Verzweiflung, Emanzipation: Camille Claudel und Bernhard Hoetger in der Alten Nationalgalerie
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Die Alte Nationalgalerie versammelt in einer aktuellen Ausstellung Bronzen von Camille Claudel und Bernhard Hoetger und erinnert damit an die Pariser Begegnung der beiden Künstler 1905 sowie ihre Emanzipation von Rodin. Die Autorin Ingeborg Ruthe teilt ihre Eindrücke aus der Ausstellung.
Text: Ingeborg Ruthe
Was für ein Seelendrama. Jedes Gramm Bronze ein Flehen. Die kniende, den Geliebten um Rückkehr bettelnde junge Frau – eine Selbstdarstellung der Bildhauerin Camille Claudel im psychischen Ausnahmezustand – versucht, den 24 Jahre älteren Auguste Rodin zurückzuhalten. Der hingegen wird durch eine dicht neben ihm schreitende Frau weggeführt, umschlungen von Tüchern. Die Alte ist seine sehr karikiert dargestellte Lebensgefährtin Rose Beuret, von der Rodin sich nie getrennt hat. Der vom Alter gezeichnete damalige Gottvater der modernen Bildhauerei scheint zwar noch zu zaudern, aber die ausgestreckten Hände der jungen Flehenden erreichen nicht mal mehr seinen Arm. Er ist genervt. Diese Affäre war ihm zu psychotisch. Es ist aus. Endgültig.
Das berühmte Meisterwerk Claudels von 1902 steht in der Beletage der Alten Nationalgalerie, eine Leihgabe des Pariser Musée d’Orsay: „Das Alter der Reife“, platziert direkt neben Rodins weltbekanntem „Denker“, 1880/82, und seinem grün patinierten „Ehernem Zeitalter“, 1904 angekauft für Berlins Königliche Museen aus der preußischen Schatulle. Welch eine Metapher für das Altern schlechthin! Claudel formte die Jugend als erotisches Weib. Enttäuscht, abgewiesen, rachsüchtig bildete die Künstlerin den verlorenen Geliebten und dessen altes Weib derart hässlich ab. Impression, made in Paris, als Eindrucks-Kunst in einer Zeit, in der sich in deutschen Städten bereits der Expressionismus anschickte, mit radikalem Ausdruck Kunstgeschichte zu machen.
Ein Highlight der Berliner Ausstellung: „Das reife Alter“, Bronze. Camille Claudels Meisterwerk von 1902
Leihgabe Musée d‘ Orsay, Paris
Mit „Camille Claudel und Bernhard Hoetger. Emanzipation von Rodin“ führt die Alte Nationalgalerie Berlin bronzene Figuren zusammen, deren Entstehen in Paris eng an Rodin gebunden waren, von zwei Mutigen, die ihre Emanzipation vom ikonischen Meister schafften: Camille Claudel (1864–1943), Rodins Schülerin und alsbald fallen gelassene Gespielin, und der damals noch unbekannte Bremer Bildhauer und Kunsthandwerker Bernhard Hoetger (1874–1949). Er wurde nach seinem Durchbruch in Paris Mitglied der Worpsweder Künstlerkolonie und Baumeister der Böttcherstraße in der Hansestadt. Der Steinmetz und Absolvent der Düsseldorfer Kunstakademie war 1900 nach Paris gezogen, um seinem Idol Rodin nahe zu sein. In dessen Dunstkreis schloss er Freundschaft mit der von Rodin zunehmend verschmähten, oft depressiven Claudel.
Eugène Blot, Pariser Galerist und Freund Rodins, erkannte beider Talent, insbesondere Claudels unvergleichliche Fähigkeit, eindrucksstarke Hände und Füße zu formen. Er förderte sie und den jungen deutschen Rodin-Verehrer. So kam es 1905 zu einer zwar merkantil bescheidenen, jedoch von viel Achtungserfolg begleiteten Doppelschau. Zwölf Bronzen Claudels, darunter heute berühmte Bronzen wie „Der Walzer“, „Hingabe“, „Die Woge“ oder „Die Flehende“ bekamen beste Kritiken, ebenso die 46 ausgestellten Bronzen Hoetgers, etwa „Jugend“, „Sturm“, „Mädchenkopf“, „Tauzieher“. Für Claudel war diese Ausstellung die künstlerische und persönliche Emanzipation von Rodin. Bis ihre Karriere 1913 in einer psychiatrischen Klinik endete. Auch Hoetger löste sich formal vom Übervater. Beiden gelang das Einfangen des Augenblicks, dargestellt in der Bewegung, auf jeweils ganz eigene Weise.
Unbekannter Fotograf, Ausstellung von Werken von Camille Claudel und Bernard Hoetger in
der Galerie Blot, in Zeitschrift Le Tourisme, 1905Paris, Bibliothèque National de France
Bernhard Hoetger: „Der Sturm“ (La Tempête), Bronze, um 1901
Paula Modersohn-Becker-Museum Bremen, Foto: Freiraumfotografie
Mit feinem Gespür für Stil, Eleganz und zugleich Humor führen Anette Hüsch, die neue Direktorin der Alten Nationalgalerie, die Kuratorin Yvette Deseyve und die Mitarbeiterin Sintje Guericke fast wie in einem Live-Strip das Publikum hinein in jene Pariser Salonschau anno 1905. Die Räume imaginieren die Salon-Stimmung von damals in der Galerie Blot am Boulevard de la Madeleine: Die Bronzen, drapiert zwischen Kübeln mit dekorativen Fächerpalmen, auf runden, samtbezogenen Podesten, Orient-Teppichen, vor Fototapeten mit Szenen von der Schau und ihren Protagonisten damals. Und dazwischen eine kleinere Version jener „L’Implorante“ („Die Flehende“) Claudels, die vor Monaten von der Ernst von Siemens-Stiftung in Paris als Morgengabe an die Alte Nationalgalerie erworben werden konnte.
Neben der Imagination jener Atmosphäre von 1905 gibt uns die Ausstellung in leichter, nahezu beschwingter Weise einen tieferen Einblick in die Kunstgeschichte. Bekanntlich ziehen impressionistische Bilder, insbesondere französische, heutzutage Pilgermassen magnetisch an. Das spontane Malen in der Natur direkt vor dem Motiv, das Einfangen des flirrenden Sonnenlichts und der flüchtigen, vergänglichen Momente, die Licht- und Luftstimmungen wirken offenbar auf medienmüde und wenig naturverwöhnte Großstadtleute beglückend. Aber gilt das auch für die Bildhauerei jener Zeit? Wie kam das Atmosphärische in Bronze oder Stein? Lassen sich doch laut Kunstwissenschaft impressive Gestaltungsprinzipien nur bedingt ins Dreidimensionale umsetzen. Schon gar nicht „le pleinair“, also in der freien Natur.
Bildhauerkollegen, deren übermächtiger Mentor Rodin war: Camille Claudel und Bernhard Hoetger in Paris, um 1904
Unbekannter Fotograf/Paula Modersohn-Becker-Museum Bremen
Impressionistische Skulptur gäbe es nicht, hieß es lange Zeit in der traditionellen Kunstkritik, höchstens in der Kleinplastik, im Kunsthandwerklichen. Nur, was ist das dann für eine Stilistik – bei Rodin, Maillol, den bronzenen Tänzerinnen von Degas, den Tierplastiken des Rembrandt Bugatti? Auguste Rodin (1840–1917) wurde seinerzeit freilich nie „Impressionist“ genannt. Und doch gelten seine Werke durch die Oberflächengestaltung mit Buckeln und Höhlungen als paradigmatisch für den frühmodernen Stil, für den optischen Eindruck einer sich wandelnden, dynamischer werdenden Zeit.
Nur eine Drehung noch bis zum Umfallen. Aber es fällt nicht, das Walzertanz-Paar Camille Claudels. Im Schwung halten die Tänzer die Balance; jedes Detail dieses Augenblicks ist perfekt austariert. Vollendet verbinden sich Schönheit, Modernität, Kühnheit und Tragik, Virtuosität und Verzweiflung. Claudel und Hoetger gestalteten innere wie äußere Bewegung. Und bei Hoetgers „Sturm“-Bronzen sieht man gleichsam die „Auflehnung“ in den Raum hinein.
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