes bei? 

Natasha Ginwala: Dieser Teilbereich der Ausstellung offenbart das Wirken von Künstlern des indischen Subkontinents in Paris, Mexiko, New York und London in Zeiten nach erlangter Unabhängigkeit. Er scheut nicht davor zurück, politische Nuancen der Nehruvian-Periode und das Trauma der Teilung, ebenso wie den Einfluss indischer Philosophie, religiöser Literatur, Kino und kollektiver Produktion künstlerischen Vokabulars anzusprechen. Als Gast-Kuratorin war es mein Anliegen, Kunstwerke einzubeziehen, die nicht Teil des Sammlungsbestandes des Museums für Asiatische Kunst und der Nationalgalerie sind, um ästhetisch und sozial fundierte Beziehungen zu reimaginieren und die Ausstellung als Dialograum zu realisieren.

Welche Verbindungen gibt es zu Ihrer bisherigen kuratorischen Arbeit?

Natasha Ginwala: Der kuratorische Ansatz, den ich in dem Bereich der Ausstellung verfolge, gleicht jener kuratorischen Arbeit, die Teil der Dokumenta 14 in Athen und Kassel war, sowie der 8. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst für die das Ethnologische Museum in Dahlem der größte Anlaufpunkt war: Die Betrachtung von Aspekten ausradierter und unbeachteter Verläufe in der Moderne, insbesondere des globalen Südens, sowie die aktive Auseinandersetzung mit Strukturen der Präsentationspolitiken und formaler Repräsentation bei gleichzeitiger Behandlung spekulativer und transhistorischer Verbindungen zwischen kultureller Praktik einerseits und Formen des Wissens andererseits.

Warum ist es heute dringend notwendig, die Kunstgeschichtsschreibung und die Idee des Kanons zu hinterfragen?

Natasha Ginwala: Wie Chinua Achebe mahnte: „Solange die Löwen nicht ihre eigenen Historiker haben, werden die Jagdgeschichten weiter die Jäger verherrlichen“. Lasst uns immer bewusst sein, „wer spricht für wen?“. Es besteht eine Dringlichkeit zur Dekolonialisierung des kunsthistorischen Kanons, zur Findung neuer Ausgangspunkte und Kontaktbereiche, bei zusätzlicher Untersuchung von Aspekten wie Geschlechterungleichheit, institutioneller Rassismus und Klassenhierarchie, welche uns erlauben werden den Kanon heute zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Die Herausforderung, die der Kunstgeschichte inhärent ist, besteht in der notwendigen und unweigerlichen Betrachtung der Geschichte von Gewalt und Enteignung, ohne die sie ein mangelhaftes und brüchiges Narrativ bleibt.

Was kann ein Museum und eine Sammlung im Besonderen dabei leisten?

Natasha Ginwala: In jüngerer Zeit gab es Bestrebungen zur Neupositionierung innerhalb des Aufbaus von Sammlungen unter Museen des globalen Nordens wodurch Museen langsam ihre Forschungsschwerpunkte veränderten und die Einbindung von Experten förderten, die den globalisierten Kontext stärker repräsentierten. Dennoch bedarf es eines langen Weges und diese Annäherungen müssen die gelebte Geschichte diasporischer und verdrängter Gemeinschaften einbeziehen.  Bestimmte ranghafte  Museen verfolgen auch Strategien des Verkaufs bestehender Sammlungsteile, um eine nuanciertere und facettenreichere Repräsentation künstlerischer Praktiken unseres Umfelds aufbauen zu können. In Zeiten großer Unruhe müssen die Museen statt eines Elfenbeinturms vielmehr ein Forum zur kritischen Debatte und ein Ort der Korrespondenz sein – eine kommunale Plattform auf der Entwicklungsverläufe kultureller Differenzen, vielstimmiger Sprache und Dissonanzen ausgelebt werden können.

Die Ausstellung “Hello World. Revision einer Sammlung” findet noch bis 26.8.2018 im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin statt.

Übersetzung: Ricarda Bergmann 

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