James-Simon-Kabinett: Eine Berliner Geschichte des 20. Jahrhunderts
Zeitgleich mit der James-Simon-Galerie eröffnete auch das James-Simon-Kabinett im benachbarten Bode-Museum. Es zeigt Simons Renaissance-Sammlung im ursprünglichen Zustand und ist Teil eines 100-jährigen Vertrags. Kurator Neville Rowley im Interview über die Entwicklung des Projektes.
Was ist das James-Simon-Kabinett?
Es ist ein Raum, der ursprünglich im Oktober 1904, zur Eröffnung des Museums ausgestellt war. Damals hieß das Haus noch nicht Bode-Museum, sondern Kaiser-Friedrich-Museum. James Simon, der größte Mäzen in der Geschichte der Berliner Museen, gab seine Renaissance-Sammlung unter einer Bedingung an die Museen: dass sie für 100 Jahre in einem Raum gezeigt werden sollte, so wie er sie dort inszenierte – und das ist nun der Raum, in dem wir uns befinden.
Warum eröffnet dieser Raum gerade jetzt wieder und was ist zwischen der Eröffnung 1904 und heute geschehen?
James Simon starb 1932, im folgenden Jahr kamen die Nazis an die Macht. Simon war Jude und für die antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten war es ein Problem, dass ein jüdischer Mäzen in der Berliner Museumslandschaft so präsent war. 1938 wurde Simons Name hier ausgelöscht und im August 1939, kurz vor Kriegsbeginn, wurden das Kabinett aufgelöst und die Werke auf andere Orte im Museum verteilt. Dann folgte der Zweite Weltkrieg, danach der Kalte Krieg mit der langen Teilung von Ost und West, die auch die Berliner Museen und ihre Sammlungen betraf. Nach der Wiedervereinigung dauerte es lange, die Berliner Museen wieder zusammen zu führen und als Einheit zu restrukturieren. Die Sammlungen blieben teilweise getrennt: die Skulpturen hier auf der Museumsinsel, die Gemälde und das Kunstgewerbe am Kulturforum. Aber jetzt, mit der Eröffnung der James-Simon-Galerie war es Zeit, alle diese Kunstwerke – Gemälde, Skulpturen, Medaillen, Möbel, Bronzen – wieder zusammenzubringen. Das James-Simon-Kabinett war insgesamt nur 35 Jahre lang ausgestellt, es fehlen also noch 65 Jahre. Die beginnen nun und hoffentlich wird das Kabinett bis zum Jahre 2084 hier sein.
Der alte Vertrag mit James Simon wird also nach all den Jahren doch noch erfüllt werden?
Das war ja die Bedingung Simons, die aber durch die bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht eingehalten wurde. Es ist gut, dass wir heute in der Lage sind, das Versprechen von 1904 einzulösen. Die Galerie ist damit nicht nur ein Raum über den Sammler James Simon und seinen Geschmack, seine Beziehung zu Wilhelm Bode, dem großen Kunstkenner und Museumsdirektor, sondern auch eine Geschichte über Berlin im 20. Jahrhundert.
Einige Werke sind nur als Kopien vorhanden – was hat es damit auf sich?
Es gibt zwei Kriegsverluste, die durch Kopien ersetzt wurden. Einmal ein Tondo der Madonna mit dem Kind und zwei Engeln von Raffaellino del Garbo an der linken Wand und die Maske eines Narrens, die durch einen Gipsabguss ersetzt wurde. Beides sind Kriegsverluste und seit 1945 verschollen. Darüber hinaus sind einige Werke als Reproduktionen ausgestellt, weil sie gerade restauriert werden, diese sollen aber in den kommenden Wochen durch die Originale ausgetauscht. Es war uns wichtig, das Kabinett pünktlich zur Eröffnung der James-Simon-Galerie präsentieren zu können.
Was haben Sie während der Arbeit an diesem Raum über James Simon gelernt, wie ist Ihr Blick auf den Mäzen heute?
Es gibt da eine sehr interessante Ambiguität. James Simon wollte nicht im Vordergrund stehen, er war da ganz anders als Wilhelm Bode. Bode wollte überall sein, er hat tausende von Artikeln und Büchern geschrieben und wollte immer der beste und der einzige sein. Simon war darauf bedacht, eine gewisse Distanz zu wahren – am Anfang tätigte er seine Schenkungen an die Gemäldegalerie anonym. Mit der Zeit, als er 50 Jahre alt war, hat er sich entschieden, den Museen seine Renaissance-Sammlung zu überlassen, stellte aber dann doch die Bedingung, dass sein Name damit verbunden bleiben sollte. Also war er nicht mehr so bescheiden…
Simon wollte sich von Bode emanzipieren?
Bodes Rolle für die Bildung der Simon-Sammlung war sehr groß, aber Simon war doch eigenständig und er schreibt auch direkt an Bode und sagt: „Also fügen Sie bitte [in Ihrem Artikel] ein, daß ich einen Theil der Objekte in München, Frankfurt, Paris, Italien selbst erworben habe. Es heißt sonst wirklich: er [Simon] hat von Anfang an die Stiftung im Auge gehabt u[nd]. Herrn Bode das Geld gegeben die Sachen zusammenzubringen, um nachher einen Orden zu bekommen. Das kann jeder, der das Geld hat, es ist nur einmal ein bischen anderer Weg. Und so liegen die Dinge denn doch nicht. .“ Andrea Mantegnas Meisterwerk, die Madonna, die gerade aus der Ausstellung „Mantegna und Bellini“ in der Gemäldegalerie zurückgekehrt ist, ist ein gutes Beispiel dafür. Simon erkannte sicher, dass sie ein echtes Meisterwerk ist, aber sie war ihm dennoch zu teuer. Er hatte sehr viel Geld, aber er wollte es lieber für kranke Kinder, für Stadtbäder oder Grabungskampagnen im Orient geben, als es für seine persönliche Privatsammlung auszugeben. Doch als ein anderer Berliner Sammlung Mantegnas Madonna auch kaufen wollte und Simon dann auch noch einen Rabatt bekam, kaufte er sie doch und nahm sie in seine Sammlung auf. Bis heute ist die Madonna das Meisterwerk des Kabinetts.
Was soll Besucher*innen heute im Kabinett vermittelt werden?
Ich habe dieses Projekt gemeinsam mit meiner Kollegin María López-Fanjul, Kuratorin für Outreach im Bode-Museum, entwickelt. Das Museum als Ort des Lernens ist für uns beide sehr wichtig, deswegen haben wir intensiv darüber nachgedacht, wie wir das Kabinett und seine Inhalte vermitteln können. Es gibt zum Beispiel keine Wandtexte zu den Werken, denn dafür sind es schlicht zu viele – wir sind weitgehend der Originalhängung gefolgt, wie sie auf einem Foto von 1904 zu sehen ist. Aber natürlich gibt es zu den Werken viel zu erzählen, vor allem, weil auch einige verschollen, restauriert oder brandgeschädigt sind. All diese Informationen zu den Werken finden sich auf einem großen Handzettel, der für Besucher*innen hier bereit liegt. Die Broschüre vermittelt auch, dass die Museumsgeschichte in Berlin sehr komplex ist und dass wir hier nicht nur die Kunstgeschichte der gezeigten Werke thematisieren wollen, sondern auch die Geschichte der Sammler und Institutionen – eben eine Gesamtgeschichte Berlins im 20. Jahrhundert. Diese Geschichte ist tragisch, aber man muss darüber sprechen, um zu zeigen, dass es auch eine Zukunft gibt. Letzte Woche etwa waren die Erben von James Simon hier, Ihnen gab ich meine erste Führung in diesem Kabinett und es war ein sehr spannender, schöner und bewegender Moment. Ich hoffe, dass unsere Besucher*innen dies hier nachfühlen können und nicht zuletzt natürlich auch eine Ahnung vom Geschmack James Simons, des wohl größten Mäzens der Berliner Museen, bekommen.
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