Pop on Paper im Kulturforum: Eine knallige Ausstellung
Lesezeit 6 Minuten
Die Pop-Art-Sammlung des Kupferstichkabinetts zählt zu den
bedeutendsten in Europa. Jetzt werden die Highlights erstmals in Gänze
am Kulturforum präsentiert, denn die Ausstellung gehört zu den ersten,
die nach dem Corona-Lockdown wieder öffnen. Ein bunter Trip zwischen
Werbung und Konsumkritik.
Text: Karolin Korthase
Richard
Hamilton beschrieb 1957 die Pop Art als „populär, kurzlebig,
entbehrlich, billig, in Massenproduktion hergestellt, jung, witzig,
sexy, marktschreierisch, glamourös, big business“. Ein Jahr zuvor hatte
der britische Künstler eine Collage geschaffen, die heute als
Ur-Kunstwerk dieser Stilrichtung gilt. „Just what is it that makes
today’s homes so different, so appealing?“, lautet der sperrige Titel,
zu Deutsch: „Was macht heutige Wohnungen nur so anders, so anziehend?“.
Auf nur 24 mal 26 Zentimetern inszeniert Hamilton ein piefiges
1950er-Jahre-Wohnzimmerambiente mit Bodybuilder und Pin-up-Girl,
Fertiggericht, Fernseher und Jukebox und legte damit den Grundstein für
die späteren Sujets der Pop Art.
Auf der anderen Seite des
Atlantiks erreichten die Babyboomer-Jahre ihren Höhepunkt. Die
US-Wirtschaft brummte und die Middle Class frönte der Lust an Konsum und
Körper, angekurbelt durch gigantische Werbekampagnen. Künstler wie
Robert Rauschenberg reagierten auf die Bilderflut, indem sie das Banale
und Alltägliche in Form von Glühbirnen, Tapetenresten, Comics zum Teil
ihrer Kunst machten – eine künstlerische Provokation, das das
Establishment entsetzte und das Ende des abstrakten Expressionismus
einläutete. Zum Dreh- und Angelpunkt der neu entstehenden Kunstrichtung
wird die Galerie von Leo Castelli in New York. Andreas Schalhorn,
Kurator der Ausstellung „Pop on Paper. Von Warhol bis Lichtenstein“ im
Kupferstichkabinett, erzählt: „Leo Castelli war ein wichtiger
Multiplikator, der den Kunstmarkt durch seine genialen
Marketingstrategien aufwirbelte.“
Die Künstler haben sich künstlich beschränkt
Bei
Castelli gaben sich Ende der 1950er-Jahre Vorreiter wie Robert
Rauschenberg und Jasper Johns, ab Beginn der 1960er-Jahre auch Pop
Art-Superstars wie Roy Lichtenstein und Andy Warhol die Klinke in die
Hand. Um seine Ausstellungen zu bewerben, ließ der findige Galerist
Künstler-Plakate drucken, die limitiert als exklusive Einladungskarten
nach Europa verschickt wurden. In der Ausstellung sind einige dieser
Einladungsplakate ausgestellt, die sich heute im Bestand der
Kunstbibliothek befinden. Gefertigt wurden sie, ebenso wie viele weitere
Pop-Art-Kunstwerke, mit Hilfe der Siebdrucktechnik. Wie groß die
Bedeutung dieses Druckverfahrens für die Entstehung und Entwicklung des
Genres war, kann gar nicht überbetont werden, wie Fabienne Meyer,
Restauratorin im Kupferstichkabinett, sagt: „Fotografien konnten
beliebig vervielfältigt und unterschiedliche Materialien wie Kunststoff,
Keramik und Papier bedruckt werden.“ Ohne den Farbsiebdruck gäbe es
weder die berühmte „Marilyn“-Serie von Warhol noch die Comicbilder
Lichtensteins. Trotz aller Anleihen bei der Werbebranche, sowohl in
technischer als auch in inhaltlicher Hinsicht, achteten die Künstler
jedoch auf limitierte Auflagen: „Es war zwar möglich, unbegrenzte
Auflagen zu drucken, aber die Künstler haben sie künstlich beschränkt,
indem sie die Drucke nummerierten und die Siebe nach dem Druck
zerstörten. Damit versuchte man den künstlerischen Wert zu betonen und
sich von der Werbegrafik abzuheben“, erklärt Meyer.
In zehn
Kapiteln nähert sich „Pop on Paper“ Themen der Pop Art sowie einzelnen
Künstler*innen. Das Augenmerk liegt dabei auf den US-amerikanischen
Ursprüngen und den Essentials der Kunstrichtung. „Das hat mit der
Sammlungsgeschichte des Kupferstichkabinetts unter Alexander Dückers,
dem Direktor von 1984 bis 2002, zu tun“, erklärt Andreas Schalhorn. Die
Werkliste der Ausstellung, die rund 100 Arbeiten umfasst, liest sich wie
das Who is Who der Pop Art. Die schon erwähnten Künstler Jasper Jones,
Robert Rauschenberg, Andy Warhol und Roy Lichtenstein sind ebenso
vertreten wie Robert Indiana, Mel Ramos, Tom Wesselmann oder James
Rosenquist. Neben US-amerikanischen Positionen werden aber einige
europäische Parallelentwicklungen und Reflexionen vor und nach 1965
thematisiert, so etwa bei Richard Hamilton, Sigmar Polke, KP Brehmer,
Ulrike Ottinger, Maria Lassnig, Sturtevant und Equipo Crónica. Ein
zeitgenössisches Echo des Pop-Styles findet sich in Arbeiten von Antje
Dorn und SUSI POP. „Wir wollen eine knallige Ausstellung, in der unsere
Besucher ganz und gar in das starke Energiefeld der Exponate eintauchen
können“, so Andreas Schalhorn.
Ein Atompilz und der Jagdbomber F-111
Zu
den Highlights der Schau gehört das vierteilige Monumentalwerk „F-111“
von James Rosenquist (1964/65). Es wird im Kulturforum in der
Grafik-Variante zu sehen sein, die der Künstler Mitte der Siebziger auf
Grundlage des Originalgemäldes erstellte. Darin verknüpft Rosenquist,
der vor seiner Künstlerkarriere als Plakatmaler tätig war, auf
eindrückliche Weise verschiedene Motive aus Werbeanzeigen des „Life
Magazine“ mit militärischen Symbolen der US-Luftwaffe. Ein Atompilz und
der Jagdbomber F-111, der ab 1967 im Vietnamkrieg zum Einsatz kam,
werden mit Konsumgütern wie Autoreifen, Spaghetti, einer Trockenhaube,
Glühbirnen und einem Sonnenschirm collagiert. Produziert wurden die
Güter von einigen wenigen Mega-Firmen, wie Dow Chemical, General
Electric oder Firestone, die nicht nur das gesellschaftliche, sondern
auch das militärische Leben bestimmten.
Ein Highlight von „Pop on Paper“ in formaler
Hinsicht sind zwei sogenannte „Paperdresses“, die das Kunstgewerbemuseum
als Leihgaben zur Verfügung stellt. Ursprünglich als Werbegimmick einer
Marketingkampagne für Wegwerfservietten und Küchenrollen konzipiert,
entwickelten sich die Kleider Mitte der 1960er-Jahre in den USA schnell
zu einem Bestseller. Innerhalb von nur acht Monaten wurden 500.000 Stück
verkauft. Da sich der billige Zellulosestoff einfach und kostengünstig
mit Grafik und Prints bedrucken ließ, waren die Kleider im Weiterverkauf
billig und somit auch für junge, wenig kaufkräftige Konsumentinnen
erschwinglich. Wie groß der Einfluss der Pop Art auf den Mainstream
schon damals war, zeigen einige Motive dieser Paper Dresses.
Schöne Nackte auf Zigarettenschachtel
So
ließen die Universal Filmstudios 1968 in Anlehnung an Warhols
Hollywoodstar- Porträts Kleider mit den Gesichtern bekannter Filmstars
bedrucken. Ein Jahr zuvor gab die Campbell Soup Company ein „Souper
Dress“ heraus, das sich explizit auf Warhols Werk „32 Campbell’s Soup
Cans“ (1962) bezieht. Wer zwei Gemüsesuppenetiketten und einen Dollar an
das Unternehmen schickte, bekam das Kleid per Post zugesandt. Die Kunst
wurde so zur Ware, ebenso wie die Ware von den Künstlern vorab zur
Kunst stilisiert wurde. Für beide Seiten – die Kunstwelt wie die
Industrie – war diese Melange eine Win-Win-Situation.
„It
takes art to make a company great“, wusste schon in den 1960er Jahren
George Weissman, der CEO des Philip-Morris- Tabakkonzerns, der zu den
maßgeblichen Förderern von „11 Pop Artists – The New Image“, einem
Mappenwerk mit insgesamt 33 Werken in drei unterschiedlichen Formaten
gehörte. Dieses wurde ab 1966 weltweit gezeigt und hatte einen wichtigen
Anteil an der Erfolgsgeschichte der Pop Art. Auf einem der Siebdrucke
ist eine nackte Schöne von Mel Ramos zu sehen, die lasziv auf einer
Zigarettenschachtel von Philip Morris sitzt. Eine bessere Werbung konnte
sich der Konzern damals nicht wünschen. Bei aller Nähe zur
Werbeindustrie lässt sich die amerikanische Pop Art jedoch nicht darauf
reduzieren. „Man kann nicht sagen, dass die Pop Art der Werbung nur
bejahend gegenübersteht“, sagt Andreas Schalhorn. „Sie entlarvt vielmehr
die Mechanismen von Werbung und Konsumkultur, indem sie diese
vergrößert und offensiv für ihre eigenen Zwecke nutzt.“
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