Stolze Kulturbotschafter: Baukunst aus Ozeanien im Humboldt Forum
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Auf den Ausstellungsflächen des Ethnologischen Museums im Humboldt Forum werden ab September Meisterwerke der ozeanischen Baukunst präsentiert. Jetzt sind Handwerker aus Palau und von den Fidschi-Inseln zu Gast, um an einem originalen Boot und einem traditionellen Versammlungshaus zu arbeiten.
Text: Sven Stienen
Joji Marau Misaele spricht mit einer sanften Stimme, die gar nicht zu seiner kräftigen Erscheinung passt. Der Bootsbauer aus Fidschi, der eigentlich Mechanical Engineering an der Fiji National University lehrt, steht im Ausstellungssaal „Ozeanien, Mensch und Meer“ einer Gruppe von Journalist:innen Rede und Antwort.
Gemeinsam mit seinem Kollegen, dem Schnitzhandwerker und Bootsbauer Rogovosa Biuwale, ist er nach Berlin gekommen, um hier im Humboldt Forum ein Doppelrumpfboot oder „Drua“ aufzubauen, das er und sein Team auf den Fidschi-Inseln im Auftrag des Humboldt Forums gebaut haben. „Eigentlich sind die beiden Rümpfe des Bootes aus einem Stück Holz gefertigt“, sagt er und lacht, „um es hier in das Haus zu bekommen, mussten wir sie auseinandersägen und jetzt wieder zusammensetzen.“
Holz von schwer zugänglichen Inseln
Doppelrumpfboote, umgangssprachlich als Katamarane bekannt, wurden schon vor Jahrtausenden von Polynesiern verwendet, um den Ost-Pazifik zu erkunden und entfernte Inseln anzusteuern. Das besondere an den Druas, die die ursprünglichen Katamarane ersetzten, ist, dass die beiden Rümpfe unterschiedlich lang sind – dadurch sind die Boote noch wendiger. Das zehn Meter lange und etwas über zweieinhalb Meter breite Boot ist ein Nachbau eines 1913 gebauten Bootes, das sich heute im Fidschi Museum in der Hauptstadt Suva befindet. Das Boot zu bauen, war eine echte Mammutaufgabe, wie Joji Marau erzählt: „Das Baumaterial ist ein besonderes Hartholz, das heute nur noch an wenigen, meist schwer zugänglichen Orten wächst. Wir mussten mit dem Boot 24 Stunden zu einer entlegenen Insel fahren und die Stämme dort schlagen“, erinnert er sich.
Obwohl Joji und sein Team moderne Werkzeuge benutzen, dauerte es fünf Monate, bis das Boot fertig war. Die Bauweise ist traditionell, die mit Schnitzereien verzierten Hölzer werden mit überlieferten Verbindungen zusammengesetzt. Fixiert wird alles mit einer Schnur aus Kokosfaser. Das Boot verfügt über einen kleinen Sonnenschutz aus geflochtenen Blättern, an einer Seite sind einige beeindruckende, verzierte Speere angebracht. „Das sind die Speere der Krieger“, erklärt Joji. Die führen immer mit, denn jedes Boot gehöre einem Chief. Sein besonderer Platz ist in der kleinen Kabine, umgeben von seinen Kriegern. „Der Chief hat das Privileg, sich vor der brennenden Sonne zu schützen, während die anderen Reisenden sich irgendwo auf dem Boot einen Platz suchen“ erklärt Joji weiter und lacht: „Wo ist egal, Hauptsache auf dem Boot und nicht im Wasser.“
Keine Maße, keine Pläne – aber eine Menge Präzision
Das Know-How des Bootsbaus wird auf Fidschi innerhalb der Community weitergegeben, sagt Joji. Meist geben die Älteren ihr Wissen an die Jüngeren weiter – man findet sich in Gruppen zusammen und baut die Boote, wenn jemand eines braucht. Dabei werden keine exakten Maße befolgt und es gibt keine festen Pläne – alles richtet sich nach einem Ausgangsmaß und wird dann relational dazu gebaut. Dennoch sind die Boote hoch leistungsfähig und auch das Berliner Boot ist voll funktionstüchtig, wie Joji versichert: „Man könnte es jetzt zu Wasser lassen und damit auf dem Ozean fahren.“ Doch die Druas werden heute nicht mehr genutzt, die letzten dieser Bauweise wurde im 19. Jahrhundert für den Gebrauch hergestellt. Heute fahren die Insulaner kleinere, moderne Boote, die Druas werden selten und wenn dann eher aus Traditionspflege gebaut. Heute gebe es nur noch eine Handvoll von ihnen, sagt Joji, einige davon in Museen.
Das Berliner Drua wird als Kulturbotschafter der Fidschi-Inseln Generationen erfreuen, so hofft der Bootsbauer. „Wir sind stolz, unsere Kultur hier repräsentiert zu sehen“, sagt er. Und da das Boot an einem trockenen und geschützten Ort sei, werde es sicher viele Jahre hier stehen. Es wird ganz sicher viele Berliner:innen und Besucher:innen begeistern – denn nach der temporären Schließzeit im August können Kinder und Jugendliche das Boot als Teil der Familienfläche beklettern und erkunden.
Rhythmischer Gesang aus vielen Männerkehlen
Während Joji und seine Kollegen damit fortfahren, die letzten Verzierungen anzubringen – prächtige weiße Schneckenschalen, die wegen ihrer reflektierenden Oberfläche unter anderem der Navigation bei Nacht dienen –, geht es für die Anwesenden der Presseschau hinüber in den Ausstellungssaal „Bauwerke aus Ozeanien“, wo ein weiteres spannendes Kapitel des südpazifischen Lebens wartet.
In der Halle erklingt ein rhythmischer Gesang aus vielen Männerkehlen. Hier ist eine Gruppe von Handwerkern von der Südseeinsel Palau damit beschäftigt, das Dach eines der originalen Häuser aus Ozeanien zu decken. Patrick Tellei und sein Team arbeiten hier seit Anfang August daran, das Dach des „Bais“ in traditioneller Technik mit Palmblatt-Schindeln zu decken, die sie von Palau mitgebracht haben.
„Wenn jemand ein Bai bauen möchte, kommt er zu uns“
Ähnlich wie die Bootsbauer der Fidschi-Inseln, gehen auch die Handwerker von Palau im Alltag anderen Berufen nach und üben ihr Handwerk privat, als Hobby und Traditionspflege aus, wie Patrick Tellei erklärt: „Offiziell bin ich Präsident des Palau Community College. Wir haben eine Männergruppe, in der wir uns darauf spezialisiert haben, traditionelle Bais zu bauen.“ Es gebe viele weitere Gruppen in Palau, die auf diese Weise die Tradition aufrechterhalten, erzählt Tellei, aber sie seien auf andere Dinge spezialisiert. „Wenn jemand ein Bai bauen möchte, kommt er zu uns.“
Das Bei, ein großes repräsentatives Versammlungshaus, ist für die Menschen von Palau ein Ort der Macht, der für die Community Identität stiftet. „Heute gibt es nur noch vier traditionelle Bais auf Palau und eines davon befindet sich im Museum“ erzählt Tellei. Seine Gruppe baut auch kleine Modelle der Häuser, um die Handwerkstechniken zu üben und am Leben zu erhalten. Auch Männerklubs wie die Gruppe, die nun singend das Dach deckt, sind fester Bestandteil des Lebens auf Palau – und mit den Bais verknüpft, denn jeder Klub hat seinen eigenen Versammlungsort, wo politische Entscheidungen getroffen und öffentliche Arbeiten wie der Bau von Straßen beschlossen werden. Während die Männerklubs im Zuge der deutschen (1899-1914) und später der japanischen Kolonisierung ihre gesellschaftliche Macht weitgehend verloren, haben die Versammlungshäuser sich bis heute als wichtiger Bestandteil der Kultur auf Palau gehalten. „Das Bai ist das Zentrum unserer Community“, erklärt Tellei. „Hier treffen sich die Chiefs. Wenn sie sich einfach im Restaurant träfen, würde ihnen niemand zuhören – sie brauchen einen Ort wie das Bai und ihre Macht ist mit diesem Ort verknüpft.“
Architektonischer Kulturbotschafter
Das Berliner Bai wurde 1907 von dem Arzt und Ethnologen Augustin Krämer auf Palau in Auftrag gegeben, von einem damaligen Männerklub gebaut und 1908 nach Berlin gebracht. 1970 wurde es um einen Fußboden und einen Dachstuhl ergänzt und erneut der Öffentlichkeit präsentiert – doch erst heute wird das Haus mit einem originalgetreuen Dach vervollständigt.
„Wir sind sehr stolz auf unsere traditionelle Architektur und froh darüber, dass hier ein Bai existiert, dessen Dach wir decken können“, sagt Patrick Tellei. Es sei sehr gut, fährt er fort, dass das Haus hier unter optimalen Bedingungen stehen könne und seine Kultur repräsentiere.
In Palau selber sind die heutigen Versammlungshäuser meist aus Beton und modernen Baumaterialien. Das hat nicht nur Bequemlichkeitsgründe, wie Tellei erläutert: „Durch den Klimawandel sind Stürme und Taifuns heute viel stärker. Die alten, traditionellen Holzhäuser würden ihnen kaum standhalten.“
Ähnlich wie das Fidschi-Boot nebenan, wird auch das Palau-Haus künftig für Besucher:innen des Humboldt Forums frei zugänglich sein. Wer das Haus bereits an seinem alten Standort in Dahlem besucht hat, der weiß, welche besondere Atmosphäre in dem Gebäude herrscht, die nun, mit dem fertigen Dach, noch deutlicher spürbar sein wird.
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