Schwergewichte und Lichtgestaltung – Beräumung des Pergamonmuseums
Lesezeit 9 Minuten
Das Pergamonmuseum wird zurzeit grundlegend saniert – doch was passiert eigentlich momentan auf der Baustelle? Die Museumsfachleute Helen Gries und Moritz Taschner erklären vor Ort, welche Arbeiten gerade durchgeführt werden.
Text: Sven Stienen
Seit 2013 wird das Pergamonmuseum saniert. Der alte Bau, der bald seinen 100. Geburtstag feiert, beinhaltet die Sammlungen des Vorderasiatischen Museums, der Antikensammlung und des Museums für Islamische Kunst. Er wurde in über 90 Jahren Betrieb nie modernisiert oder grundlegend ertüchtigt. Nachdem das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) zunächst mit der Sanierung des Nordflügels und des Mittelteils mit dem Hellenistischen Saal und dem Altarsaal begonnen hatte, laufen nun seit Oktober 2023 die Arbeiten im Südflügel des Hauses auf Hochtouren. Dieser Gebäudeteil beinhaltet u.a. den Miletsaal der Antikensammlung, in dem das Markttor von Milet und weitere römische Denkmäler gezeigt werden, sowie das berühmte Ischtar-Tor und die babylonische Prozessionsstraße aus der Sammlung des Vorderasiatischen Museums und im ersten Stock die Sammlung des Museums für Islamische Kunst.
Wer den Miletsaal heute betritt, den erinnert inzwischen fast nichts mehr an ein Museum. Vor der imposanten Kulisse des 29 Meter breiten marmornen Markttores, das einst zwei Platzanlagen in Milet verband, stehen verpackte Objekte, Werkzeuge und Maschinen, Leitern und Gerüste. Der Lärm von Hämmern und Bohrmaschinen ist ohrenbetäubend und Handwerker:innen und Restaurator:innen laufen geschäftig umher.
Moritz Taschner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Antikensammlung und einer derjenigen, die hier trotz allem den Überblick behalten. „Was wir hier gerade sehen, ist die Baufreimachung“, erklärt er. Damit das Museum tatsächlich zur Baustelle werden kann und die Arbeiter:innen mit der eigentlichen Sanierung des Gebäudes beginnen können, müssen zunächst die gesamte Ausstellungseinrichtung und die meisten Exponate raus. „Alles, was mobil, also beweglich ist, kommt raus“, erläutert Taschner. „Der Rest, also die extrem großen, zum Teil tief in die Museumswände einbindenden Exponate wie das Markttor, bleiben hier und werden während der Bauarbeiten zum Schutz verkleidet und minutiös überwacht.“ Zuletzt wurde das prächtige Orpheusmosaik aus dem 2. Jhdt. n. Chr. ausgebaut. „Wir wollten das als erstes raushaben, weil es sehr empfindlich ist und viel Platz inmitten des Saales einnimmt“, sagt Taschner. In den letzten drei Monaten wurde es Stück für Stück abgebaut und die einzelnen Platten in ein Depot verbracht, wo sie in den kommenden Jahren restauriert werden. Der Abbau des Mosaiks war eine Herausforderung, wie Moritz Taschner sich erinnert: „Wir haben das Mosaik in verschieden große Segmente aufgeteilt, vorsichtig vom Mörtelbett des Bodens gelöst und diese dann einzeln ausgebaut. Davor musste alles penibel dokumentiert und vermessen werden, denn man kann sich vorstellen, wie kompliziert es wäre, das Mosaik ohne sorgfältige Dokumentation wieder zusammen zu setzen.“
Natürliches Tageslicht für mediterranen Flair
Als nächster großer Meilenstein werden in den kommenden Wochen mehrere tonnenschwere Statuen abgebaut und aus dem Museum abtransportiert. Das Team arbeitet unter großem Druck daran, diese logistische Herausforderung bestmöglich vorzubereiten. Die Objekte werden entweder über einen fest installierten Lastenaufzug hier im Haus abtransportiert oder sie kommen durch eine spezielle Einbringöffnung nach draußen, wie Taschner erzählt. „Die Ein- bzw. Ausbringöffnung wurde in die Außenwand gesägt und führt direkt auf eine Plattform an der Außenseite des Museums“, erklärt er weiter. Die Öffnung wurde Anfang des neuen Jahrtausends für eine Notrestaurierung des Markttores geschaffen, um große marmorne Bauteile aus dem Museumsgebäude zu transportieren. Heute sind die Fachleute froh, dass sie da ist – denn andernfalls hätte man sie neu anlegen müssen.
Wenn alle mobilen Objekte von den Ausstellungsflächen der Antikensammlung beräumt sind, beginnt hier im Saal die eigentliche Sanierung. Dafür werden u.a. die Wände neu verputzt, es wird eine moderne Haustechnik und Klimaanlage eingebaut – letztere war bisher gar nicht vorhanden – und außerdem werden auch das Glasdach und die Saaldecke komplett erneuert. Dies wird für die Raumqualität eine der wichtigsten Verbesserungen, wie Moritz Taschner weiß: „Die Lichtdecke gehörte bereits zum ursprünglichen Konzept des Museums. Sie lässt natürliches Tageslicht hindurch, das sich im Laufe des Tages verändert und so die Exponate wie in der mediterranen Landschaft wirken lässt.“ Während viele Dachflächen des Pergamonmuseums im Zuge der Grundsanierung mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet werden, bleibt das Dach über dem Miletsaal daher ausgespart, um möglichst viel Tageslicht in den Saal zu leiten. Da der Berliner Himmel dennoch nicht so viel Licht spendet wie der mediterrane, wird noch künstliches Licht zugesteuert. „Mit der Modernisierung der Lichttechnik werden wir das Niveau der Präsentation hier deutlich heben und dabei den ursprünglichen Charakter der einzigartigen historischen Architektursäle dennoch bewahren können“, ist sich Taschner sicher.
Mit großen Herausforderungen und einem neuen Dach beschäftigen sich derzeit auch die Mitarbeitenden des Vorderasiatischen Museums. Zu seinen Exponaten im Pergamonmuseum gehören u.a. das Ischtar-Tor und die Prozessionsstraße von Babylon, aber auch zahlreiche weitere bedeutende Objekte wie die Torlöwen aus Sendschirli, die Stiftmosaikfassaden aus Uruk aus dem 4. Jt. v. Chr. oder das Wasserbecken aus Assur. Helen Gries ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Vorderasiatischen Museum und auch ihr Arbeitsalltag dreht sich seit der Schließung des Museums vor allem um die Logistik hinter den Kulissen.
Eine schwergewichtige Mischung
Wenn man heute den langen Gang entlanggeht, der auf das Ischtar-Tor zuführt und an dessen Seiten sonst die blauen Ziegel der Prozessionsstraße leuchten, dann fühlt man sich auch hier wie bei einem Umzug: Dutzende, zum Teil sehr große Steinobjekte reihen sich dort auf, alle sind mehr oder weniger verpackt und auf Paletten fixiert. „Was hier steht, sind unsere schwergewichtigen Steinskulpturen, eine wilde Mischung“, sagt Helen Gries. „Wir haben hier Stelen aus Assur, neu-assyrische Wandreliefs aus Nimrud oder den Wettergott aus Sendschirli, der derzeit in seine Einzelteile zerlegt ist.“ Diese Anordnung hat System, wie Helen Gries versichert: „Wir haben das alles nach Gewicht geordnet. Aufgrund der extrem hohen Lasten mussten wir genau überlegen, wie wir es hier auf den Raum verteilen.“ Außerdem, so erklärt Gries weiter, werden diese Objekte als nächstes in einer bestimmten Reihenfolge durch ein Fenster in einem Seitenraum nach außen gekrant.
Ähnlich wie im Miletsaal werden auch hier alle beweglichen Objekte abtransportiert und die fest verbauten Objekte verkleidet, bevor die eigentlichen Bauarbeiten beginnen. Die fest eingebauten Exponate, die nicht unbeschadet ausgebaut werden können und derzeit noch zum Schutz vor Staub von Textilfolien verdeckt werden, sollen bald hinter neuen temporären Wänden verschwinden. Denn auch die Prozessionsstraße und das Ischtar-Tor befinden sich unter einem Glasdach, das Tageslicht hineinlässt – doch was nebenan im Miletsaal als Feature gilt, ist hier zum Problem geworden. „Die blauen Ziegel des Ischtar-Tores und der Prozessionsstraße sind sehr empfindlich“, erklärt Gries, „um ihre bunten Glasuren zu erhalten, müssen wir die Sonneneinstrahlung und damit die Raumtemperaturen und die Luftfeuchtigkeit genau kontrollieren – das ist mit dem aktuellen, alten Glasdach nicht möglich.“
Daher wird im Rahmen der Sanierung wie im Miletsaal auch hier ein komplett neues Glasdach eingesetzt. Dafür wird zunächst ein Wetterdach errichtet und das alte Dach vollständig abgebaut – die Objekte wären dann der Witterung und dem Klima ausgesetzt, weswegen sie durch eine spezielle Wand vor Klimaschwankungen geschützt werden. Das neue Dach wird nicht nur statisch viel stabiler sein und einer modernen Energieeffizienz entsprechen – es wird zukünftig möglich sein elektronisch zu regulieren, wie viel Sonnenlicht in den Museumsraum fällt.
Eine organisatorische Mammutaufgabe
Bis es soweit ist, liegt aber noch ein weiter Weg vor den Teams von Antikensammlung und Vorderasiatischem Museum. Denn nach der Beräumung und dem Ausbau der letzten großen Objekte, der dieser Tage erfolgt, muss die Restaurierung und Lagerung aller Objekte organisiert werden. „Wir müssen die Objektgruppen zum Teil für den Transport trennen, denn es macht keinen Sinn, eine tonnenschwere Stele und einige dazugehörige Kisten mit Kleinteilen im selben Transport zu bewegen“, erklärt Gries. „Aber wir möchten natürlich die Objekte nach dem Transport so schnell wie möglich wieder zusammenbringen, um Fehler und spätere Probleme bei der Zuordnung auszuschließen.“ Die Museumsmitarbeitenden sind daher während der gesamten Beräumung vor Ort und achten penibel darauf, dass alles gut dokumentiert wird. Auch die Verteilung der Objekte auf drei Depots und die Restaurierung, die von mehreren externen Partnerfirmen durchgeführt wird, müssen organisiert und koordiniert werden – ein Vollzeitjob für Gries und ihre Kolleg:innen.
Bisher läuft alles nach Plan, wie Helen Gries versichert. Nach vielen Wochen, in denen hier im Pergamonmuseum auf Hochtouren gearbeitet wurde, ist der Bau bald „besenrein“ und kann an die Baufirmen übergeben werden. „Das Auskranen aus dem Fenster wird für uns ein Meilenstein. Damit endet die Beräumung des Museums zwar noch nicht ganz, aber nach vielen arbeitsintensiven Wochen ist dann wichtiger Schritt geschafft und die Restaurierung und auch die inhaltliche Vorbereitung der Neupräsentation der Objekte rückt mehr in den Fokus.“
Während viele Berliner:innen sehnsüchtig auf die Wiedereröffnung des Pergamonmuseums warten, laufen also hinter den Kulissen unzählige Prozesse ab, um den Zeitplan einzuhalten und am Ende ein modernisiertes Haus eröffnen zu können, das hoffentlich weitere 90 Jahre und mehr übersteht.
Aber es gibt ein Trostpflaster, denn Helen Gries, Moritz Taschner und ihre Kolleg:innen arbeiten bereits daran, die ersten Objekte für die Wiedereröffnung des Nordflügels und des Mitteltraktes 2027 vorzubereiten. Diese enthalten u.a. den Saal des Pergamonaltars und den Saal der Hellenistischen Architektur sowie eine neue Präsentation des Museums für Islamische Kunst.
Am 22.10.2023 schließt das Pergamonmuseum für eine grundlegende Sanierung. Wir sprachen Anfang des Jahres mit den Direktor:innen des Hauses, Barbara… weiterlesen
Vor 90 Jahren öffnete das Pergamonmuseum seine Pforten. Wir haben spannende Einblicke in die bewegte Geschichte des wohl berühmten Berliner… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare