Während das Museum für Islamische Kunst wegen Sanierungsarbeiten schließt, geht ein besonderes Objekt auf die Reise durch Raum und Zeit. Der Drachen-Teppich wird den Kontakt zwischen dem Museum und den Besucher*innen halten und eine herzlich-haptische Verbindung schaffen.
Text: Irene Bazinger
Geteiltes Leid ist halbes Leid, heißt es bekanntlich für schwierige Situationen. Für die Freude gilt das ebenso, nur umgedreht: Geteilt kann sie sich verdoppeln – mindestens. Im Museum für Islamische Kunst ist der Freude-Faktor ab nun mindestens mit 100 anzusetzen, aber dann ist er nach oben offen. Und das liegt daran, dass das Museum ab Mitte Oktober für dreieinhalb Jahre geschlossen wird. Der Bezug zwischen diesen Ereignissen verläuft hier allerdings nicht über Zahlen, sondern über Gefühle: Ein – wenn auch bloß zeitweilig wegen Sanierungsarbeiten – geschlossenes Museum ist traurig, doch wenn man es trotzdem besuchen kann (im Internet) und wenn es trotzdem eine enge Verbindung zwischen Haus und Nutzer*innen gibt, ist das schön. Wie lässt sich ein Kontakt unter erschwerten Bedingungen heutzutage am besten realisieren? Digital, natürlich, aber nicht nur. Im Museum für Islamische Kunst wünschte man sich unbedingt, dass die Menschen während der Schließungszeit auch etwas in der Hand halten könnten. Und so entstand das partizipatorische Projekt „Cultural X Collabs – Weaving The Future“. Dessen Grundlage ist einer der kostbaren Teppiche aus der Sammlung, und zwar ein kaukasischer Drachen-Teppich, der im 17. Jahrhundert gewebt wurde und 6 x 3 Meter misst. Seit über 140 Jahren ist er im Besitz der Berliner Museen. Im Zweiten Weltkrieg wurde er durch eine Brandbombe partiell zerstört. Die Spuren dieser Beschädigungen wurden bei der Restaurierung 2014 nicht beseitigt, sondern, neutral unterlegt, bewahrt. Die Leere ist zu einem zentralen Element im Teppichgewebe geworden und erzählt auf diese Weise von Kreation und Vernichtung, von friedlicher Wertschöpfung und kriegerischer Aggression. Natürlich wollte niemand dieses unschätzbare Original antasten, doch wie wäre es mit einer Kopie?
100 Stücke werden an 100 Menschen verschickt
Gesagt, getan, und so wurde in Rajasthan, Indien, ein maßstabgetreues Duplikat geknüpft, für dessen Realisierung der renommierte Berliner Teppichdesigner Jürgen Dahlmanns gewonnen werden konnte, der den Doppelgänger mit seinem Unternehmen „Rug Star“ dem Museum für Islamische Kunst großzügig schenkte. Und da lag das Prachtexemplar am 23.September 2023 auf einem Betonsockel im Neuen Hof neben der James-Simon-Galerie. Man durfte es berühren und konnte feststellen, dass sich die farbigen und die weißen Flecken anders anfühlten, wie sorgsam alles gearbeitet ist, wie schwer sich das Wolle-Seide-Gemisch in seiner konkreten Materialität darstellte. Und man konnte den Teppich in seiner ganzen prächtigen Dimension bewundern. Das war nicht allzu lange der Fall, denn im Rahmen einer fröhlichen Veranstaltung sollte das Duplikat in hundert Teile in einer Größe von 60 x 30 Zentimeter zerschnitten werden. Zuvor sorgten die „Cottbus Beats“ mit schwungvollen Tanzeinlagen für gelöste Stimmung und ließen die zahlreichen Besucherinnen und Besucher vergnügt mitwippen. Die Projektleiterin Anna Beselin erläuterte dann das Konzept dieser spektakulären Versuchsanordnung: Die hundert Segmente des Teppichs würden an hundert Personen verschickt, die es in einem Zeitraum von vier Wochen bis sechs Monaten weiterschicken müssten. An wen, das weiß das Museum nicht, das obliegt dem Gutdünken der Versender.
Alle können mitverfolgen, wie es dem Teppich geht
Jedes Teil wurde mit einem Etikett versehen, das die Identifikation über die lange Zeit erlaubt. Unterstützung kommt vom deutschen Paket- und Brief-Express-Dienst DHL, der bei der Veranstaltung auch präsent war und die eigens entworfene Versandbox aus Holz und Metall präsentierte, mit der die Fragmente des Teppichduplikats sicher in alle Welt versendet werden sollen. Im Jahr 2027 werden sämtliche Teile hoffentlich wieder wohlbehalten im Museum für Islamische Kunst gelandet sein und ihren Platz in den neu gestalteten Ausstellungsbereichen finden. Bis dahin werden sie viel erlebt haben, weil die wechselnden Besitzer*innen sie in ihr privates und berufliches Leben integrieren werden. Die Geschichten, die sich daraus ergeben, werden auf einem eigenen Online-Portal veröffentlicht und regelmäßig ergänzt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn die Menschen aus aller Welt von ihren Erlebnissen und Erfahrungen mit ihrem Stück Teppich erzählen. So soll sich ein Netzwerk des kulturellen Austauschs rund um den Globus bilden. Ob der Lehrer aus Spandau, der Mitglied im Förderverein des Museums ist, oder der Doktorand aus Honduras, derzeit am Bauhaus Weimar und bei „Young Cultural Heritage Professionals“ tätig, alle werden sich mit Hilfe ihrer Teppichteile global vernetzen und darüber international kommunizieren.
Mit der Leuchtkraft von unzähligen Geschichten
„Wir brauchen Austausch“, sagt Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst: „Erst der transregionale Austausch ermöglicht kulturellen Fortschritt. Migration von Ideen, Objekten und Menschen weltweit ist der Motor unserer Entwicklung.“ Mit diesem Objekt, das auf Reisen geht, soll die Kraft des Geschichtenerzählens über Grenzen hinweg kreativ stimuliert werden, so Weber weiter: „Bei Cultural x Collabs wird man Teil eines länderübergreifenden Netzwerks, das aus den Geschichten der Vergangenheit lernt, die Gegenwart feiert und eine Zukunft gestaltet!“
Jürgen Dahlmanns legte selbst Hand an, um den Teppich mit einer Schere zu zerschneiden, etwas skeptisch beäugt von seinem Hund Joseph, der ein solches Procedere nicht kannte, sondern es gewöhnt ist, auf den Teppich zu liegen und von dort aus in die Gegend zu schauen. Die Gäste bei der Veranstaltung freilich hatten viel Freude an der Aktion und konnten später zusehen, wie die Einzelteile von einem eigens engagierten Profi noch schnell maschinell gekettelt wurden.
Wenn der Teppich dann 2027 wieder zusammengesetzt wird, kann man sich ebenfalls auf ein großes Hallo freuen. Werden alle Fragmente da sein? Haben sie Gebrauchsspuren bekommen? Warum und wieso und welche? Was war über sie in den sozialen Medien und auf der Homepage des Museums zu lesen? Haben sich die Segmente verändert oder die Kurzzeiteigentümer*innen? So soll ein multiperspektivisches Panorama entstehen und die Objektgeschichte ein fabelhaftes vielstimmiges Narrativ formulieren, in dem es vor allem um eines gehen wird: Den menschlichen Einfallsreichtum inspirieren, die Gemeinschaft fördern und den kulturellen Austausch als Bereicherung für unser aller Leben bestätigen.
Cultural X Collabs: Weaving The Future islamic-art.smb.museum/en/story/culturalxcollabs
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