Schnell hin, bevor die Bilder im Urlaub sind! Das Museum Berggruen wird ab September renoviert, die Sammlung geht auf Reisen und ist frühstens in drei Jahren wieder in Berlin zu sehen.
Text: Irene Bazinger
Was für ein Empfang! Da ist er, der Harlekin hinter der Glastür zum Auftakt des Rundgangs im Museum Berggruen. In seinem hellen Trikot vor der rötlich-ockerfarben geflammten Wand, die er wie ein Heilsbringer aufreißt, erwartet er die Besucherinnen und Besucher mit leicht melancholischem Blick. Das macht aber nichts, schließlich gehört er zum Zirkus und weiß, wie man auf die Pauke haut. Deshalb zieht er uns auf seine nachdenklich-verhaltene Weise magisch und betörend an, wie ein guter Bekannter, der gerade nicht seinen besten Tag hat, und sich trotzdem freut, uns zu sehen, auch wenn er es nicht recht zeigen kann. Dieser „Sitzende Harlekin“ (1905), ein Aquarell aus Pablo Picassos Rosa Periode, ist eines der Meisterwerke, die der Kunstsammler und Mäzen Heinz Berggruen nach Berlin gebracht hat. Sein Museum befindet sich seit 1996 in Charlottenburg und bildet mit dem Museum Scharf-Gerstenberg, dem Bröhan Museum sowie dem gegenüberliegenden Schloss so etwas wie das Gegengewicht zur Museumsinsel in Mitte.
In etwa einer halben Stunde kann man vom einen Ende dieser im wahrsten Sinne als Sichtachse zu bezeichnenden Querverbindung zum anderen gelangen – mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem E-Scooter, mit dem Fahrrad. Von der Entfernung her ist die Strecke mit rund acht Kilometern nicht besonders lang, inhaltlich hingegen außerordentlich weit: Der Bogen reicht von der um 1340 v. Chr. angefertigten, farbig bemalten Büste der ägyptischen Königin Nofretete bis zur Bronze-Skulptur „Die Katze“ (1951) Alberto Giacomettis, von Caspar David Friedrich zu Paul Klee. Einige Jahre lang konnte man Heinz Berggruen selbst hier treffen. Denn er lebte in den Räumen über seiner geliebten Sammlung im klassizistischen Stülerbau, nannte dies seine „harmonische Wohngemeinschaft“: „Es ist eine Freude, mehr noch, eine Beglückung, jeden Tag, morgens und abends, aber auch untertags den Bildern und Skulpturen, die mir einst gehörten, ‘Guten Tag‘ zu sagen.“ Heinz Berggruen verstarb 2007, seine Witwe Bettina ist in der Schweiz daheim, deswegen wird ihre Berliner Heimstatt nun als Ausstellungsfläche umgebaut. Allerdings wollen Kunstwerke nicht eingesperrt und eingelagert sein, sie wollen angeschaut, studiert, bewundert werden. So sah es Berggruen und so sieht es auch Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kunstbesitz.
Berggruens Schätze werden überall das Publikum begeistern
Und darum werden Berggruens Schätze, während das Museum renoviert und umgestaltet wird, erst einmal auf Reisen gehen, um andernorts ihr Publikum zu begeistern. Was ohne Zweifel der Fall sein wird, handelt es sich doch mit über 120 Exponaten um eine der umfangreichsten öffentlichen Picasso-Sammlungen. Dazu kommen Arbeiten von Henri Matisse und Paul Klee – welch überwältigendes Triumvirat der klassischen Moderne! Ein paar Cézannes haben sich ebenfalls eingefunden, darunter als Aquarell ein Porträt des Gärtners Vallier aus dem Jahr 1906. Berggruen hatte es auf einer Londoner Versteigerung erworben, ohne damals viel über Paul Cézanne zu wissen. Er hatte sich spontan zum Kauf entschlossen, weil „mich das Bild ergriff und verzauberte“.
Das ist eine Gefühlslage, die sich auch heute einstellt, wenn man das elegante Gebäude mit der markanten Treppenrotunde betritt. Der Ausflug in die jüngere Kunstgeschichte ist hier so einfach und angenehm wie kaum irgendwo möglich. Die Räume wirken intim und bewahren die Atmosphäre einer privaten Sammlung. Die Bilder treten einem tatsächlich auf Augenhöhe entgegen und bieten dabei genügend Platz, um sie für sich wie in Korrespondenz mit anderen zu betrachten. Da es zahlreiche Frühwerke von Picasso gibt, beobachtet man dem Maler quasi beim Erwachsenwerden – und kann erkennen, dass sich das Genie schon früh zeigte: Ob es das wie aus dem Handgelenk hingeworfene „Selbstporträt mit Schirmmütze“ (1904/1905) ist oder das Ölgemälde „Häuser auf einem Hügel“ (1909), das Gertrude Stein in seinem Atelier sah, sofort kaufte und in ihrem Tagebuch notierte, es wäre „der Anfang des Kubismus“. Wie sich diese Stilrichtung entfaltete und wie Picasso damit umging, lässt sich hochinteressant in der Bleistiftzeichnung „Tänzerin und kubistische Komposition“ (1919) nachvollziehen, die als skizzenhafte ästhetische Transformation erscheint: Auf der linken Seite die Figur, auf der rechten ihr geometrisch aufgelöstes Konzentrat.
In Charlottenburg die Schwerkraft mit Meistern überwinden
Die verspielte Leichtigkeit, die Picassos Oeuvre charakterisiert, drückt auch die zauberhafte, zierliche Skulptur „Amsel“ (1943) aus, die Berggruen aus dem Nachlass von Picassos zeitweiliger Geliebter Dora Maar kaufte. Diese Plastik zähle, schrieb er, zu den schönsten Objekten seiner Sammlung, und führte aus: „Ein Stück Holz, eine kleine Portion Gips, ein dünner Draht – und die Amsel singt.“
So sind immer wieder überraschende Entdeckungen und emotionale Erfahrungen zu machen, bis hin zu den beklemmenden Bildern, die während des Zweiten Weltkriegs entstanden, wie „Großer liegender Akt“, gemalt im von der Wehrmacht besetzten Paris 1942. Eine nackte Frauengestalt, elend, eingesperrt, zerquält, zutiefst einsam, symbolisiert die Schrecken der Tyrannei, der Diktatur und des Krieges.
Obwohl manches schockierend und beängstigend ist, fügt sich alles zu dem großen Glück, den Entwicklungslinien dieses Ausnahmekünstlers nachspüren und ihn bei seinen Studien, Experimenten, Realisierungen begleiten zu dürfen. Und man muss dafür nicht in den Fernzug oder ins Flugzeug steigen, man ist dank Heinz Berggruens Wunderkammer auf kurzem Weg mitten im Blickfeld des Genies.
Als wäre das nicht schon faszinierend genug, kann man hier auch anderen Künstlern huldigen. Es gibt stilistisch sehr unterschiedliche Werke von Paul Klee zu sehen, wie die Tuschezeichnung „Fatales Fagott Solo“ (1918), das die Luft schier zum jazzigen Schwingen bringt, oder das amüsant in sich gespiegelte Aquarell „Drüber und drunter“ (1932), das genau das zeigt, was es verspricht – und mehr. Seine Ölfarbezeichnung „alte Stadt am Wasser“ (1924) wirkt wie eine ironisch verbrämte Antwort auf Johannes Vermeers „Ansicht von Delft“ und scheint sich selbst an dieser Hommage aus weiter Ferne zu erfreuen. Nach der „Apfel-Studie“ von Paul Cézanne, um 1885 mit Bleistift und Aquarellfarben zu Papier gebracht, möchte man sofort in eine solche Frucht beißen, und mit Henri Matisses leuchtend blauem Scherenschnitt „Die Seilspringerin“ (1952) die Schwerkraft überwinden. Und das im Herzen von Berlin! Zumindest noch bis Anfang September! Letzter Aufruf: Wer Augen hat zu staunen, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
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