Jonathan Fine und Julia Binter, Wissenschaftler*innen im Ethnologischen Museum
Lesezeit 4 Minuten
Jonathan Fine und Julia Binter arbeiten mit namibischen
Partner*innen zusammen, um die Sammlung des Ethnologischen Museums
besser zu verstehen und gemeinsame Perspektiven für den Umgang mit ihr
zu entwickeln.
Interview: Sven Stienen
Woran arbeiten Sie gerade? Jonathan Fine: Gemeinsam
mit Partner*innen aus Namibia arbeiten wir im Projekt „Confronting
Colonial Pasts, Envisioning Creative Futures“ zu den namibischen
Beständen am Ethnologischen Museum. Unsere afrikanischen Gäste waren
fünf Monate hier und wir haben eine intensive Auseinandersetzung mit
unseren Sammlungen erlebt. Dazu muss man wissen, dass die deutsche
Kolonialgeschichte in Namibia besonders gewalttätig war. Es ist daher
wichtig zu verstehen, wie sich diese Geschichte in den Sammlungen hier
widerspiegelt. Nicht nur in dieser Hinsicht haben unsere Kolleg*innen
aus Namibia ein reiches Wissen, das sie in diesen Prozess einbringen und
von dem wir viel über unsere Sammlungen lernen können.
Was ist das Ziel des Projektes? Julia Binter: Es geht darum, gemeinsam die Geschichte der Sammlung zu erforschen und
ihr Zukunftspotenzial zu erkennen – zum Beispiel in Bezug auf neue
Ausstellungen, etwa für das Humboldt Forum. Fine: Es
geht aber auch um die Frage, ob Objekte zurück nach Namibia gehen
sollten. In den vergangenen Monaten wurden von unseren namibischen
Kolleg*innen 23 Objekte aus der Sammlung des Ethnologischen Museums
ausgewählt, die nach Namibia reisen und dort zunächst bis 2022
exemplarisch beforscht werden.
Es geht also auch um eine langfristige Entwicklung? Fine: Dank der großzügigen Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung können wir
das Projekt gemeinsam mit der Museum Association of Namibia, dem
National Museum Namibia und der Universität von Namibia sowie mit
Menschen aus unterschiedlichen Communities in Namibia realisieren. Mit
diesen Partnern arbeiten wir an großen Fragen und langfristigen
Entwicklungen. Wenn ethnologische Museen eine Zukunft haben sollen,
müssen wir Wege finden, die Welt und ihre Menschen in all ihrer
Komplexität zu verstehen – auf dem Fundament der Gleichheit. Das muss
unsere Vision sein, mit der wir voranschreiten.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus? Fine: Er war bis vor Kurzem sehr von unseren namibischen Partner*innen
geprägt. Wir haben hier mit ihnen gearbeitet, gebrainstormt und Ideen
diskutiert. Das Schöne an diesem Projekt ist auch, wie verschiedene
Netzwerke mobilisiert werden und dabei helfen, die Objekte in unserer
Sammlung zu interpretieren und in neue Kontexte zu setzen. Binter: Es war auch toll, mit unseren Gästen mit den 1400 Objekten unserer
Namibia-Sammlung im Depot zu arbeiten. Außerdem hatten wir das große
Glück, mit Cynthia Schimming eine Modekünstlerin und -historikerin aus
Namibia zu Gast zu haben, die mit uns ein Kunstwerk zum Genozid an den
Herero und Nama entwickelt hat, das im Humboldt Forum zu sehen sein
wird.
Gibt es ein Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Fine: Für
mich war das der Moment, in dem eine unserer Kooperationspartner*innen
eine Puppe aus unserer Sammlung sah und sofort fragte, wie diese Puppe
wohl hierher gelangt sein mag. Wem wurde sie genommen und zu welchem
Zweck? Lief das gewaltvoll ab? Die Kollegin konnte sich nicht
vorstellen, dass es friedlich geschehen war. Die intimen Verhältnisse
dieser Sammlung kommen sofort zum Vorschein, wenn man sie gemeinsam mit
Menschen untersucht, die einen persönlichen und damit auch emotionalen
Bezug zu den Objekten haben. Binter: Für mich war
es sehr bereichernd, an diesem Tisch zu sitzen und unser Wissen
zusammenzubringen. Man konnte fast dabei zusehen, wie etwas Neues daraus
entstand. Es gibt zum Beispiel eine andere Puppe in unserer Sammlung,
deren kulturelle Bedeutung wir nicht entschlüsseln konnten. Eine der
Gastwissenschaftlerinnen bemerkte aber sofort, dass die verwendeten
Materialien von königlicher Qualität sind und die Puppe etwas ganz
Besonderes sein muss. Eine Recherche ergab dann, dass sie um 1900 von
der Königin von Odonga gefertigt wurde. Fine: Das
Beispiel dieser Puppe zeigt, dass es durchaus friedvolle
zwischenmenschliche Begegnungen in der ansonsten sehr gewaltsamen
deutsch-namibischen Geschichte gegeben hat: Sie fand ihren Weg in unsere
Sammlung, weil die Königin von Odonga seit ihrer Kindheit eine feste
Freundschaft zu einer deutschen Missionarin gepflegt hatte und ihr die
Puppe als Zeichen der Verbundenheit schenkte. Diese menschlichen Funken
darf man nicht vergessen.
Was würden Sie nachts allein im Museum oder im Depot tun? Fine: Wir sind sehr oft nachts allein im Museum … Binter: Vielleicht würde ich ein elektrisches Lagerfeuer aus Taschenlampen
machen und unsere Objekte einladen, sich zu mir zu setzen und ihre
Geschichten und Träume zu erzählen.
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