Lebendige Archäologie: Rekonstruktion einer Prunkausstattung
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Frank Georgi hat die Ausstattung aus einem völkerwanderungszeitlichen Prunkgrab nachgebaut. Wir trafen ihn bei den Originalen im Neuen Museum. Über einen herausragenden Fundkomplex und die Begeisterung eines Hobby-Archäologen.
Text: David F. Hölscher
Die Begeisterung ist Frank Georgi anzusehen, als er noch einige Meter von der Vitrine entfernt im Modernen Saal des Neuen Museums steht. Präsentiert sind dort Beigaben einer Prunkbestattung der Völkerwanderungszeit aus der Sammlung des Museums für Vor- und Frühgeschichte. Frank kennt die ausgestellten Funde bis ins kleinste Detail; er sieht sie nicht zum ersten Mal. Dennoch betrachtet er das Ensemble geradezu andächtig. „Das ist es“, sagt der stämmige Mann ergriffen. Er hat in den vergangenen Monaten Stunde um Stunde damit verbracht über die Grabbeigaben zu lesen, Entwürfe anzufertigen und in Eigenarbeit Repliken herzustellen. Sein Ziel: die komplette Ausstattung des „Berliner chef militaire“, wie der Bestattete in der Fachwelt genannt wird, möglichst genau nachzubauen.
Frank Georgi ist kein studierter Archäologe. Der gelernte Werkzeugmacher ist aber seit sieben Jahren ehrenamtlich für die archäologische Denkmalpflege in Brandenburg aktiv. Vorher war er bereits beruflich in der Baudenkmalpflege tätig. Als er dies aus gesundheitlichen Gründen nicht fortführen konnte, wandte er sich ehrenamtlich der Bodendenkmalpflege, der Archäologie zu. Seine Prämisse: „Wir sind nur kurz auf dieser Erde und ich möchte die Zeit nutzen, einen Fußabdruck zu hinterlassen.“ Die Archäologie fasziniert Frank besonders durch den „Reiz des Verborgenen“. Nicht zu wissen, was an einem Tag im Feld auf einen zukommt, diese Neugier motiviert ihn immer wieder aufs Neue.
Seit er den Grabkomplex mit der Goldgriffspatha 2019 zum ersten Mal gesehen hat, lässt ihn der Fund nicht mehr los. Nach und nach reifte in Frank der Gedanke, genau diesen archäologischen Fund nachzubauen, ihn quasi wieder zum Leben zu erwecken. Auch hierbei wollte er auf Spurensuche gehen und genau nachvollziehen, wie die Dinge gemacht waren. „Etliche Male bin ich jetzt im Museum gewesen und habe zahlreiche Fotos gemacht“, berichtet er. Für sein Vorhaben bedarf es aufwändiger Recherchen und mühevoller Kleinarbeit. Die meisten Stücke stellt Frank selbst her. Nur einzelne Teile wie die Glaskannen oder den Bogen und die Kleidung lässt er von anderen Handwerker:innen anfertigen – alles auf eigene Kosten. Während also andere in ihrer Freizeit an Autos schrauben oder Kite-Surfen gehen, baut Frank sich die Ausrüstung eines völkerwanderungszeitlichen Heerführers. Er ist damit in Deutschland einer der Ersten, die sich im Bereich historische Darstellung (sog. Reenactment/Living History) dieser Epoche annehmen. Dabei stand er mehr als einmal vor Herausforderungen, zugleich kam viel Unterstützung von anderen in seinem Hobby. Auch das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin hat Frank mit Informationen unterstützt. Er selbst sagt zu diesem Prozess: „Ich habe dadurch viel gelernt, bin viel verzweifelt und habe es trotzdem geschafft.“
Zwischen Römern und „Barbaren“ – der Fundkomplex des „Berliner chef militaire“
Der Grabkomplex, der es Frank angetan hat, stammt aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts n. Chr. Er gehört somit in die Völkerwanderungszeit, einer Phase des Umbruchs zwischen Antike und Mittelalter. Der Fund besteht aus zahlreichen Grabbeigaben von hoher Qualität. Dazu gehören vor allem Teile der Reit- und Waffenausrüstung, darunter reich verzierte Silberbeschläge mit Vergoldung. Der bestatteten Person wurden auch Schmuckgegenstände mitgegeben, die Rangabzeichen darstellen, sowie wertvolle Gefäße aus Glas, Metall und Keramik. Das Skelettmaterial ist nicht überliefert. Vergleichsfunde und das Wissen zur Struktur spätantiker Heere lassen aber einen Mann vermuten. Das prunkvolle Schwert mit goldummanteltem Griff kennzeichnet den Bestatteten als hochgestellten militärischen Anführer (frz. „chef militaire“).
Die Grabbeigaben stammen sowohl aus den römischen Rheinprovinzen, als auch dem angrenzenden sog. Barbaricum. Die Mischung zeigt: Der Bestattete hatte vermutlich gute Kenntnis der römischen Lebensweise und des Militärs. Auch wenn er nicht unbedingt Römer war, diente er sehr wahrscheinlich für einige Zeit im römischen Heer.
Ins Museum kam der Fund durch einen Ankauf. Seine Echtheit wurde durch Fachleute des Museums zuvor eingehend geprüft. Nach mehreren Jahrzehnten in Privatbesitz konnte er so für Fachwissenschaft und Öffentlichkeit gesichert werden. Der genaue Fundort ist allerdings unbekannt.
Aus der Theorie in die Praxis
Projekte wie das von Frank sind für Enthusiast:innen und Archäolog:innen gleichermaßen interessant. Denn immer wieder stellen Archäolog:innen Thesen über die Verwendung einzelner Funde auf, ohne sie selbst praktisch zu erproben. Oder sie stehen ohne Antwort vor Fragen zur Verwendung einzelner Fundstücke. Wo genau saßen beispielsweise die Beschläge am Schwertgurt? Nutzbare Nachbauten zeigen mögliche Lösungen auf und stellen die Praxistauglichkeit verschiedener Ansätze zur Rekonstruktion auf die Probe.
Noch ist Franks Ziel nicht erreicht und er „werkelt“ fleißig weiter an seiner Ausstattung. Was er bereits geschaffen und zusammengetragen hat zeigt er bei Reenactment- oder Living History-Veranstaltungen der Öffentlichkeit. Auch mit dieser Art der Vermittlung möchte er seine „Fußabdruck“ hinterlassen. In Zukunft werden ihn vielleicht auch die Besucher:innen des Neuen Museums bei Sonderveranstaltungen erleben können. Denn was wäre anschaulicher als lebensechten Rekonstruktionen direkt zu begegnen und mit ihrem Hersteller ins Gespräch zu kommen?
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