Inspiration und Ermutigung. Die kollaborative Medien-Plattform MiA in Zeiten von Corona
Lesezeit 10 Minuten
Die in New York und Beijing ansässige Plattform MiA („Make it
Active“) Collective Art hat sich der medialen Vernetzung von
Künstler*innen verschrieben. In der Corona-Pandemie entwickelte sich das
Netzwerk zu einer besonderen Form der Krisenbewältigung. Uta
Rahman-Steinert vom Museum für Asiatische Kunst sprach mit den
Initiatorinnen des Projekts, Grace Noh und Yichen Zhou.
Bevor
das Museum für Asiatische Kunst wegen der Vorbereitungen für den Umzug
ins Humboldt Forum seine Ausstellungen temporär schließen musste,
spielte zeitgenössische Kunst im Ausstellungsbetrieb eine wichtige
Rolle. Zwar umfasst die Sammlung überwiegend Artefakte aus vergangenen
Jahrhunderten, doch wurden diese in wechselnden Ausstellungen oft im
Dialog mit Gegenwartskunst präsentiert, um derart den Blick auf die
Sammlung durch neue Perspektiven zu bereichern. Besucher*innen sollten
auch erleben können, dass die Kulturen, aus denen die Museumsobjekte
stammen, in veränderter Weise Wirkungen bis in das Heute entfalten. In
diesem Zusammenhang wurden viele Kontakte zu Künstler*innen geknüpft,
die ihre Wurzeln in den Kulturen Asiens haben. In Zeiten von Corona
hat sich die Pflege dieser Kontakte nicht gravierend verändert. Über die
ganze Welt verstreut, kommunizierten wir auch in der Vergangenheit per
E-Mail, (Video-)Telefon oder soziale Medien. Was uns in den letzten
Jahrzehnten zur Selbstverständlichkeit geworden ist, entpuppt sich aber
nun in dieser Situation, da wir gehalten sind, an unseren angestammten
Orten zu bleiben, als Segen. Kaum vorstellbar, wie es wäre, wenn wir
diese Netzwerke nicht nutzen könnten! Viele Künstler*innen und
Kurator*innen zeigen sich erfinderisch und nutzen das Internet in
kreativer Weise, um ihre Inhalte in die Öffentlichkeit zu bringen,
obwohl Ausstellungsräume geschlossen sind oder zumindest (noch) nicht im
gewohnten Umfang zur Verfügung stehen. Gut möglich, dass sie auf diese
Weise ein breiteres Publikum erreichen, als es in herkömmlichen
Ausstellungsräumen der Fall gewesen wäre!
MiA
(„Make it Active“) Collective Art ist eine in New York basierte
Plattform, die sich explizit der Nutzung von Medien verschrieben hat, um
Protagonist*innen aus unterschiedlichen künstlerischen Genres zu
vernetzen und ihnen Möglichkeiten zum öffentlichkeitswirksamen Austausch
zu bieten. Unmittelbar auf die gegenwärtige Situation reagierend, hat
MiA Collective Art eine dreiteilige Ausstellungsserie zum Thema
initiiert: „The COVID-19 Diaries Series“. Teil 1: Isolation und Teil 2:
New Normal sind bereits online unter miacollectiveart.com.
Uta Rahman-Steinert vom Museum für Asiatische
Kunst unterhielt sich mit den Initiatorinnen des Projekts, Grace Noh
(GN) und Yichen Zhou (YZ).
Stellt Ihr Euch bitte kurz vor? Womit beschäftigt Ihr Euch und was hat Euch bewegt, die Plattform zu gründen?
GN: Ich bin in New York als Kuratorin tätig.
YZ: Ich arbeite als Videokünstlerin und Fotografin, früher in New York, jetzt in Beijing.
GN: Wir haben uns 2014 kennengelernt, kurz nachdem ich mein Studium am
Institute of Fine Arts an der New York University mit einem MA in
Kunstgeschichte abgeschlossen hatte. Yichen war eine von drei
Künstler*innen in der ersten Ausstellung, die ich kuratiert habe. Bei
meiner Suche nach jungen Künstler*innen mit einem experimentellen Ansatz
fiel mir Yichens Arbeit auf. Sie hatte gerade ihr Studium an der
Parsons School of Design (MFA in Fotografie und verwandten Medien)
beendet, wir waren also beide Neueinsteiger in der Kunstwelt. Wir wurden
schnell gute Kolleginnen und teilten eine Menge gemeinsamer Ideen. Wir
wollten eine Plattform etablieren – einen digitalen Projektraum – wo
Künstler*innen mit inspirierenden Ideen Teil unserer gemeinsamen
Projekte werden konnten. So entstand MiA Collective Art. Unsere Mission
ist es, künstlerische Schaffensprozesse zu befördern und wir hoffen,
dieses kreative Unterfangen an die kommende Generation weitergeben zu
können.
Viele
der Protagonist*innen auf der Website kommen aus (Ost-)Asien. Ist das
eine bewusste Entscheidung oder ergab sich das aus Euren eigenen
Arbeitszusammenhängen? Andererseits habe ich den Eindruck, dass Ihr eine
regionale Eingrenzung vermeiden wollt.
YZ: Wir suchen nicht ausdrücklich nach Künstler*innen aus Asien, aber es
hat sich ergeben, dass wir viele Kolleg*innen von dort kennen. Ich lebe
zurzeit in Beijing, also treffe ich automatisch viele Künstler*innen und
Kurator*innen aus China oder solche, die hier Studien- oder
Arbeitsaufenthalte absolvieren. Es ergibt sich einfach, dass wir eine
Menge Künstler*innen aus Asien kennenlernen.
GN: In New York haben wir mit Künstler*innen aus unterschiedlichen Ländern
zusammengearbeitet. Es ist faszinierend, wie viele hier kommen und
gehen. Weil Yichen in Beijing lebt und ich häufig meine Familie in Seoul
besuche, ergeben sich mehr Gelegenheiten, diverse Städte in Asien zu
besuchen und dort Projekte zu machen. Es ist nicht beabsichtigt, aber es
ergeben sich mehr Möglichkeiten, Künstler*innen von dort zu treffen. Im
Moment widmen wir unsere Website der aktuellen Ausstellungsserie, an
der mehr als 20 Kreative teilnehmen. Als Yichen und ich die
Online-Ausstellungsserie im Februar diskutierten, war es unsere
Intention, mit Künstler*innen aus Ländern zusammenzuarbeiten, die stark
von der Pandemie betroffen sind. Daher kommen viele der Teilnehmenden in
Teil I: Isolation aus China, einfach weil Corona zu jener Zeit in
anderen Ländern noch nicht als Pandemie angesehen wurde. Dagegen hatten
wir, als wir Teil II: New Normal vorbereiteten, der Anfang Mai online
ging, die Möglichkeit, mit mehr Künstler*innen aus anderen Ländern zu
kooperieren, weil Corona da schon zur globalen Pandemie geworden war.
Warum kuratiert Ihr jetzt eine
Ausstellungsserie zu diesem Thema? Hören, sehen und lesen wir nicht
ohnehin den ganzen Tag genug über Corona und die Auswirkungen?
GN: Yichen hat diese Ausstellungsidee im Februar vorgeschlagen. Sie lebt
momentan die meiste Zeit in Beijing, war da schon in der Isolation und
verbrachte ihre Zeit zu Hause.
YZ: Ja, die
Verbreitung von Corona hatte das Leben der Menschen in China schon im
Februar beeinträchtigt. Ich saß zu Hause fest und konnte weder in mein
Atelier gehen noch andere Künstler*innen treffen. Ich dachte, dass wir,
also MiA, online etwas tun könnten, und Grace und ich führten ein langes
Telefonat zu dieser Idee.
GN: Wir wussten
schnell, dass wir ein gemeinsames Projekt mit Künstler*innen machen
wollten, die, wie Yichen sagte, drinnen festsaßen. Wir wollten diese
Künstler*innen unterstützen, und wenn es nur in marginaler Weise war,
damit sie in dieser schwierigen Zeit positiv und in Verbindung bleiben
konnten. Wir dachten vor allem an Künstler*innen in China und Korea,
weil diese beiden Länder zu jener Zeit am heftigsten von der Pandemie
betroffen waren. Anfang März propagierten dann sehr viele Länder rund um
den Globus, Abstand zu halten, und alle Kunst- und Kultureinrichtungen
hatten auf unbestimmte Zeit ihre Türen geschlossen. Da war klar, dass
wir unser Projekt ausdehnen wollten: Es wurde zu einer dreiteiligen
Serie von Online-Ausstellungen mit Künstler*innen aus Europa, Asien und
den Vereinigten Staaten.
YZ: Wir hören zwar
täglich schon in den Nachrichten und den sozialen Medien von Corona,
aber unser Projekt beschäftigt sich ja nicht mit der Verbreitung von
Informationen und Statistiken, wie sie uns die Nachrichten liefern.
Diese Ausstellungsserie ist eine unmittelbare Reaktion auf die
gegenwärtige Situation. Auf diese Weise dokumentieren wir, wie wir sie
durchleben. Es geht darum, in Verbindung zu bleiben, indem wir die
Momente miteinander teilen und uns bemühen, uns gegenseitig zu
inspirieren, während wir isoliert bleiben müssen.
Beschreibt bitte Euer kuratorisches Profil. Was muss man mitbringen, um Teil Eurer Online-Ausstellungen zu werden?
GN & YZ: Was
man mitbringen muss, sind Enthusiasmus und Offenheit für die
Zusammenarbeit, außerdem wirkliches Interesse an dem, was gegenwärtig in
der Welt passiert. Wir haben eine lange Liste von Künstler*innen, mit
denen wir zusammengearbeitet haben und mit denen wir in Zukunft noch
zusammenarbeiten wollen. Es sollte erwähnt werden, dass wir unter
Künstler*innen nicht nur solche mit Professionen im Bereich der
visuellen Künste verstehen, sondern auch Autor*innen, Musiker*innen und
Filmemacher*innen einschließen, die in der heutigen KreativIndustrie
interdisziplinäre und experimentelle Ansätze entwickeln. Wir sind offen
für alle und jede/n, die für die Kunst brennen und wir erwarten von
allen, mit denen wir zusammenarbeiten, einander zu respektieren und
darüber nachzudenken, was Zusammenarbeit bedeutet, bevor sie sich uns
anschließen.
Ihr
habt bereits mehrere Ausstellungen veröffentlicht, dazu gehören
Projekte im Bereich Film bzw. Video, Foto und Design. Auf Eurer Website
gibt es aber außerdem Artikel zu so verschiedenen Themen wie Zeit,
Klangkunst oder Hannah Arendt, eine Interviewserie mit ganz
unterschiedlichen Künstler*innen sowie einen Salon zu Kunst und Musik.
Was ist die Klammer für dieses vielschichtige Programm?
GN & YZ: Wie gesagt, wir sind ein Kunst-Kollektiv inspirierter Geister und
unsere Definition von Künstler*innen schließt visuelle Künstler*innen,
Schriftsteller*innen, Dichter*innen, Filmemacher*innen, Musiker*innen,
Komponist*innen ein – im Grunde alle Kreativen. Natürlich begrüßen wir
interdisziplinäre Kooperationen, wie sie auch unsere Website
reflektiert. Wir glauben nicht, dass Inspiration nur aus einer Disziplin
kommen muss. Es ist eher wie bei einem Orchester. Zum Entstehen eines
Werks tragen Erfahrungen, Erinnerungen, Gedanken und Ideen bei, die aus
verschiedenen kreativen Quellen schöpfen. In einem Meeting sprechen wir
nicht nur über Kunst. Vielleicht diskutieren wir über einen Film oder
über Konzerte, die uns inspiriert haben – wie bestechend das Licht in
einem Konzertsaal war oder wie brillant die Kameraeinstellung in einem
Film. Wir lernen von den Sparten, mit denen wir nicht direkt zu tun
haben und überlegen, wie wir einige dieser Ideen in das integrieren
können, was wir tun. Deshalb schätzen wir so ein breites Spektrum an
Aktivitäten sehr und vielleicht ist genau das unsere spezielle Art der
Zusammenarbeit.
Welche
Rolle spielen Museen für Eure Arbeit? Inspirieren sie Euch, bieten sie
Euch vielleicht sogar ein Forum, Eure Inhalte zu präsentieren?
GN & YZ: Ohne Museen würde unser Kunst-Kollektiv den Glanz seines künstlerischen
Schaffens einbüßen. Museen bereichern den Alltag der Menschen ganz
erheblich. Nicht nur, dass sie Menschen inspirieren, kreativ zu sein und
zu denken, sie stellen auch die Probleme kritisch auf den Prüfstand,
mit denen Gesellschaften konfrontiert sind und vernetzen alle auf einer
menschlichen Ebene. Viele dieser für uns entscheidenden Orte sind wegen
der Pandemie auf unbestimmte Zeit geschlossen. Jetzt, da viele von uns
die meiste Zeit zu Hause verbringen und mit der Kunstwelt durch die
sozialen Medien in Verbindung bleiben, schätzen wir die digitalen
Inhalte der Museen ganz besonders. Das Tolle an den großen Institutionen
ist, dass sehr viele Menschen ihre Angebote nutzen und online mit ihnen
verbunden sein möchten. Ihre Sichtbarkeit in der digitalen Welt ist
enorm, anders als die von kleinen Kunst-Organisationen und -Vereinen.
Wir meinen, dass es für diese großen Player entscheidend ist, mit
vielfältigen Online-Programmen für ihr Publikum aktiv zu sein. Auch wenn
ein Online-Besuch nicht an das heranreicht, was es bedeutet, Kunst im
Original zu sehen, denken wir doch, dass es für Museen eine Rolle
spielt, mit ihrem Publikum über Online-Angebote in Kontakt zu bleiben.
Schließlich versucht sogar ein kleines Kunst-Kollektiv wie wir sein
Bestes, um in diesen wirren Zeiten für gute Laune zu sorgen!
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