Das Geld begreifen: Im Münzkabinett sorgt Direktor Bernhard Weisser dafür, dass wir auch den Groschen in seinem Kontext verstehen und schätzen.
Interview: Irene Bazinger
Lieber Herr Weisser, wenn man sich beim Besuch des Münzkabinetts so umschaut, denkt man unweigerlich, diese vielen Geldstücke in den Vitrinen, was muss das für ein reiches Museum sein…
Das ist schon richtig, wir haben dank unserer rund 540.000 historischen Münzen natürlich ein erhebliches Vermögen hier im Hause, aber damit können wir uns, um es flapsig zu formulieren, nichts kaufen. Direkt in heutige Währung umrechnen lassen sich unsere Schätze aus der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit nämlich nicht. Sie haben zwar einen materiellen, aber vor allem einen ideellen, historischen Wert als Sachquellen und Zeitzeugnisse. Das Münzkabinett ist die bedeutendste Sammlung Deutschlands und gehört international zu den Großen Sechs der numismatischen Welt. Allerdings sind die Haushaltsmittel, um unseren Aufgaben nachkommen zu können, schon lange sehr knapp. Von den Erwerbungsetats des 19.Jahrhunderts können wir nur träumen. Zum Glück haben wir seit vielen Jahren private Förderer. Dazu zählt die Numismatische Gesellschaft, die bereits 1843 gegründet wurde. Durch die Drittmittel können wir die Sammlung mit Erwerbungen ergänzen und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen durch Werkverträge bei uns beschäftigen.
Zu den großzügigen Unterstützern des Münzkabinetts gehört seit 2004 die Erivan und Helga Haub-Stiftung. Erivan Haub (1932-2018) war Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tengelmann und zählte zu den reichsten Deutschen. Wie kamen Sie zusammen?
Herr Haub hat sich damals die ganze Museumsinsel angesehen, um zu überlegen, für welche Einrichtung er sich mäzenatisch engagieren möchte. Als er schließlich zu uns ins Haus kam, hat er sich gleich sehr wohl gefühlt. Das ganze Ambiente hat ihm behagt, im Besprechungsraum, in dem wir jetzt sitzen, stehen ja zum Beispiel noch die originalen Schränke, die Karl Friedrich Schinkel zur Eröffnung des Königlichen Museums 1830 entworfen hatte. Herr Haub war ein passionierter Briefmarkensammler, er hatte eine gigantische, sehr kostbare Sammlung mit vielen vorphilatelistischen Highlights. Deswegen war er erfahren im Umgang mit kleinen Objekten, wie es Münzen sind, und er wusste sie wertzuschätzen. Nicht zuletzt dadurch hat er sich für das Münzkabinett entschieden und zu dessen Förderung die entsprechende Stiftung gegründet.
20 Jahre Förderung durch die Erivan und Helga Haub-Stiftung
Zum Jubiläum im Oktober 2024, als zwanzig Jahre Erivan und Helga Haub-Stiftung gefeiert wurde, gab es ein besonderes Geschenk für das Münzkabinett.
Ja, die jüngste Schenkung ist der Taler des Hohenzollern Jobst Nikolaus II. (1514-1558), eine große Rarität unter den deutschen Münzen. Wir konnten ihn für 55.000 Euro erwerben. Er passt perfekt in unser Sammlungsprofil, schließlich ist das Münzkabinett aus der königlichen Sammlung der Hohenzollern hervorgegangen. Die Förderungen durch die Stiftung Haub gehen aber auch noch in eine ganz andere Richtung, nämlich hin zur digitalen Transformation. Deshalb konnte das Münzkabinett 2007 seinen „Interaktiven Katalog“ der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen – und zwar kostenlos! Unsere Münzen und Medaillen sind damit weltweit und 24 Stunden täglich zu sehen. Mit einer Münzpatenschaft kann man sich an der Ausweitung dieser einzigartigen Internetpräsenz beteiligen. Die Spende von 25 Euro pro Objekt wird für die Herstellung qualitätvoller Fotos sowie zur Beschäftigung von Nachwuchswissenschaftlern verwandt, die Methoden der numismatischen Dokumentation erlernen.
Das bargeldlose Bezahlen ist auf dem Vormarsch, protegiert von Kreditkartenunternehmen und Banken. Was bedeutet das für die Zukunft einer Einrichtung wie das Münzkabinett?
Ich rechne damit, dass es dann ähnlich aussehen wird wie beim Briefmarkensammeln. Das ist als Massenphänomen auch stark zurück gegangen, seit weniger Post verschickt wird. Derzeit ist es aber noch so, dass das Münzsammeln nach dem Buchsammeln die zweithäufigste Sammelleidenschaft in Deutschland ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die Einstiegshürde so niedrig ist. Münzen sind ein Alltagsgegenstand, an den man einfach herankommt. Jede und jeder kann Münzen sammeln und sich, wenn der Enthusiasmus anhält, zum Sammler, zur Sammlerin qualifizieren. Unsere Strategie im Münzkabinett war immer, dass wir uns um unsere Klientel kümmern und hier auch einen sozialen Raum für sie offen halten.
Die Münze in die Hand nehmen und so Geschichte begreifen
Wie hat die Sammelleidenschaft denn bei Ihnen angefangen?
Mein Weg war ganz anders. Ich bin von meiner Ausbildung her klassischer Archäologe – der inzwischen Numismatik betreibt. Ich hatte zwar auch schon früh die Affinität zu kleinen Dingen und sammelte als Kind Briefmarken. Aber das hörte dann auf. Im Studium haben mich Münzen allerdings stark angesprochen und bei einer wissenschaftliche Arbeit habe ich mich dann sehr in diese Materie vertieft.
Und seitdem sind Sie den Münzen verfallen?
Absolut! Aber ich muss Münzen nicht besitzen, das ist vielleicht der Unterschied zum klassischen Sammler. Jedoch kann ich die zentrale Idee des Sammlertums, dass man eine Münze in die Hand nehmen möchte, um Geschichte zu begreifen, sehr gut nachvollziehen.
Haptische Eindrücke verschwinden durch die Zunahme virtueller Möglichkeiten. Ist das Münzkabinett ein Reservat für das Be-Greifen als Zugang zur Welt?
Das wäre schön, denn es hat sich herausgestellt, dass gerade Jugendliche sich zunehmend verschulden, wenn sie nur mit Kreditkarte bezahlen. Sie haben einfach kein unmittelbares Verhältnis mehr zum Geld. Das führt natürlich zu erheblichen gesellschaftlichen Problemen. Bei uns kann man sich Münzen anschauen und man kann sie auch in die Hand nehmen, wenn man sich im Studiensaal anmeldet. Denn wir erfüllen drei Funktionen: Wir zeigen alte Medaillen und Geldstücke, wir sind eine – in Deutschland die größte – repräsentative Sammlung, die diese Gattung im Original aufbewahrt, und wir forschen darüber. Wir sind neben der Bundesbank die einzige Einrichtung in Deutschland, die über vier Wissenschaftler verfügt, die sich ausschließlich der Numismatik widmen können. So hübsch und nett eine Münze auch sein mag, ist doch der Zusammenhang für ihr Verständnis enorm wichtig. Deshalb erforschen wir die kulturhistorische, geldgeschichtliche Kontextualisierung, beschäftigen uns mit der Rezeption und entschlüsseln die Bild- und Textbotschaften, die auf den Exponaten zu finden sind.
Münzen standen immer im Mittelpunkt krimineller Begierden
Die Numismatik hat auch eine dunkle Seite, der sich das Münzkabinett in der aktuellen Ausstellung „Lange Finger – Falsche Münzen“ stellt, die Sie zusammen mit Christian Stoess kuratiert haben. Worum geht es da?
Münzen standen immer wieder im Mittelpunkt krimineller Akte, denn sie sind hochwertig und klein, was sie besonders anfällig macht. Aber auch wenn sie nicht klein sind, können sie zu Kapitalverbrechen verführen, wie 2017 der Diebstahl der 100 Kilogramm schweren Big-Maple-Leaf aus Feingold aus dem Bode-Museum beweist. Diebstahl, Kriegsbeute und Raub betreffen auch andere Kunstwerke. In unserer Ausstellung behandeln wir aber auch die Verbrechen, die sich im Lauf der Jahrtausende um die Münze gebildet haben, anhand von den beiden Schwerpunkten – Falschmünzen im jeweils aktuellen Münzumlauf und Münzfälschungen zum Schaden der Sammler. Mithilfe einer Drehstation können die Besucher*innen selbst prüfen, ob sie eine Münzfälschung erkennen würden oder nicht. Wir beleuchten in einer Vitrine auch Leben und Werk des bekannten Münzfälschers Carl Wilhelm Becker (1772-1830) aus Speyer, der 1829 eine Zeitlang in Berlin war, hier viele Kontakte pflegte, unter anderem zum Privatgelehrten und Münzsammler Benoni Friedländer. Das war der Vater unseres Gründungsdirektors Julius Friedländer, der Becker als Jugendlicher begegnete und sich in seinen Memoiren an ihn als schillernde Figur erinnerte.
Welches ist Ihr Lieblingsobjekt in dieser Ausstellung?
Das kann ich Ihnen ganz eindeutig sagen: Es ist „Der Geldfresser“ von Anna Franziska Schwarzbach. Die Bildhauerin hat diese Skulptur 1991 geschaffen, damit sich ihre Tochter bei Ausstellungseröffnungen nicht so langweilt. Der Geldfresser ist etwa einen halben Meter hoch, steht auf einer Geldkiste und hat einen Knabenkopf mit zwei diabolischen Hörnern. Mit Hilfe einer Hebeeinrichtung kann man Münzen in sein breites Maul hineinbefördern. Ist das gelungen, was einige Übung erfordert, darf man seitlich an einer Kurbel drehen und der Geldfresser erklärt uns den Kapitalismus, indem er „Meeehr“ schreit! Er ist nie zufrieden, er will halt immer mehr und mehr. Ich dachte mir, einem Direktor, der ständig auf Drittmittel-Akquise ist, wäre mit einem solchen Begleiter ganz bestimmt geholfen.
Bernhard Weisser arbeitet seit 1996 am Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, erst als Kustos, dann als kommissarischer Leiter, seit 1. Juni 2015 als Direktor. Als Kurator für antike Münzen betreut er etwa 100.000 griechische und 50.000 römische Münzen aus dem Zeitraum 7.Jh. v. Chr. bis 3.Jh. n. Chr. Seit 2009 ist er Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuletzt kuratierte er mit Christian Stoess die Ausstellung „Lange Finger – Falsche Münzen. Die dunkle Seite der Numismatik“ im Münzkabinett. Am vom Münzkabinett betriebenen Onlineportal ikmk.net sind mittlerweile 34 Partner*innen und 50 Sammlungen beteiligt.
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