Die Tulpe ist eines der Wahrzeichen Hollands und seit
Jahrhunderten fester Bestandteil der europäischen Gartenkultur. Im
Rahmen der Reihe „Weitwinkel – Globale Sammlungsperspektiven“ wird
beleuchtet, warum dies jedoch nur die halbe Wahrheit ist.
Text:
Maria Schaller mit Beiträgen von Katja Kleinert (Gemäldegalerie),
Claudia Kanowski (Kunstgewerbemuseum) und Stefan Weber (Museum für
Islamische Kunst)
In Gärten, Parks und an Wegesrändern
leuchteten Tulpen in den vergangenen Wochen wieder in allen erdenklichen
Farben und Formen. In den Niederlanden – auch bekannt als „größter
Blumenladen der Welt“ – werden die bunten Frühblüher heutzutage als
Massenware gezüchtet. Einst jedoch bedingten sie als kostbare Handels-
und Spekulationsobjekte den ersten Börsenkrach der Geschichte. Objekte
aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zeugen von einer
Begeisterung für Tulpen, die nicht allein auf Holland beschränkt war,
sondern durch die näher betrachteten, künstlerischen Artefakte als
transkulturelles Phänomen greifbar wird.
Ein kaum bezahlbares Arrangement
Im
„Berliner Blumenstrauß“ (Abb.1), den Jan Brueghel d. Ä. um 1619/20
fertigte, sind weiße und gelb-rot geflammte Tulpen in einem üppigen
Arrangement mit Traubenkirschen, Narzissen, Maiglöckchen, Blaustern und
vielen weiteren Blüten vereint. Nicht weniger als 50 verschiedene
Pflanzenarten hat der Antwerpener Maler mit dem Beinamen
„Blumen-Brueghel“ in seinem Gemälde dargestellt.
„Das Motiv des
Blumenstraußes war erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts als
selbstständiges Bildthema anerkannt worden“, erklärt Katja Kleinert,
Kuratorin für niederländische und flämische Kunst des 17. Jahrhunderts
in der Gemäldegalerie. Da die Blumenzucht zu diesem Zeitpunkt noch ganz
am Beginn stand, stellten Blumensträuße eine große Besonderheit dar.
Sowohl reale als auch gemalte Sträuße wurden als kostbare Rarität
angesehen. Zudem war der Aufwand, Werke wie den „Berliner Blumenstrauß“
herzustellen, aufgrund ihrer langen Entstehungsdauer und der
naturgetreuen Wiedergabe sehr hoch. Brueghel d. Ä. beispielsweise
fertigte zu diesem Zweck eigens in den Gärten des Erzherzogpaars in
Brüssel Zeichnungen und Skizzen seltener Blumen an – darunter auch
ausgewählte Sorten von Tulpen. Seiner eigenen Beschreibung nach, begann
er einen Blumenstrauß im Frühling und beendete ihn erst mehrere Monate
später.
Der „Berliner Blumenstrauß“ hätte in dieser Form
tatsächlich gar nicht existieren können, da sich neben den Frühblühern
auch Sommerblumen in ihm finden. Weiterhin macht die Zusammenstellung
der Tulpen als botanische Kostbarkeiten mit den vielen seltenen
Gartenblumen den Strauß zu einem kaum bezahlbaren Arrangement. Brueghel
fertigte sein Gemälde in einer Zeit, in der in Holland ein regelrechtes
Tulpenfieber ausbrach. Horrende Summen wurden an der Amsterdamer Börse
gezahlt. Eine Tulpenzwiebel konnte bis zu 5200 Gulden kosten – das
Jahreseinkommen eines Handwerkers betrug demgegenüber nur 300 Gulden!
1637 sollte der Tulpenwahn zum ersten dokumentierten Börsenkrach der
Wirtschaftsgeschichte führen.
Von China nach Delft
In
der neu eingerichteten Fayence- und Porzellanabteilung des
Kunstgewerbemuseums am Kulturforum wird ein weiteres Objekt ausgestellt,
das zwar erst viele Jahre nach dem Platzen der Spekulationsblase von
1637 entstand, jedoch ebenfalls nur im Kontext der Tulpomanie in den
Niederlanden zu verstehen ist, wie Claudia Kanowski, Kuratorin für
Keramik im Kunstgewerbemuseum, weiß: Es handelt sich um eine sogenannte
„Tulpenvase“ (Abb. 2).
„Mehrteilige Tulpenvasen können eine
Gesamthöhe von bis zu 120 cm besitzen“, erklärt Kanowski. „Einzelne
besonders schöne Tulpen wurden in den Tüllen des Gefäßes arrangiert, es
gibt aber auch kleinere, einteilige Modelle, wie das Beispiel aus dem
Kunstgewerbemuseum zeigt.“ Die kleine Tulpenvase in Pagodenform ist in
Blau auf weißem Grund mit stilisierten Streublumen und Ornamenten
bemalt. Der herzförmige Korpus ist mit plastischen, echsenähnlichen
Fantasietieren verziert und wird durch einen obeliskenartigen Aufsatz
bekrönt. Die Vase wurde um 1680/1690 in einer der renommiertesten
holländischen Fayencemanufakturen gefertigt: „De Grieksche A“ in Delft.
Holland
ist das Ursprungsland der „Tulpenvasen“, deren Blütezeit zwischen 1680
und 1720 lag. Zur Entstehungszeit nannte man diese Vasenform allerdings
nicht „Tulpenvase“, sondern „piramide“ oder „pagode“, denn ihre Form
erinnert an die der chinesischen Pagoden mit ihrer Folge gleichförmiger,
sich nach oben hin verjüngender Stockwerke. In Europa wurden diese
Bauwerke durch illustrierte Reiseberichte bekannt, wie Johan Nieuhofs
Publikation „Die Gesandtschaft der Ost=Indischen Gesellschaft […]“, die
seit 1665 in mehreren Auflagen erschienen war.
Weltweiter Kulturaustausch
Mit
ihren Dekoren ahmt die „Tulpenvase“ aus der Sammlung des
Kunstgewerbemuseums überdies chinesisches Porzellan nach. Dass sie in
Delft gefertigt wurde, ist kein Zufall. Denn Delft war Sitz der 1602
gegründeten Handelsgesellschaft „Verenigde Oost-Indische Compagnie“
(VOC). Die holländischen Handelsschiffe brachten aus Fernost
Blau-Weiß-Porzellan, aber auch Tee und Seide in bislang noch nicht
dagewesenen Mengen nach Europa. Dennoch überstieg die Nachfrage das
Angebot. So siedelten sich direkt in Delft viele Keramiker an, die das
ostasiatische Porzellan nachahmten und neuinterpretierten.
Im 17.
Jahrhundert konnte man in Europa noch kein eigenes Porzellan herstellen,
das „arcanum“, das Geheimnis um die Zusammensetzung des Porzellans,
sollte erst 1708 in Meißen gelüftet werden. Hingegen war man bestens mit
der Fayencetechnik vertraut. So wurde Delft zu einem Zentrum der
Produktion blau-weißer Fayence, bei der es sich um eine zinnglasierte
Keramik handelt. Für ihre Produktion nutzten die Delfter Keramiker
leerstehende Bierbrauereien wie „De Grieksche A“ (Das griechische A) und
behielten deren Namen bei.
Die kleine Tulpenvase in Pagodenform
stellt ein Zeugnis der intensiven Handelsbeziehungen mit China dar und
kann zugleich die Komplexität von transkulturellen Austauschprozessen in
der Frühen Neuzeit verdeutlichen. So hatte die Technik der Fayence
ihren Ursprung im Orient und wurde vermittelt durch maurische
Werkstätten in Spanien bekannt. Über den spanischen Umschlagplatz
Mallorca fand sie zur Zeit der Renaissance in Italien Verbreitung
(Majoliken), während sie im Barock von Faenza aus nach Nordeuropa
gelangte (Fayencen).
Die Tulpe selbst, zu deren Zurschaustellung
in Holland die Vasenform der „piramide“ oder „pagode“ entwickelt werden
sollte, war hingegen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts über das
Osmanische Reich nach Europa gelangt; wilde Tulpen sind im Nahen Osten
heimisch. Während vor allem in Holland in der Folgezeit vornehmlich
Tulpen in gedrungenen Formen und gestreiften Farben gezüchtet wurden,
waren in der Türkei schlanke, spitzblättrige und einfarbige Tulpen
bevorzugt.
Tulpenliebe in Holz
Der Name
der Tulpe leitet sich vermutlich vom persischen Wort für den ähnlich
geformten Turban (dulband) ab. „Lale“, wie die Tulpe im Türkischen auch
genannt wird, war die Lieblingsblume des Sultans Süleyman I. (reg.
1520–1566). Ein Hofchronist berichtet, wie dieser eine Jagd bei Beykoz,
südwestlich von Istanbul, im Jahre 1523 mit Tulpengeschenken ganz
außerhalb ihrer Saison feiern ließ. Auf Festen wurden mitunter auch
überdimensionierte Papiertulpen umhergeführt. Eine wahrzeichenartige
Riesentulpe ist aber auch bereits auf einer seldschukischen Fliese aus
Konya (13. Jahrhundert) dargestellt (Abb. 3).
Die diesjährige
Tulpenblüte ist gerade vorbei, doch im prächtigen Aleppo-Zimmer können
die Frühblüher ganzjährig bestaunt werden, wie Stefan Weber, der
Direktor des Museums für Islamische Kunst, versichert. Das Zimmer, eines
der Highlights im Museum für Islamische Kunst, entstand vor 420 Jahren.
Damals hat der Aleppiner Kaufman Isa ibn Butrus den Frühling dauerhaft
auf seine hölzerne Wandvertäfelung fixieren lassen – just in der letzten
Woche wurden die Restaurierungsarbeiten an einer Darstellung der
Jungfrau Maria mit dem Jesuskind, die ein Tulpengewand trägt,
erfolgreich abgeschlossen (Abb. 4 und 5).
Tulpenfieber weltweit
Das
Tulpenfieber hatte sich damit nicht nur von Istanbul nach Holland
ausgebreitet, sondern auch in die arabische Welt, wo es in Damaskus,
Aleppo oder Sidon noch zwei Jahrhunderte grassierte. In der
Regierungszeit des Sultans Ahmed III. (reg. 1703–30), die auch als
„Tulpenzeit“ („Lale devri“) bekannt ist, wurden Gartentulpen schließlich
auch aus Holland reimportiert. Die frühneuzeitliche
Tulpenleidenschaft offenbart sich damit als transkulturelles Phänomen.
Der rege Tausch und Handel mit den begehrten Zwiebeln ging mit einer
künstlerischen Produktion einher, in der sich die Kontinente
übergreifende Begeisterung für diese Frühblüher auf verschiedenste Weise
abbildet.
Tulpen
werden auch in vielen weiteren Objekten im Besitz der Staatlichen
Museen zu Berlin thematisiert, so z.B. in den zahlreichen Zeichnungen
Georg Flegels im Kupferstichkabinett (Abb. 6). Eine Fotografie mit dem
Titel „Tulipa ansiana“ aus der Sammlung der Kunstbibliothek (Abb. 7)
stammt aus dem Mappenwerk „La flora sanremese fotografata“, das Pietro
Guidi gemeinsam mit dem Apotheker und Botaniker Francesco Panizzi
(1817–1893) veröffentlichte. Schließlich werden im Museum Europäischer
Kulturen drei filigrane Haarnadeln aufbewahrt, die ebenfalls mit
Tulpenblüten verziert sind (Abb. 8). In den wiedereröffneten Häusern und in der Online-Datenbank der Sammlungen – SMB-digital – gilt es, noch einige mehr zu entdecken.
„Weitwinkel
– Globale Sammlungsperspektiven“ ist eine interdisziplinäre
Veranstaltungsreihe, die sich in Anlehnung an aktuelle Ausstellungen,
Forschungsprojekte und Kooperationen der Staatlichen Museen zu Berlin
mit transkulturellen Themen und gesellschaftsrelevanten Fragestellungen
beschäftigt. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite zu Weitwinkel.
„Pflanzen“
sind auch das Jahresthema 2019/2020 des 4A Laboratory: Art Histories,
Archaeologies, Anthropologies, Aesthetics (2019–2023). Eine Kooperation
des Kunsthistorischen Instituts in Florenz und der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz zusammen mit der Humboldt-Universität zu Berlin und dem
Forum Transregionale Studien. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite zum 4A Lab.
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