Nahaufnahme: Beginn der professionellen Restaurierung in Deutschland
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Anlässlich des 200jährigen Jubiläums der königlichen Restaurierungswerkstatt Berlin geben wir einen Rückblick auf eine Zeit, in der Restauratoren rar waren, wie Stars bezahlt wurden und sich das Rätsel um den Prozess des Restaurierens allmählich lüftete.
Text: Patricia Brozio vom Verband der Restauratoren; Lektorat und Unterstützung: Dr. Ute Stehr
Deutschlands erstes Restaurierungsatelier im modernen Sinne entstand vor 200 Jahren im Herzen Berlins. Unter den Linden, im Gebäude der Königlich-Preußischen Akademie der Künste, das auch Ausstellungszwecken diente, sollte binnen weniger Jahre eines der umfangreichsten Restaurierungsvorhaben im deutschsprachigen Raum umgesetzt werden.
Das ehrgeizige Projekt bestand darin, über tausend Gemälde für die geplante Eröffnung der Königlichen Museen zu Berlin ausstellungsfähig zu machen. Dieser Kernbestand der heutigen Berliner Gemäldegalerie sollte ab 1830 im neuen Museumsbau des Architekten und Baumeisters Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) einem breiten Publikum präsentiert werden.
Für das Vorhaben benötigte man Restauratoren mit profunden Fachkenntnissen. Nur wenige solcher Experten gab es. Entsprechend erfuhren diese Restauratoren eine enorme Wertschätzung und wurden wie Stars gefeiert. Zu den Stars dieser Zeit zählten beispielsweise der italienische Restaurator Pietro Palmaroli (1775-1828), der in Dresden wirkte, aber auch der Maler Johann Jakob Schlesinger (1792-1855), der als Kopist einen hohen Bekanntheitsgrad erlangte und in Heidelberg an der berühmten Sammlung der Brüder Boisserèe ein besonderes Talent für das Restaurieren von Gemälden entwickelte.
3.000 Thaler für den königlichen Chefrestaurator
Sein guter Ruf auf dem Gebiet der Restaurierung führte Johann Jakob Schlesinger schließlich nach Berlin. Spätestens im Frühjahr 1823 erhielt er durch Gustav Friedrich Waagen, Kunsthistoriker und späterer erster Direktor der Gemäldegalerie, die Einladung als Restaurator an der Einrichtung des Museumsbaus mitzuwirken. Im Januar 1824 bewilligte König Friedrich Wilhelm III. seine Berufung.
Schlesinger wurde zum Chefrestaurator ernannt, später in die Einrichtungskommission des Museums aufgenommen und erhielt die ansehnliche Bezahlung von 3.000 Thalern – eine Summe, die sonst nur Direktoren bezahlt bekamen.
Wie von Waagen gewünscht, reiste Schlesinger 1824 nicht alleine nach Berlin. Als Unterstützung brachte er seinen fachlich gleichermaßen geschätzten Freund, Berufskollegen und späteren Schwager Christian Philipp Koester (1784-1851) mit.
Immense Aufträge in der Behrenstraße
In den Jahren 1824-1829 bearbeiteten Schlesinger und Koester mit einem Team von zeitweise bis zu 13 Mitarbeitern insgesamt 1189 Gemälde, von denen 845 einer Restaurierung bedurften. Aus heutiger Sicht ist das eine schier unglaubliche Zahl an Gemälden und ein immenser Restaurierungsauftrag, der nur durch ein strenges Reglement zu bewältigen war.
1826 bedurfte es einer Umsiedelung des Ateliers in das Haus Nr. 66 in der parallel verlaufenden Behrenstraße. Die Mitarbeiter Schlesingers waren entweder künstlerisch geschult oder erfahrene Restauratoren, wie Christian Xeller (1784-1872), der gleich Schlesinger und Koester in Heidelberg an den Gemälden der Brüder Boisserèe mitgearbeitet hatte.
In den sechs Jahren der durchaus fordernden Restaurierungsarbeiten formulierten Schlesinger und seine Weggefährten ein für den Berufsstand neues Selbstverständnis. Worin dieses Selbstverständnis bestand, erschließt sich am besten, indem man zunächst einen Blick auf die vorherrschenden Gegebenheiten zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirft.
Restaurierung um 1800
Das Restaurierungsgeschehen war damals noch stark geprägt durch Geheimniskrämerei. Restauratorische Maßnahmen geschahen im Verborgenen, nichts wurde offengelegt.
Die Berufsausbildung der Restaurator:innen war noch nicht geregelt, so wie es heute durch ein eigenständiges universitäres Studium der Fall ist. Restauratoren kamen auf verschiedenen Wegen in den Beruf. Häufig stammten sie aus einem künstlerischen Umfeld. Die an herrschaftlichen Sammlungen tätigen Restauratoren waren üblicherweise als Hofmaler, Galerieinspektor, Wärter oder für künstlerisch-handwerkliche Arbeiten angestelltes Personal.
Handwerkliche Vorgänge standen im Vordergrund der Tätigkeit, wobei die Art und die Qualität der Ausführungen stark variierten zwischen „stümperhaften Restaurierungsversuchen von Dilettanten“ bis hin zu durchaus gut gemachten Restaurierungen, die in ihrer Planung und Umsetzung Ansätze der heutigen Berufsethik erkennen lassen.
Neben Oberflächenreinigungen und Retuschen führten Restauratoren an Gemälden bisweilen riskante Maßnahmen wie Übertragungen durch, bei denen sie die Malschicht vom Bildträger trennten und auf einen neuen Untergrund aufbrachten. Auch stabilisierten sie Leinwandgemälde, indem sie auf die Rückseiten großflächig Trägerleinwände aufbrachten – sogenannte Doublierungen, die in vielen Regionen Europas noch bis ins 20. Jahrhundert hinein praktiziert wurden, heute aber in der Absicht möglichst geringfügig in die Substanz einzugreifen, weitgehend vermieden werden.
Zurückhaltende Restaurierungshaltung im Berliner Atelier
An den ab 1824 bearbeiteten Gemälden finden sich heute mitunter noch Spuren damaliger restauratorischer Maßnahmen. Auffällig ist dabei die hohe Qualität der Retuschen und Kittungen. Eine hohe Wertschätzung des Originals zeigt sich im Verzicht auf verfälschende Übermalungen oder interpretierende Ergänzungen. Maßnahmen an Bildträgern, wie Doublierungen, wurden nicht handwerklich seriell ausgeführt, sondern vielfach Vorhandenes belassen.
Dr. Ute Stehr, die gegenwärtig als Restauratorin an der Gemäldegalerie arbeitet, kann detailliert Auskunft zum Schaffen Schlesingers geben. Für ihre Dissertation befasste sich die Diplomrestauratorin ausgiebig mit dem Wirken Schlesingers. In Archiven durchforstete sie zahlreiche Akten, durch die die damaligen Begebenheiten erstaunlich gut dokumentiert sind. Parallel untersuchte sie restaurierte Werke selbst und beurteilte die Maßnahmen aus heutiger fachlicher Sicht.
„An den 1824-29 in Berlin restaurierten Werken ist eine zurückhaltende restauratorische Vorgehensweise erkennbar. Übertragungen von Gemälden, wie in Frankreich um 1800 praktiziert, die eine Entfernung des originalen Bildträgers zur Folge hatten, sind beispielsweise nicht bekannt“, erklärt Dr. Ute Stehr, die bei ihren Untersuchungen auch herausfand, dass Schlesinger und seine Kollegen an Leinwandgemälden häufig Randanstückungen vornahmen. Eine Maßnahme, die übrigens heute noch praktiziert wird, wenn auch technisch verfeinert.
„Interpretierende Übermalungen waren nicht zu entdecken“
Die zurückhaltende Restaurierungshaltung konnte Stehr auch an den Vorderseiten der vor 200 Jahren restaurierten Gemälde nachweisen. Kittungen und Retuschen, sind, wo sie sich erhalten haben, auf die Fehlstellen konzentriert. „Zwar kommen lasierende Retuschen zur Herstellung harmonischer Gesamtwirkungen vor, aber flächige oder interpretierende Übermalungen waren bisher nicht zu entdecken“, weiß die Expertin für Restaurierungsgeschichte und Kunsttechnologie. „In der Ausführung sind die Retuschen und Kittungen teilweise von hoher Qualität, sodass sie bis heute nicht abgenommen werden müssen“, erläutert sie kenntnisreich ihre Beobachtungen, die auch Abteilungsleiterin Dr. Babette Hartwieg bestätigt.
Beide Restauratorinnen merken an, dass die historischen Retuschen und Ergänzungen teilweise als wichtige Zeitzeugnisse zu betrachten sind. Besonders deutlich wird dies im Falle eines Werks von Correggio, das 1530-1534 entstand und bis heute als Publikumsmagnet in den Ausstellungssälen des Museums zu besichtigen ist: Am Gemälde Leda und der Schwan ergänzte Schlesinger 1834/35 den Kopf der Königin, der bei einem Attentat zu Beginn des 18. Jahrhunderts herausgeschnitten und im Laufe der Geschichte mehrmals neu gemalt worden war. Die Restaurierung der mittleren Bildpartie ist ausschlaggebend für das heutige Erscheinungsbild des Werkes. Die abenteuerliche Geschichte des Gemäldes „Leda und der Schwan“ ist in einem Film der Gemäldegalerie anschaulich festgehalten.
Ein neues Berufsverständnis
Über die Arbeit ihrer Vorgänger, die ab 1824 im Berliner Atelier tätig waren, wissen die Restaurator:innen heute noch einiges. Archivalien geben u. a. Auskunft über die damals gekauften Arbeitsmaterialien, über die Ausstattung des Ateliers, die Personalkosten und die Arbeitsaufteilung.
„Die bedeutendste schriftliche Quelle stammt jedoch von den Restauratoren selbst“, verdeutlicht Ute Stehr und verweist auf drei Schriften, die Christian Koester im Zeitraum 1827-1830 unter dem Titel „Ueber Restauration alter Oelgemälde“ publizierte.
Die Schriften, deren Praxisbezug nachgewiesen ist, spiegeln, unter welchen Prämissen im Königlichen Restaurierungsatelier ab 1824 in Berlin gearbeitet wurde. „Auch wenn Koesters Schrift detaillierte Beschreibungen von Gemälderestaurierungstechniken und einzelne Rezepturen enthalten, handelt es sich keineswegs um eine rein praktische Anleitung. Der Autor erläutert vielmehr die Gemälderestaurierung aus ethischer Sicht und verdeutlicht eine Auffassung des Kunstwerkes als ästhetisches und historisches Dokument – eine noch heute gültige Grundlage der Restaurierung. Koester betrieb so eine Art Öffentlichkeitsarbeit, die seiner und Schlesingers moderner Berufsauffassung entsprach: Publikation statt Geheimhaltung. Damit lösten sich die Berliner Restauratoren von der traditionellen Berufsausübung ab.“
1832: Forderung nach naturwissenschaftliche Analysen
Ein anderer wegweisender Ansatz zeigte sich in Schlesingers Interesse für Kunsttechnologie. In seinem Aufsatz „Ueber Tempera-Bilder und deren Restauration“, erschienen in Koesters Schrift, beschrieb er die Maltechnik der frühitalienischen Temperamalerei.
Hierzu erklärt Ute Stehr: „Der Text verdeutlicht, dass er die Kenntnis der historischen Maltechnik als eine wichtige Voraussetzung einer fachgerechten Restaurierung auffasste. 1832 wandte er sich sogar an das preußische Kultusministerium und forderte naturwissenschaftliche Analysen von Malmaterialien. Er schlug u. a. vor, an Gemälden aus dem Depotbestand des Königlichen Museums maltechnische Untersuchungen durch einen Chemiker ausführen zu lassen. Die Erforschung der Kunsttechnologie und naturwissenschaftliche Analysen sind inzwischen fester Bestandteil der modernen Berufsausübung.“
Damit setzten die Museumsrestauratoren der Geheimnistuerei in der Restaurierung ein Ende und schlugen den Weg einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Restaurierungsprozessen ein. Die Weichen wurden somit bereits vor 200 Jahren gestellt. Bis heute ist das Grundprinzip des Respekts vor dem Original oberste Prämisse restauratorischen Handelns. Eingriffe in die Substanz sind minimalinvasiv und möglichst reversibel. Den Maßnahmen werden Konzepte zugrunde gelegt, alle Schritte werden genau dokumentiert.
Langer Weg an die Hochschulen
Doch obwohl vor 200 Jahren ein bedeutender Grundstein gelegt worden ist, sollten bis zur Etablierung eines eigenständigen Hochschulstudiums der Konservierung, Restaurierung und Kunsttechnologie in Deutschland noch über hundert Jahre vergehen.
Der älteste erhaltene Studiengang findet sich heute in Dresden und feiert in diesem Jahr sein 50jähriges Jubiläum. Es ist übrigens die Hochschule, an der auch Ute Stehr studierte.
Anlässlich des Jubiläums richtet die Gemäldegalerie am 21. Juni 2024 ganztägig einen Studientag mit dem Titel Universum Restaurierung (smb.museum) aus. An diesem Tag wird auch die Leiterin der Gemälderestaurierung Dr. Babette Hartwieg in den Ruhestand verabschiedet.
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