Ungeahnte Möglichkeiten. Der Forschungscampus Dahlem kommt
Lesezeit 9 Minuten
Seit das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische
Kunst ihre Pforten in Dahlem geschlossen haben, um ins Humboldt Forum zu
ziehen, stellt sich der Museumsstandort neu auf. Alexis von Poser und
Patricia Rahemipour gehören zu den Lenkern des Forschungscampus Dahlem.
Text von Timo Weißberg
Spaziert
man vom U-Bahnhof Dahlem-Dorf über die Iltisstraße, steht man bald an
der Lansstraße, vor dem ehemaligen Eingangsgebäude des Ethnologischen
Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Der imposante Bau im Stil
der neuen Sachlichkeit liegt, umgeben von Instituten der Freien
Universität, mitten im beschaulichen Villenviertel Dahlem im Südwesten
Berlins. Vor dem mit Glas verkleideten Eingang erstreckt sich eine von
stattlichen Platanen bestandene Wiese. Genau hier soll einmal der FC
Dahlem aufspielen. Die Abkürzung „FC“ steht jedoch nicht für den
örtlichen Fußballclub – sondern für das, was hier gerade am Entstehen
ist: den Forschungscampus Dahlem, dessen architektonisches Zentrum der
eindrucksvolle Bau einmal bilden soll. Noch wirkt hier alles, nicht
zuletzt auch coronabedingt, recht ruhig. Doch im Hintergrund laufen sich
die Macher*innen bereits warm. Ideen werden entwickelt, es herrscht
Aufbruchsstimmung.
Intensive Diskussionen in der Lenkungsgruppe
Unweit
der Lansstraße sitzen an einem Spätsommertag Alexis von Poser und
Patricia Rahemipour im Garten des Instituts für Museumsforschung, das
Teil der Staatlichen Museen zu Berlin ist, die wiederum zur Stiftung
Preußischer Kulturbesitz gehören. Von Poser und Rahemipour kamen beide
etwa zeitgleich im Herbst 2019 zu Europas größtem Museumsverbund: sie
als Direktorin eben jenes traditionsreichen Instituts; er als
stellvertretender Direktor des Ethnologischen Museums sowie des Museums
für Asiatische Kunst. Beide sind Sprecher*innen der sogenannten
„Lenkungsgruppe FC Dahlem“, einem Gremium, in dem sämtliche am
Forschungscampus beteiligte Institutionen mit ihren Leitungen vertreten
sind. Mit dabei sind neben dem Ethnologischen Museum, dem Museum für
Asiatische Kunst und dem Institut für Museumsforschung außerdem das
Museum Europäischer Kulturen, Rathgen-Forschungslabor und die
Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin sowie das
Iberoamerikanische Institut, ebenfalls eine Einrichtung der Stiftung
Preußischer Kulturbesitz.
In regelmäßigen Abständen trifft sich
die Gruppe zum inhaltlichen Austausch. „Wir alle sind natürlich sehr von
unserem Tagesgeschäft besetzt“, sagt Patricia Rahemipour. „Alle
Mitglieder haben ja anspruchsvolle Funktionen. Der Forschungscampus
kommt da gewissermaßen noch obendrauf.“ Im Gespräch merkt man den beiden
an, mit welchem Enthusiasmus sie an die Sache herangehen. Begeistert
erzählen sie von einer zweitägigen Klausurtagung in Berlin-Schmöckwitz
Anfang Februar, auf der sich die Gruppe aus Wissenschaftler*innen ganz
unterschiedlicher Disziplinen zunächst über die grundlegende Ausrichtung
des Forschungscampus verständigt hat. Zu den in Schmöckwitz
erarbeiteten Ergebnissen zählt unter anderem die Definition von vier
zentralen Begriffen: Kulturen Forschen, Dinge und Wissen.
Kulturen, Forschen, Dinge, Wissen
Alexis
von Poser erläutert die Ideen, die sich dahinter verbergen: „Das
Begriffspaar ‚Kulturen – Forschen‘ bedeutet nicht nur, dass wir Kulturen
erforschen, sondern ebenso, dass Kulturen zu uns kommen und die hier
vorhandenen Sammlungen beforschen.“ Für das Ethnologische Museum gehört
die gemeinsame Forschung mit Expert*innen aus den Herkunftsregionen an
den eigenen Sammlungsbeständen seit Jahrzehnten zum Arbeitsalltag. Von
Poser erklärt weiter: „Die Gegenüberstellung ‚Dinge – Wissen‘, meint zum
einen, dass wir Wissen über Dinge erlangen oder generieren wollen, zum
anderen aber auch, dass Dinge in sich selbst Wissen tragen.“ Auch andere
Verbindungen seien möglich, etwa ‚Kulturen – Wissen‘ oder ‚Dinge –
Forschen‘. „Alle diese Schlagworte lassen sich ganz verschieden
miteinander kombinieren und immer ergibt sich dabei ein Sinn, der für
den Forschungscampus relevant ist“, so von Poser. Rahemipour ergänzt:
„Im Prinzip bilden diese Leitbegriffe das Koordinatensystem, innerhalb
dessen wir uns auf dem Campus bewegen.“
Dass die Findung dieses
Systems in der Gruppe erst einmal intensiv diskutiert werden musste,
veranschaulicht sie an einem Beispiel: „Für die Museumsleute unter uns
war eigentlich klar, dass es ‚Objekte – Wissen‘ heißen muss.“
Insbesondere das Rathgen-Forschungslabor aber sprach sich dagegen aus –
unter anderem da aus dessen naturwissenschaftlicher Perspektive der auf
kulturelle Codierung und historische Interpretation verweisende
Objekt-Begriff zu eng gefasst erschien. „Auf der einen Seite existieren
also unterschiedliche Jargons in den verschiedenen Wissenschaften. Auf
der anderen Seite zeigt sich während der Treffen unserer Gruppe immer
wieder, dass auch dieselben Bezeichnungen in den unterschiedlichen
Disziplinen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben können“, so von
Poser, „über all dies muss man sich bei einem solch interdisziplinärem
Projekt wie dem FC Dahlem zunächst einmal verständigen.“.
Wissen oder Wissenschaft?
Nach
diesen unerlässlichen theoretischen Vorarbeiten geht das
Lenkungsgremium nun ganz praktisch an die inhaltliche Ausgestaltung. Wie
die beiden Sprecher*innen betonen, ist neben der eigentlichen Forschung
und den damit verbundenen Infrastrukturen das Thema
Wissenskommunikation zentral für den Forschungscampus: „Wir sprechen
ganz bewusst von ‚Wissenskommunikation‘ und nicht von
‚Wissenschaftskommunikation‘, weil es uns eben nicht darum geht, nach
dem Sender-Empfänger-Prinzip Wissenschaft zu betreiben und diese dann
anschließend zu kommunizieren.“ Vielmehr gehe es um die Kommunikation
über Wissen und die Aushandlung von Wissen: Wie entsteht Wissen und in
welchen Prozessen geschieht dies? Wichtig sei dabei auch der Austausch
mit einem möglichst breiten Publikum. Gemeinsam haben die Akteure
bereits zahlreiche Ideen für öffentlichkeitswirksame Formate entwickelt.
Unter
anderem ist für das kommende Jahr eine Ausstellung mit mindestens fünf
Objekten in Vorbereitung, die aus ebenso vielen Perspektiven betrachtet
werden sollen. Jede der am Forschungscampus beteiligten Einrichtungen
bringt dabei ihre Sichtweise mit ein. Patricia Rahemipour erklärt das
Prinzip wie folgt: „Nehmen wir eine Maske, egal aus welchem kulturellen
Kontext. Aus einer ethnologischen Perspektive könnte beispielsweise der
gesellschaftliche Entstehungszusammenhang oder auch die Funktion des
Gegenstands im Fokus stehen. Mich als Vertreterin des Instituts für
Museumsforschung hingegen interessiert eher, welche Rolle diese Maske in
einem Ausstellungskonzept übernehmen kann. Für die Fachleute des
Rathgen-Forschungslabors wiederum steht die Materialuntersuchung im
Vordergrund. Und am Iberoamerikanischen Institut wird man, ähnlich wie
die Ethnologen, sehr stark die Perspektive der jeweiligen
Herkunftskultur einbeziehen.“
Wunderbare Möglichkeiten
Eine
solche Ausstellung ist also auch eine wunderbare Möglichkeit, einer
größeren Öffentlichkeit die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, die
im FC Dahlem vertreten sind, exemplarisch vorzustellen. Konkret in
Planung ist zudem die nächste Ausgabe der „Southern Theory Lecture“,
einer öffentlichen Vortragsreihe, die in Kooperation mit dem Institut
für Sozial- und Kulturanthropologie und dem Leibniz-Zentrum Moderner
Orient der Freien Universität organisiert wird. Die Reihe lädt
Wissenschaftler*innen aus dem Globalen Süden zu Vorträgen und
Diskussionsveranstaltungen ein und möchte einen Beitrag zur
Diversifizierung theoretischer Debatten in den Sozial- und
Geisteswissenschaften leisten. Den Auftakt machte Ende letzten Jahres
der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr. Neben Vorlesungen
und Ausstellungen ist außerdem eine Podcast-Serie geplant, die sich mit
den vielfältigen Themen des FC Dahlem beschäftigen wird. Auch
künstlerische Interventionen sind zukünftig als Teil des
Forschungscampus denkbar, um auf diese Weise beispielsweise das
Verhältnis von Wissenschaft und Kunst neu auszuloten.
Zusätzlich
zu diesen publikumsorientierten Formaten sollen aber auch stärker
universitär ausgerichtete Vorhaben umgesetzt werden. So wird derzeit
gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der benachbarten Freien Universität
ein interdisziplinäres Graduiertenkolleg für Studierende aus aller Welt
vorbereitet. Eine zentrale Rolle spielen auch die am Standort
vorhandenen Sammlungen. Das Museum Europäischer Kulturen etwa ist am
Standort fest etabliert: Es erforscht, bewahrt und präsentiert hier seit
mehr als 20 Jahren Alltagskultur sowie Lebenswelten in Europa. Das
Ethnologischen Museum und das Museum für Asiatische Kunst werden ihre
Ausstellungen zwar zukünftig im Humboldt Forum im neuerrichteten
Berliner Schloss nahe der Museumsinsel zeigen. Ihre umfangreichen
Bestände jedoch verbleiben zu mehr als 90% weiterhin in Dahlem – eine
nahezu unerschöpfliche Quelle für verschiedenste Forschungstätigkeiten.
In enger Zusammenarbeit mit Vertreter*innen aus Herkunftsgesellschaften
werden die Sammlungen im Hinblick auf Fragen nach der Biografie von
Objekten untersucht: Wo kommen diese her, unter welchen Umständen sind
sie erworben worden, wie haben sich ihre Bedeutungsinhalte im Zuge ihrer
Verlagerung verändert? Auch zu Themen wie Partizipation, Teilen von
Deutungshoheit, Zirkulation und Restitution von materiellen und
immateriellen Kulturgütern wird der Forschungscampus Grundlagenarbeit
leisten.
Ein traditionsreicher Wissenschaftsstandort
Ganz
bewusst knüpft die Idee eines (auch museal) ausgerichteten
Forschungscampus an Traditionen des Standortes an, die weit über 100
Jahre zurückreichen. Bereits um 1900 entwickelte der Preußische
Ministerialdirektor Friedrich Althoff für das bis dahin
landwirtschaftlich geprägte märkische Dorf Dah-lem die Idee eines
„deutschen Oxford“, an dem Teile der Universität, wissenschaftliche
Institute und andere Bildungseinrichtungen angesiedelt werden sollten.
In engem Austausch stand er mit Wilhelm von Bode, dem damaligen
Generaldirektor der Königlichen Museen, von dem die Idee stammte, in
Dahlem zudem Museumseinrichtungen und -sammlungen zu etablieren.
Für
das Völkerkundemuseum (heute Ethnologisches Museum) sowie ein
Asiatisches Museum sollten vier Neubauten errichtet werden. Jedoch wurde
Anfang der 1920er Jahre lediglich ein nach Plänen des Architekten Bruno
Paul errichteter Bau fertiggestellt, in dem heute das Museum
Europäischer Kulturen untergebracht ist. Der Zweite Weltkrieg und die
Auflösung Preußens beendeten zunächst die ambitionierten Pläne für den
weiteren Ausbau des Wissenschaftsstandorts. Erst in der Zeit der Teilung
Berlins und mit der Gründung der Freien Universität wurden die
Überlegungen wieder aufgenommen. So zogen 1949 neben den ethnologischen
Sammlungen die Gemäldegalerie, die Skulpturenabteilung, das
Kupferstichkabinett und die Kunstbibliothek nach Dahlem.
Form follows function
Mit
der Errichtung eben jenes neusachlichen Gebäudes, das zukünftig den
Mittelpunkt des Forschungscampus bilden wird, erfolgte schließlich
Anfang der 1970er Jahre die bauliche Vollendung des Museumskomplexes
durch Fritz Bornemann und Wils Ebert. Generationen von Berliner*innen
sowie Besucher*innen aus aller Welt konnten hier in den folgenden
Jahrzehnten unter anderem die berühmten Boote aus Ozeanien bestaunen –
bis das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst im
Februar 2017 ihre Dahlemer Türen für das Publikum schlossen. Seitdem
wird in den ehemaligen Ausstellungsräumen unter großem Aufwand der Umzug
ins Humboldt Forum vorbereitet. Wenn dieser in naher Zukunft
abgeschlossen sein wird, stehen auch die Säle wieder zur Verfügung.
Beste räumliche Voraussetzungen für den FC Dahlem also.
Eine
architektonische Potenzialanalyse für den Komplex wurde bereits
durchgeführt. Sie hat ergeben, dass der Platz auf den zur Verfügung
stehenden Flächen ausreicht, um eine räumliche Vernetzung der am
Dahlemer Forschungscampus beteiligten Einrichtungen zu ermöglichen. Dazu
werden langfristig auch bauliche Maßnahmen nötig sein. In der jetzigen
Phase aber möchten sich die Macher*innen weiter vor allem auf das
Programmatische konzentrieren. „Zuerst kommen die Inhalte, dann die
räumliche Ausgestaltung“, sind sich Alexis von Poser und Patricia
Rahemipour einig. Doch auch wenn deren Realisierung eine längerfristige
Perspektive bleibt: Der Enthusiasmus und die Kreativität des Teams des
FC Dahlems sind ansteckend. Die Aufwärmphase ist abgeschlossen – gelebte
Realität ist der Forschungscampus jetzt schon.
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16 Jahre lang leitete Viola König das Ethnologische Museum in Dahlem. Sie kuratierte in dieser Zeit nicht nur bedeutende Sonderausstellungen,… weiterlesen
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