Queere Spurensuche im Museum Europäischer Kulturen

Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“, Gerhard Goder, Berlin, 2014 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia
Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“, Gerhard Goder, Berlin, 2014 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia

Im Mai feierten Berliner Kultureinrichtungen den Queer History Month. Auch das Museum Europäischer Kulturen (MEK) suchte nach queeren Geschichten in der eigenen Sammlung. Wir haben die Stationen der Sonderführung für euch zusammengefasst, damit ihr auch nach dem Aktionsmonat noch Gelegenheit habt, euch selbst auf Spurensuche zu begeben.

Autorin: Jana Wittenzellner

Der Queer History Month wurde vor wenigen Jahren in Anlehnung an den britischen LGBT History Month in Berlin eingeführt. LGBT steht hierbei für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender. Der Queer History Month schafft einen Rahmen, in dem Museen und Bildungseinrichtungen einen Monat lang einen verstärkten Fokus auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in Gesellschaft und Geschichte richten. Das MEK bot eine Sonderführung an, um queere Geschichte(n) in der eigenen Sammlung sichtbar zu machen. Die Stationen verweisen, manchmal auf den ersten und manchmal auf den zweiten Blick, auf queere Zusammenhänge und zentrale Themen aus der Community.

Politische Botschaften
Den Auftakt des Rundgangs macht ein Stickbild mit der Aufschrift „Homo Sweet Homo“ in der Ausstellung „100 Prozent Wolle“.

1.Stickbild „Homo Sweet Homo“, Erin Darby, Maryland, USA, 2017 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Michael Mohr
Stickbild „Homo Sweet Homo“, Erin Darby, Maryland, USA, 2017 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Michael Mohr

Einer der Sammlungsschwerpunkte des MEK sind traditionelle Handwerkstechniken. Zu den klassischen Handarbeitstechniken gehört auch das Sticken. Das gezeigte Stickbild zitiert in Material und Motivik klassische Vorbilder. Die Wortwahl lehnt sich an das sprichwörtlich gewordene „Home Sweet Home“ an. Durch die Abwandlung zu „Homo Sweet Homo“ verweist das Stickbild mit einem Augenzwinkern darauf, dass der häusliche Frieden, der Rückzug ins traute – vielleicht sogar eheliche – Heim auch homosexuellen Paaren möglich ist. Im Gegensatz zu den früher als „Volkskunst“ bezeichneten Werken ist hier auch die Herstellerin bekannt. Gefertigt wurde das Bild von der US-amerikanischen Künstlerin Erin Darby; auf der Rückseite findet sich der selbstbewusste Name ihres Labels: „BitchStitchStudio. Not Your Mother’s Embroidery“. Erin Darby stellt ihre Stickbilder auf Anfrage her und verkauft sie weltweit über den Onlinehandel Etsy.

Queere Beteiligte
Viele queere Geschichten von Objekten lassen sich auch mit einem Blick auf die daran beteiligten Personen offenlegen. Sämtliche Rollen kommen hierfür in Frage, zum Beispiel die der HerstellerInnen eines Gegenstandes, der AuftraggeberInnen, der VorbesitzerInnen und der NutzerInen. So befinden sich in der Sammlung des MEK etwa mehrere hundert Sammelbilder, die einst Charlotte von Mahlsdorf (1928-2002) gehörten – deren Geburtsname Lothar Berfelde lautete. Auch der „Aids MEMORIAL Quilt“, der das nächste Ziel des Rundgangs ist, könnte in diesem Zusammenhang stehen. Er dient hier allerdings als Beispiel, Objekte nach ihrem Entstehungskontext und Verwendungszusammenhang zu befragen.

Queere Lebenswelten

Aids Memorial Quilt, Block 22, Amsterdam, Niederlande, 1988 – 2008 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen
Aids Memorial Quilt, Block 22, Amsterdam, Niederlande, 1988 – 2008 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen

Der Quilt entstand ab Ende der 1980er Jahre in den Niederlanden. Er ist Teil eines weltweiten Projektes mit dem Namen „Aids MEMORIAL Quilt“. Seinen Ausgang nahm das Projekt im Jahr 1987 in San Francisco. Auf Anregung des schwulen Aktivisten Cleve Jones wurden zu einem Gedenkmarsch jeweils acht rechteckige Banner mit den Namen von Aidstoten zu einem Block zusammengenäht – einem Quilt. Viele dieser Blöcke wurden an öffentlichen Orten präsentiert, sie spiegelten Trauer, Wut und Sorge wider. Seit den 1980er Jahren sind etwa 48.000 Rechtecke entstanden mit den Namen von über 94.000 Aidstoten. Viele der Quilts reisen um die Welt und dienen inzwischen dazu, Aufmerksamkeit zu schaffen, Vorurteile zu bekämpfen und Spenden einzutreiben, um den Kampf gegen Aids zu finanzieren. Der Quilt des MEK gehörte, bis er 2014 vom Museum übernommen wurde, der Amsterdamer Community.

Assoziationen
Eine vierte Möglichkeit, Objekte auf queere Geschichte und Geschichten zu untersuchen, sind Assoziationen. Dies wird am Beispiel der „Männerhemdstrickjacke“ illustriert, die der Strickkünstler Horst Schulz (1933-2017) für den TV-Entertainer Jürgen von der Lippe strickte, der das Hemd in der Sendung „Wat is?“ trug.

Gestricktes Männerhemd, Horst Schulz, Berlin, ca. 1995 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen
Gestricktes Männerhemd, Horst Schulz, Berlin, ca. 1995 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen

Strickende Männer ziehen, so will es das Klischee, schnell den Verdacht auf sich, schwul zu sein; und tatsächlich sind mit Arne & Carlos und Stephen West drei der fünf weltweit bekanntesten männlichen Strickdesigner homosexuell. Horst Schulz wurde in Ostpreußen, im heutigen Polen, geboren. Im Internierungslager in Rye/Dänemark, in dem er nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind längere Zeit lebte, lernte er von einer alten Frau stricken. Als junger Mann machte Schulz eine Ausbildung zum Dekorateur im Textil- und Dekorationsgeschäft des Onkels und arbeitete anschließend in verschiedenen Modehäusern in ganz Deutschland. International bekannt wurde er durch die sogenannte Patchwork-Stricktechnik: Man strickt kleine Einzelstücke, die anschließend zu einem Werk zusammengestrickt werden. Auf diese Art ist die Hemdjacke für Jürgen von der Lippe entstanden.

Anschließend führt der Rundgang zu einem der Highlights der ständigen Sammlungspräsentation des MEK: der Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“.

Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“, Gerhard Goder, Berlin, 2014 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia
Skulptur „Conchita Wurst auf der Mondsichel“, Gerhard Goder, Berlin, 2014 © Staatliche Museen zu Berlin, Museum Europäischer Kulturen / Ute Franz-Scarciglia

„Conchita Wurst auf der Mondsichel“ kam 2015 in die Sammlung. Sie stammt von dem österreichischen Künstler Gerhard Goder und ist aus Zirbelkiefer geschnitzt, einem Holz, das traditionell zur Fertigung von Heiligenskulpturen genutzt wird.

Die Skulptur spiegelt Motive aus der christlichen Ikonografie. Ein erster Bildtypus, an den sie sich anlehnt, ist jener der Mondsichelmadonna. Er war vor allem im 16. Jahrhundert populär und zeigt die Muttergottes auf einer Mondsichel stehend. Ähnlichkeit besteht auch zu den Darstellungen des Barmherzigen Christus, die nach der Beschreibung der hl. Faustina (1905-1938) entstanden sind. Weiterhin ruft die Skulptur die Legende der hl. Kümmernis aus dem 14. Jahrhundert auf. Sie erzählt, wie eine zum Christentum bekehrte Prinzessin von ihrem Vater mit einem Nicht-Christen verheiratet werden sollte. Um sich davor zu schützen, bat sie Gott, verunstaltet zu werden, damit sie nicht heiraten müsse – der Legende nach wuchs ihr ein Bart. Die Skulptur Goders trägt die Gesichtszüge von Conchita Wurst, einer Kunstfigur des österreichischen Travestie-Künstlers Thomas Neuwirth. Mit dem Lied „Rise Like a Phoenix“ gewann Conchita Wurst im Jahre 2014 den Eurovision Song Contest. Goder verstand seine Skulptur als Zeitdokument, mit dem er aktuelle gesellschaftliche Diskussionen festhielt. Er wollte die Vielfalt der Gesellschaft spiegeln, die aus Menschen unterschiedlich kultureller Hintergründe, sexueller Vorlieben und religiösen Glaubens besteht.

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