20 Jahre Museum Europäischer Kulturen:

„Wir haben uns immer wieder neu erfunden“

Iris Edenheiser und Elisabeth Tietmeyer im Museum Europäischer Kulturen. © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker © Foto: David von Becker

In diesem Jahr feiert das MEK sein 20. Jubiläum. Unsere Autorin Karolin Korthase traf Elisabeth Tietmeyer, die Direktorin des MEK, und ihre Stellvertreterin Iris Edenheiser für einen Rückblick auf die bewegte Geschichte des Hauses und eine Vorschau auf kommende Highlights.

Interview: Karolin Korthase

Von der prachtvollen venezianischen Gondel bis zum Dönerspieß aus Plastik, vom 18. Jahrhundert bis heute – das MEK (Museum Europäischer Kulturen) präsentiert in Dahlem ein Potpourri an Exponaten der europäischen Kulturgeschichte und gesellschaftlicher Diversität. Den Sammlungsbestand des Hauses unter einen thematischen Hut zu bringen, ist kaum möglich. Die Werke, die in der Sammlungspräsentation „Kulturkontakte. Leben in Europa“ und in wechselnden Sonderausstellungen gezeigt werden, sind so vielfältig wie die Alltagskulturen und Lebenswelten, die sie abbilden. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des MEK haben wir mit der Direktorin Elisabeth Tietmeyer und ihrer Stellvertreterin Iris Edenheiser über das Museum als Begegnungsort, über Europa und über außergewöhnliche Objekte gesprochen.

Gibt es Exponate im Bestand des MEK, zu denen Sie einen besonderen Bezug haben?
Iris Edenheiser: Ich finde, unsere Skulptur von Conchita Wurst nach wie vor toll: Sie steht einerseits für zeitgenössische Populärkultur, der wir uns stark zuwenden. Sie steht aber auch für Genderfragen und sexuelle Diversität. Hinzu kommt, dass sie mit ihrer katholischen Bildsprache zwar unerwartet, aber doch hervorragend in unsere historische Sammlung passt und sich hier auf ganz ungewöhnliche Weise Kontinuitäten ergeben.
Elisabeth Tietmeyer: Ein Objekt, das ich wirklich interessant finde, ist unser Ramadan-Kalender. Hierbei handelt es sich um eine Adaption des christlichen Adventskalenders mit 30 Türchen, hinter denen sich Schokolade verbirgt. Sie werden täglich nach Sonnenuntergang von Kindern geöffnet, um dann die Süßigkeit zu essen.. Den Kalender haben wir in einem türkischen Supermarkt in Berlin entdeckt und ich finde, dass er die kulturellen Verflechtungen in unserer Gesellschaft wunderbar reflektiert. Ein anderes, für mich wichtiges Objekt ist natürlich unsere venezianische Gondel von 1910. Sie ist nicht nur prachtvoll und passt inhaltlich hervorragend in unsere Ausstellung, sie hat auch eine interessante Biografie: Sie wurde in den 1970er-Jahren von venezianischen Kaufleuten einem Kaufmann aus Berlin geschenkt, der einige Jahre damit auf dem Halensee gondelte. Anfang der 1980er-Jahre verschenkte er sie.

Neben der Sammlungspräsentation legt das MEK großen Wert darauf, ein Ort der Begegnung und des Austausches zu sein. Wie fördern Sie als Museumsmacherinnen Interaktionen zwischen den Menschen?
Elisabeth Tietmeyer: Wir legen sehr viel Wert auf Veranstaltungen, bei denen die Besucher*innenaktiv miteinbezogen werden. Einmal im Jahr richten wir zum Beispiel die „Europäischen Kulturtage“ aus: Neben einer kleinen Ausstellung bieten wir dann vier Wochen lang unterschiedliche Veranstaltungen zu einem bestimmten Land, einer Region oder einer Stadt an, so dass man Europa Stück für Stück kennen lernen kann. Auch sind unsere Ausstellungen und Interventionen partizipativ ausgerichtet, zum Beispiel die Aktion „Gib mir dein Europa“, bei der die Besucher*innen aufschreiben können, was Europa für sie bedeutet. Außerdem arbeiten wir schon lange mit Textilkünstler*innen zusammen, die Workshops geben und auf dem jährlich veranstalteten Textiltag ihre Fertigkeiten vermitteln.
Iris Edenheiser: Wichtig ist uns auch der intergenerationelle Austausch. Der ergab sich zum Beispiel in der jüngst zu Ende gegangenen Ausstellung „100 Prozent Wolle“ ganzselbstverständlich, weil hier Kinder mit ihren Eltern und Großeltern hinkamen und dann in dem großen Arbeitsbereich in der Mitte des Ausstellungsraumes auf vielfältige Weise mit Wolle arbeiteten. Handarbeit, Do-it-youself ist wieder in. Genau darauf reagieren wir:Wir wollen im MEK ein so genanntes MakerMuseum eröffnen, das u.a. von der Friede Springer Stiftung finanziert wird. Es ist als intergenerationelles Mitmach-Museum geplant, in dem es prinzipiell darum geht, Kulturtechniken im weitesten Sinne zu vermitteln, dazu gehören in erster Linie handwerkliche Techniken, die in unserer immer zweidimensionaler werdenden Welt mehr und mehr verloren gehen. Das MEK hat das Know how und die enstprechenden Objekte dazu. Beginnen werden wir mit dem Flechthandwerk in Europa, das natürlich – wie alle anderen Gewerke auch – seine globalen Bezüge hat, die wir insgesamt auch stärker in den Blick nehmen wollen.

Iris Edenheiser und Elisabeth Tietmeyer im Museum Europäischer Kulturen. (c) Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker
Iris Edenheiser und Elisabeth Tietmeyer im Museum Europäischer Kulturen. © Staatliche Museen zu Berlin / David von Becker

Das MEK feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen, blickt aber genau genommen auf eine viel längere Geschichte zurück …
Iris Edenheiser: … das stimmt. Wir sind im Verbund der Staatlichen Museen zu Berlin zwar ein junges Museum, gleichzeitig sind unsere Vorgängerinstitutionen aber sehr alt. 1999 wurden wir aus den schon zusammengeführten
Museeen für (Deutsche) Volkskunde in Ost- und West-Berlin und der Abteilung Europa des Ethnologischen Museums (damals noch Museum für Völkerkunde) zusammengelegt. Der Grundgedanke war, sich von der nationalen Ausrichtung des Museums für Volkskunde zu trennen, um die Sammlungen europäischer und dadurch transnationaler zu präsentieren.
Elisabeth Tietmeyer: Landläufig bestand die Vorstellung da, dass ein „Europa-Museum“ entwickelt werden sollte, in dem die verschiedenen Länder und Kulturen vorgestellt werden – quasi eine Völkerkunde Europas. Aber was soll das genau heißen? Wie stellt man zum Beispiel Deutschland aus? Gibt es DIE französische Kultur? Gehören die Bretonen dazu? Von welchen Milieus zu welcher Zeit soll eigentlich die Rede sein? Ein Museum mit einem solchen Anspruch einzurichten, wäre nicht nur anmaßend gewesen, sondern auch absurd, zumal wir die Objekte dazu gar nicht gehabt hätten.Konsequenterweise entwickelten wir das Profil, kulturelle Verflechtungen zu thematisieren und das Museum als „Kontaktzone“ für Menschen unterschiedlicher Orientierungen zu etablieren.

Vor zwei Jahren haben die Nachbarhäuser des MEK, das Museum für Asiatische Kunst und das Ethnologische Museum, ihre Pforten geschlossen. Sie sind gerade dabei, ins Humboldt Forum umzuziehen. Was bedeutet diese Veränderung für das MEK?
Elisabeth Tietmeyer: Das MEK hat eine sehr bewegte Geschichte, wir haben uns immer wieder neu erfunden. Als feststand, dass wir nicht mit ins Humboldt Forum ziehen und allein am Museumsstandort Dahlem bleiben sollten, war für uns eines klar: Wir müssen sichtbarer werden und uns mehr fokussieren. Neben thematischen Fragen war die Kommunikation nach außen dabei extrem wichtig. Mit Hilfe der Marketingagentur SMITH kam es in diesem Kontext auch zur Verkürzung unseres Namens „Museum Europäischer Kulturen“. Der Genetiv scheint vielen Leuten Probleme zu machen – MEK dagegen ist kurz und knackig und lässt sich besser merken.
Wir haben außerdem gelernt, die Nachbarschaft besser wahrzunehmen. Wir müssen „die Menschen da abholen, wo sie stehen“ – und das ist erst einmal in Steglitz-Zehlendorf. Deshalb haben wir uns hier zusammen mit 12 anderen Museen und Ausstellungshäusern, darunter der Domäne Dahlem,dem Botanischen Garten, dem Kunsthaus Dahlem, dem AlliiertenMuseum, zu dem Netzwerk „Kulturkorso – Museen im Grünen“ zusammengeschlossen. Gemeinsam ist uns allen, dass wir in attraktiver Umgebung Erlebnisse und Erholung zwischen Natur und Kultur bieten. Genau dafür werben wir und richten uns dabei vor allem an Tourist*innen, die zum wiederholten Mal nach Berlin kommen.
Iris Edenheiser: Der Wegzug der anderen beiden Häuser ist gemeinsam mit dem 20-jährigen Jubiläum natürlich auch eine Chance, sich selbst grundlegend zu befragen und vielleicht auch neu zu erfinden. Dazu haben wir uns Ende Juni diesen Jahres selbst mi Hilfe der Fritz Thyssen-Stiftung die internationale Konferenz „What’s Missing? Collecting and Exhibiting Europe“ geschenkt, bei der es um die Frage ging, welche Objekte, Narrative, Methoden und vor allem welche Akteur*innen in unseren musealen Reflexionen über zeitgenössische Alltagskultur in Europa fehlen.

Sind es denn derzeit aus Ihrer Sicht eher gute oder schlechte Zeiten für Europa?
Iris Edenheiser: Ich finde es durchwachsen. Einerseits wird das europäische Projekt auf politischer Ebene stark infrage gestellt und nationalistische Bewegungen entstehen allerorts. Anderseits machen sich die Menschen bewusst, welche Freiheiten sie in Europa haben und was auf dem Spiel steht. Diese Tendenz merken wir auch als Museum ganz stark, denn das Interesse an uns wächst momentan spürbar. Europa ist offenbar heute keine Selbstverständlichkeit mehr und erfährt deswegen als Thema einen Boom.

Welche Ausstellungen werden in näherer Zukunft im MEK zu sehen sein?
Iris Edenheiser: Wir zeigen ab Herbst diesen Jahres die vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe entwickelte Ausstellung „Fast Fashion. Die Schattenseite der Mode“, bei der es um die Abgründe der globalen Modeindustrie geht. Außerdem eröffnet „comiXconnection“ – eine Ausstellung zur unabhängigen Comic-Kultur in Südosteuropa. Darüber hinaus planen wir ein Projekt zum 30. Jubiläum des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, bei dem wir Perspektiven von Menschen mit migrantischem Hintergrund und Ostdeutschen ins Zentrum stellen. Und das MakerMuseum zum Flechten und dann zum Blaudruck wird voraussichtlich ab 2021 gezeigt. Es bleibt also vielfältig und interessant bei uns in Dahlem.

Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des MEK werden bei den 16. Europäischen Kulturtagen „Europa à la carte. Essen verbindet“ (1.8. bis 1.9.2019) transregionale und internationale Einflüsse auf die Kulinarik vorgestellt.

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