„Ich blicke mit großer Dankbarkeit zurück“ – Zum Abschied von Ralph Gleis
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Ralph Gleis leitete seit 2017 die Geschicke der Alten Nationalgalerie. In seine Zeit als Direktor des Hauses fallen große Erfolge, aber auch große Veränderungen. Wir haben vor seinem Wechsel nach Wien an die Albertina mit dem Kunsthistoriker auf die letzten Jahre zurück geblickt.
Interview: Sven Stienen
Sie haben 2017 als Leiter der Alten Nationalgalerie angefangen, nun verlassen Sie das Museum als Direktor. Wie blicken Sie auf Ihre Zeit an dem Haus zurück? Welche Momente und Projekte sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Ralph Gleis: Vor allem blicke ich mit großer Dankbarkeit auf siebeneinhalb Jahre zurück, in denen ich dieses Haus leiten durfte und Gelegenheit hatte, die Alte Nationalgalerie neu zu positionieren – auch innerhalb der Staatlichen Museen und der SPK. Das dies gemeinsam mit meinem Team gelungen ist, lag zum einen an dem ambitionierten Ausstellungsprogramm und zum anderen an der Wiedergewinnung der Friedrichswerderschen Kirche als Dependance für unsere Skulpturensammlung. Beim Ausstellungsprogramm war es mir von Anfang an wichtig, mehr internationale Kooperationen einzugehen. Dafür mussten wir uns im Team ganz neu aufstellen, denn solche Kooperationen bedeuten sehr viel Arbeit und Herausforderungen. Aber am Ende gewinnen alle Beteiligten, da nicht nur Ausstellungen entstanden, die sonst nicht in Berlin hätte gezeigt werden können, sondern auch, weil mit den jeweiligen Kooperationspartnern dauerhafte Verbindungen aufgebaut wurden. Ich denke da zum Beispiel an den engen Austausch mit den Museen in Brüssel während unserer Ausstellung zum belgischen Symbolismus oder die Kontakte nach Kopenhagen während der Gauguin-Schau und zuletzt auch nach Wien für die Secessionen. Dieser Austausch hat viel Freude bereitet und darüber hinaus zugleich auch eine Weiterentwicklung der jeweiligen Teams und Institutionen angeregt.
Sie haben das Ausstellungsprogramm angesprochen, bei dem Sie auch hinsichtlich der Themen immer eigenwillig und innovativ waren. Hat das zum Erfolg beigetragen?
RG: Die Themen, die ich gewählt habe, lagen tatsächlich nicht immer ganz auf der Hand. Teilweise haben sie die Frage nach dem ‚Warum‘ provoziert, was durchaus beabsichtigt war: Warum in Berlin der belgische Symbolismus? Warum die Secessionen, und dann gleich im Plural? Wenn es initial bisweilen einige Fragezeichen gab, so war das nicht abschreckend, sondern hat eher Neugierde geweckt und dann schließlich Erfolge generiert. Die Alte Nationalgalerie ist heute bekannt dafür, dass wir anspruchsvolle Ausstellungen machen, die aber gleichzeitig populär sind. Diese gewachsene Beliebtheit lässt sich auch in Zahlen belegen. Als ich 2017 das Haus übernommen habe, hatten wir ca. 316.000 Besucherinnen und Besucher; im vergangenen Jahr hatten wir erstmals über eine halbe Million und dieses Jahr konnten wir mehr als 600.000 Besuche verzeichnen. Damit sind wir unter den Staatlichen Museen zu Berlin an dritter Stelle, was den Publikumszuspruch angeht. Diese Erfolge bestätigen unsere Neupositionierung und auch die Entscheidung, die Alte Nationalgalerie als eigenständiges Haus mit eigener Direktion innerhalb der Nationalgalerie zu etablieren.
Was war für Sie persönlich der größte Erfolg, was Ausstellungen angeht?
RG: Vom Besucherzustrom her ist natürlich die diesjährige Ausstellung zu Caspar David Friedrich mit über 300.000 Besucher:innen unübertroffen. Aber mir persönlich ging es immer darum, im Ausstellungsprogramm die zwei ‚Herzkammern‘ der Alten Nationalgalerie ausgewogen zu repräsentieren: die deutsche Romantik am Beginn des 19. Jahrhunderts einerseits und den französischen Impressionismus und die Kunst der beginnenden Moderne andererseits. Gerade die Moderne habe ich immer wieder hinterfragt, weil ein relativ reduzierter Begriff dieser kunstgeschichtlichen Phase weit verbreitet ist. Das ist das klassische Schulbuchwissen, nach dem sich die Moderne im Gänsemarsch der Stile – auf den Impressionismus folgt der Expressionismus und so weiter – entwickelte. Dabei ist die Moderne, der Beginn unserer Gegenwart, von einer starken Pluralität der Strömungen und Ideen geprägt, die sehr spannend ist. Wir haben also immer wieder Ausstellungen gemacht, die diese Pluralität beleuchten und Kunstströmungen zeigen, die bisher nicht im Zentrum des Interesses standen. Mein persönliches Herzensprojekt war die Schau „Dekadenz und dunkle Träume“ zum belgischen Symbolismus, die leider aufgrund der Pandemie nur wenige Tage geöffnet war und dann schließen musste. Auch mit den „Secessionen“ konnten wir zeigen, dass die Moderne zeitgleich viele Kunstrichtungen und Stile umfasst, die sich z.B. in Wien, Berlin und München mit Künstlern wie Klimt, Stuck und Liebermann etablierten. Diese Ausstellung hat erwiesen, dass das Publikum sehr bereit ist, sich mit Komplexen Themen auseinanderzusetzen, wenn die Thesen anhand großartiger Kunstwerke verdeutlicht werden. Es war die erfolgreichste Ausstellung mit 235.000 Besucher:innen der letzten Jahre, nur getoppt durch die jetzige Schau zu Caspar David Friedrich.
Caspar David Friedrich, Mönch am Meer, 1808-1810; Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Fotograf: Andres Kilger
Sie haben aber auch immer kleinere Ausstellungen gemacht, die sich interessanten Teilaspekten der Epoche gewidmet haben …
RG: Es war mir wichtig, aus der ganzen Sammlung zu schöpfen und neben den Blockbustern auch kleinere Ausstellungen zu realisieren. Tatsächlich habe ich gleich mit nach meinem Einstand 2017 ein neues Format in diesem Sinne erdacht und eine Serie kleine Ausstellungen zu großen Meistern mit „Rodin, Rilke, Hofmannsthal“ begonnen. Seitdem haben wir immer wieder Ausstellungen ins Programm eingewoben, die in ein oder zwei Räumen ganz fokussiert einzelne Aspekte zum Impressionismus behandelt haben. Diese Ausstellungen haben aber trotzdem immer weit mehr als 100.000 Besucher angezogen, weil die Themen offensichtlich attraktiv gewählt waren und der fokussierte Blick die Menschen angesprochen hat. Unter diese Kategorie fallen etwa die Präsentationen zu Rodin, Caillebotte, Gauguin und zuletzt die aktuelle Monet-Ausstellung, die noch bis 26. Januar 2025 läuft. Es hat sich gezeigt, dass neben den großen Ausstellungen, die mit hohem Aufwand und bis zu 200 Werken daherkamen, manchmal eine kleine, präzise Beleuchtung eines Themas genauso viel Sinn ergibt und das Publikum offenkundig erfreut.
Ein zentraler Protagonist der Symbolismus-Ausstellung war der Künstler Fernand Khnopff. Neben Schlüsselwerken aus belgischen Museen und Privatsammlungen zeigte die Ausstellung auch diese Leihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, das Gemälde I lock my door upon myself.
Gab es auch Projekte, die besonders herausfordernd waren oder die Sie vielleicht nicht so umsetzen konnten, wie Sie es geplant hatten?
RG: Bei all dem Erfolg, den wir verbuchen konnten, gab es natürlich viele Dinge im Hintergrund, die nach außen nicht sichtbar waren und uns viel Energie und Zeit gekostet haben. Dazu zählen etwa die Erneuerung der Klimaanlage und der Beleuchtung. Beide Elemente sind essentiell für den Museumsbetrieb und für unsere Ausstellungen, aber es war mitunter sehr langwierig, diese Prozesse in den komplexen Strukturen der Stiftung und mit den anderen Beteiligten wie z.B. dem BBR abzustimmen und umzusetzen. Es hat uns sehr viel Mühe gekostet, die notwendigen baulichen Maßnahmen und die Erneuerung und Ertüchtigung so zu platzieren, dass wir trotzdem unser Ausstellungsprogramm durchführen konnten.
Eine weitere Herausforderung war die Wiedereinrichtung der Friedrichswerderschen Kirche. Ich erinnere mich noch, wie ich an einem meiner ersten Arbeitstage die Baustelle besucht habe und auf das Gerüst – der gesamte Innenraum war damals eingerüstet – hinaufgeklettert bin, um mir ein Bild vom Zustand zu machen. Da war mir sofort klar, dass wir dieses Gebäude als Ort für die Alte Nationalgalerie zurückgewinnen müssen. Es gab auf diesem Weg viele Hürden, umso glücklicher bin ich, dass es am Ende doch gelungen ist.
In der hier gezeigten Ausstellung „Ideal und Form. Skulpturen des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung der Nationalgalerie“ avancierte er schnell zum neuen Publikumsliebling: Der Winter von Emil Wolff.
Was macht die Friedrichswerdersche Kirche so besonders?
RG: Dieses Gebäude ist als Ausstellungsort komplementär zur Alten Nationalgalerie. Während das Haupthaus auf der Museumsinsel vor allem als Gemäldegalerie wirkt, brauchte es einen Ort für Skulptur. Es hat eine ähnliche Entstehungszeit – eine Kirche von Schinkel zwischen 1824 und 1830 erbaut – und bietet ein einzigartiges Raumerlebnis zusammen mit unseren Skulpturen. Sie hat sich dann folglich auch zu einem Geheimtipp in Berlin entwickelt, wobei mit über 135.000 Besucher:innen im letzten Jahr das Wort „Geheim“ wohl gestrichen gehört. Ich glaube, es ist das einzigartige Ambiente in Kombination mit den wunderbaren Exponaten, das die Leute begeistert.
Sie haben sich sehr intensiv mit dem 19. Jahrhundert beschäftigt und die Museumsinsel ist ebenfalls ein Projekt dieser Epoche. Werden Sie auch mit ein bisschen Wehmut auf diesen besonderen Ort zurückblicken, wenn Sie jetzt nach Wien gehen?
RG: Ich werde sicherlich etwas Wehmut verspüren, denn ich habe meinen täglichen Arbeitsweg hin zur Museumsinsel immer genossen. Es war faszinierend, das Museum dort im jahreszeitlichen Wandel zu sehen. Zuletzt haben wir die Kolonnaden saniert und wiedereröffnet. Der ganze Außenbereich der Alten Nationalgalerie mit dem Garten und den Skulpturen, ist ein verbindendes Element zwischen uns und den Nachbarhäusern. Solch ein Bauensemble gibt es kein zweites Mal und es ist zu Recht Weltkulturerbe. Wir blicken auf fast 200 Jahre Bautätigkeit auf der Insel zurück und befinden uns eigentlich noch immer in diesem Prozess, derzeit mit der Sanierung des Pergamonmuseums. Es war mir ein wirklich großes Vergnügen und ein Privileg, hier gearbeitet zu haben dürfen und Teil dieses Ganzen gewesen zu sein. Das gilt auch für die Kollegenschaft: Wir haben hier ein besonderes Verhältnis der Museen und der jeweiligen Teams untereinander.
Parallel zu der Bautätigkeit ist die Strukturreform der SPK ein großes Thema, das die Museen als Ganzes, aber auch die einzelnen Sammlungen und Standorte betrifft. Wie haben Sie diesen Prozess erlebt und wie ist Ihre Prognose für den Standort Museumsinsel und die Alte Nationalgalerie?
RG: Den Prozess habe ich hautnah miterlebt und mich auch in verschiedenen Gremien engagiert. Uns ging es initial um die Neubetrachtung der gesamten Stiftung und der Museen, vor allem auch um eine bessere personelle und finanzielle Ausstattung. Wir haben im Grunde versucht, die SPK und die Museen für die Zukunft ganz neu zu denken und das hat mich während meiner Arbeit hier sehr geprägt. Ich sehe den Prozess als Notwendigkeit an und erkenne bereits heute positive Effekte, die daraus hervorgegangen sind. Die Nationalgalerie war besonders und als ein erster Teilbereich von der Strukturreform betroffen. Heute gibt es drei Direktionen für die drei Häuser – Alte Nationalgalerie, Neue Nationalgalerie, Hamburger Bahnhof – und dadurch sind diese Einheiten noch viel agiler geworden. Wir können nun viel mehr Energie freisetzen, ohne dass das Gesamtkonstrukt Nationalgalerie dadurch Schaden nimmt. Ich bin auch der Ansicht, dass die maximale Autonomie der einzelnen Museen in Berlin zentral ist, um sie für die Zukunft fit zu machen, während gleichzeitig der Zusammenhalt des Verbundes erhalten bleiben sollte, denn gemeinsam sind wir natürlich viel gewichtiger als allein. Ich denke, dass wir da auf einem guten Weg sind. Die Alte Nationalgalerie steht jedenfalls heute sehr gut da. Wir haben fürs nächste Jahr ein Ausstellungsprogramm, das bereits finanziert ist und das ich mit Überzeugung an meine sehr geschätzte Nachfolgerin Annette Hüsch übergebe, die eine ausgewiesene Museumsexpertin ist und das Museum mit Ihrer Schwerpunktsetzung weiterentwickeln wird.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Was nehmen Sie aus Ihrer Berliner Zeit mit nach Wien?
RG: Was ich mit nach Wien nehme, sind viele gute Erinnerungen an eine ereignisreiche Zeit und erfüllende Tätigkeit für die Alten Nationalgalerie. Es sind vor allem die Menschen, denen ich begegnen und das Team mit dem ich zusammenarbeiten durfte, die meine Zeit in Berlin geprägt haben. Ich werde die Kolleg:innen, aber natürlich auch das Berliner Publikum, insbesondere die Freunde der Nationalgalerie, sehr vermissen, die mir so freundlich und freundschaftlich begegnet sind und meine kuratorischen Experimente mit Anerkennung belohnt haben. Ich blicke auch mit großer Dankbarkeit auf das Vertrauen und die gewachsene Bindung zu unseren Förderern und Besucher:innen zurück. Ich bin mir sicher, dass in Zukunft noch die eine oder andere Kooperation zwischen der Albertina und den Berliner Museen möglich sein wird. Und ich hoffe natürlich, dass wir uns alle wiedersehen – entweder in Berlin oder in Wien.
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