Im Münzkabinett im Bode-Museum wird mit „Ius in nummis“ eine großartige Neuerwerbung vorgestellt. Die Münz- und Medaillensammlung des deutschen Staatsrechtlers Thomas Würtenberger umfasst mehr als 3.000 Objekte und fokussiert die neuzeitliche Rechtsgeschichte Westeuropas.
Text: Irene Bazinger
Für Kinder war es schon immer verlockend, eine Münze auf die Schienen der Straßenbahn zu legen und dann abzuwarten, was das schwere Gefährt mit dem Geldstück machen würde. Nichts Gescheites meistens, bloß eine platt gewalzte Erinnerung an Prägung und Ziffern! Wie gut, dass es die alten Griechen und Römer und ihre Nachfahren – nicht nur mangels Straßenbahn – anders gehalten haben. Sonst hätten wir all die Münzen und Medaillen nicht mehr, die uns heute von einer Vergangenheit erzählen, die dank ihrer präzisen Zeichnung auf kleinstem Raum lebendig werden kann. Zum Beispiel in der Sammlung Thomas Würtenberger, die seit kurzem zur Gänze in die Hände des Münzkabinetts im Bode-Museum übergegangen ist. Sie umfasst über 3000 Objekte, die der Staatsrechtler und Hochschullehrer Thomas Würtenberger in zweiter Generation angelegt und aufgebaut hat, in Fortführung der Sammlung seines Vaters, des gleichnamigen Strafrechtlers und Rechtsphilosophen.
Es handelt sich vorwiegend um Medaillen, zum Teil auch Münzen, die in einem Zeitraum von der Renaissance im 15. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart entstanden. Ihr Schwerpunkt natürlich: Das Recht in all seinen Facetten. Wie kommt so eine exquisite, in ihrer Komplexität weltweit einzigartige Sammlung aus dem süddeutschen Raum nach Berlin? Johannes Eberhardt, seit 2019 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Münzkabinett, ist der Stolz auf sein Haus anzumerken, wenn er erklärt: „Das liegt an unserem international hervorragenden Standing und an der Qualität der Aufarbeitung, die wir hier leisten können, und die unter anderem dafür sorgt, dass die Exponate systematisch gesichtet und der Forschung zugänglich gemacht werden.“ Mit rund einer halben Million Objekten ist das Münzkabinett das größte seiner Art in Deutschland und seit zirka 16 Jahren dabei, die vorhandenen Stücke digital zu erschließen – obwohl die Kuratoren diese Arbeit neben ihrer eigentlichen Tätigkeit ausüben und sich sehnlichst eine separate Kurator:innenstelle wünschen. Auf die allmählich entstehende Datenbank können Forschende aus aller Welt zugreifen und die Objekte im Kreislauf der Wissenschaft lebendig erhalten.
In der Renaissance runde Medaillen, heute eckige Displays
Johannes Eberhardt ist der Kurator der Ausstellung „Ius in nummis“ (etwa: „Recht im Medaillenrund“ oder „Recht auf Medaillen“), mit der nun die Sammlung Würtenberger der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Wie könnte das am besten gehen? Der Experte ließ sich erst einmal nicht aus der Ruhe bringen, immerhin hat er bereits ein paar Sonderausstellungen im Münzkabinett kuratiert, und entwickelte einen so einfachen wie überzeugenden Plan: „Ich wollte mich auf die Chronologie und auf die großen Fragen konzentrieren: Was ist Recht? Was ist Gerechtigkeit? Wie ordnet das Gesetz zu welcher Zeit das Zusammenleben der Menschen? Wie bildeten sich Rechtskulturen heraus? Anhand dieser Fragen wollte ich die Sammlung in ihrer thematischen Vielfalt präsentieren. Denn wir möchten auch mit diesem Projekt alle mitnehmen, die Expert*innen und die Laien, die Tourist:innen und die Stammbesucher:innen. Alle sollen erfahren können, dass Münzen und Medaillen nicht beißen, dass man sich ihnen auf Augenhöhe nähern und viel von ihnen erfahren und lernen kann.“
Ganz in diesem Sinne ist die Ausstellung sehr übersichtlich und benutzerfreundlich geworden. Sie überrollt die Gäste nicht mit einer Lawine von Exponaten, sondern breitet ihr Wissen in fünfzehn thematischen Segmenten mit insgesamt rund 160 Objekten aus. Gibt es etwas, das diese neben dem inhaltlichen Schwerpunkt des Rechts verbindet? „Natürlich!“, sagt Eberhardt, und erläutert: „Münzen und Medaillen sind serielle Objekte. Das heißt, sie wurden in meist hoher Stückzahl produziert. Und sie sind aus unvergänglichem Material hergestellt. Sie verwittern nicht und können von Hand zu Hand wandern. Münzen waren von Anfang an Geld und gewährleisteten die wirtschaftlichen Abläufe. Sie existieren seit etwa 2600 Jahren und sie sind immer noch rund. Man konnte Geld nie essen, das heißt, man musste stets einen virtuellen Wert zugrunde legen, ob das nun Gold ist oder eine Verbindung aus Kupfer und Nickel.“
Momentaufnahmen für die Ewigkeit
Anders ist es bei der Schwester der Münze, der Medaille: „Wir sind heute daran gewöhnt, auf kleine Displays zu gucken und darauf herumzuspielen. In der Renaissance haben das die Leute ganz ähnlich gemacht, allerdings in Gemeinschaft. Sie haben abends bei Speis und Trank und schöner Musik ihre Medaillen betrachtet – komprimierte Kunst für die Hände, die man herumreichen und über die man sich unterhalten konnte.“ Entsprechend anspruchsvoll waren die Reliefs als plastisch pointierte Narrative darauf: „Medaillen sind oft sehr persönliche Objekte, sie zeigen die Herrschenden in vorteilhaften Porträts oder bei wichtigen Ereignissen. Ferner werden Alltagspraktiken festgehalten, Feste, Rituale. Wir sehen oft große Ereignisse auf kleinem Raum, Momentaufnahmen für die Ewigkeit.“
Die Medaillenkunst mit ihren grafischen und haptischen Raffinessen ist in der beginnenden Neuzeit auf die Münzen übergeschwappt und so sind auch dort häufig feine, ästhetisch ansprechende Exponate entstanden. Im Gegensatz zu anfälligen Materialien wie Papier sind Medaillen und Münzen robust, gehen – von Kinderstreichen abgesehen – nicht kaputt und erzählen noch Jahrhunderte später vom Denken, Wünschen, Handeln ihrer früheren Schöpfer und Besitzer. Anders als Gemälde oder Skulpturen sind sie leicht zu transportieren und haben insofern einen hohen Verbreitungsradius.
Dialektische Wissensspeicher über die Zeiten hinweg
Die Sammlung Würtenberger wirft jetzt viele kleine, runde Schlaglichter auf die Themenkomplexe Recht, Gerechtigkeit, Parlaments- und Verfassungsgeschichte. Die Ausstellung konzentriert sich zum Beispiel auf Bereiche wie Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, Monarchie und Verfassung, Revolution und Parlamente. All das hat Platz auf diesen unendlich vielfältigen Objekten, die damit besondere Personen und Ereignisse ins Gedächtnis rufen, sei es mit einer Neujahrsmedaille 1900 zum Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches als reichsweit geltende Kodifikation des Zivilrechts, sei es mit einer Preismedaille der juristischen Fakultät von Nancy. Von Moses bis zu den Menschenrechten gibt es rechtshistorische Symbolfiguren wie Justitia mit verbundenen Augen und der Waage zu entdecken, aber auch bekannte Jurist:innen, Erinnerungen an den Sachsenspiegel, die Goldene Bulle und das Allgemeine Landrecht der Preußischen Staaten, an die Dreyfuss-Prozesse oder den Tod Otto von Bismarcks und die Einweihung des Reichstagsgebäudes – oder die mikroskopisch winzig aufgelisteten 280 Mitglieder des House of Commons 1894.
Und immer haben diese Objekte zwei Seiten, das macht sie zu dialektischen Wissensspeichern über die Zeiten hinweg. Sie sind eigentlich nicht dafür gedacht, in einer Vitrine zu liegen, sondern um in die Hand genommen zu werden. Münzen sind trotz aller Bemühungen, das Bargeld abzuschaffen, nach wie vor im Umlauf, und auch Medaillen werden weiterhin verliehen: Ob bei den Olympischen Spielen oder bei der Berlinale, ob als Nobelpreis oder bei Sängerfesten und traditionsgemäß bei allen möglichen Vereinen (sofern die Kasse das in Zeiten gestiegener Material-, Energie- und Arbeitskosten erlaubt). „Ius in nummis“ führt auf faszinierende Weise in das so vielschichtige wie heterogene Gebiet des Rechts und die besonderen Varianten der Inszenierung von Recht und Gerechtigkeit ein. Ganz nebenbei sensibilisiert diese elegant gelungene Ausstellung mit ihren numismatischen Objekten für eine uralte Kulturtechnik, die diese hervorgebracht hat. Und die weiterlebt, wie die Sonderedition zu „Ius in nummis“ des Berliner Medailleurkreises belegt, für die etwa Marianne Dietz mit „1,5° Recht auf Zukunft“ (2022) ein Kleinrelief zum Anliegen der „Klima-Kleber“ geschaffen hat, asphaltschwarz und mit einer eingravierten Hand. „Das Recht“, so Johannes Eberhardt, „geht uns alle an.“ Auch in Form von Münzen und Medaillen!
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