Baustelle Neue Nationalgalerie:

Wirk-Stoff: Die Vorhänge in der Neuen Nationalgalerie

Bemusterung der Vorhänge von innen, links die rekonstruierte und rechts die modifizierte Vorhangvariante © David Chipperfield Architects für Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) © (c) David Chipperfield Architects für Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)

„So viel Mies wie möglich“ lautet das Motto für die Grundinstandsetzung der Neuen Nationalgalerie. Das betrifft auch die Rekonstruktion der historischen Vorhänge. Unsere Redakteurin Constanze von Marlin berichtet über die Planung.

Text: schmedding.vonmarlin.

Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe gilt als Meister der reduzierten Stahl- und Glasarchitektur. Gleichzeitig hegte er aber auch große Sorgfalt bei der Innenausstattung seiner Gebäude, zum Beispiel wenn es um die Wahl von kontrastierenden Materialien und deren stofflichen und ästhetischen Oberflächen ging. In der Neuen Nationalgalerie entsteht die elegante Wirkung durch den Tinos-Marmor der prominenten Lüftungsschächte, das Brauneichenholz der Verkleidung, den Granit des Fußbodens, aber auch den Stoff der Vorhänge.

In der bauzeitlichen Planungsphase des Berliner Museums war schnell klar, dass in einer allseitig verglasten Ausstellungshalle Probleme mit dem Lichteinfall für die Kunstwerke auftreten würden. Daher forderten die Staatlichen Museen zu Berlin, die damals den Bau beauftragten, schon früh einen Vorhang. 1966 ging Mies van der Rohe auf die Wünsche ein und schrieb dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Stephan Waetzold: „Ein sorgfältig ausgewählter Vorhang würde nicht nur das Sonnenschutzproblem lösen, sondern auch die architektonische Erscheinung der großen Halle angenehm bereichern. Was auch immer wir an dieser Stelle als Sonnenschutz vorsehen werden, es darf auf keinen Fall die bauliche Klarheit beeinträchtigen und muss immer eine unabhängige Addition zum Bau sein.“

Raumteiler und Sonnenschutz

Auch wenn es ursprünglich von Mies nicht vorgesehen war, ergeben sich mit den Vorhängen neue Raumwirkungen: Als weiches, fließendes Element bilden sie in der Ausstellungshalle und im Sammlungsgeschoss einen Gegenpol zur strengen Modularität und zu den harten, statischen Materialien wie Stahl, Glas und Stein. Durch die Transparenz des Stoffes bleibt auch bei zugezogenen Vorhängen die für Mies so wichtige Sichtbeziehung zwischen Innenraum und Außengelände bestehen.

Zugezogene Vorhänge für die Eröffnungsausstellung mit Bilder von Piet Mondrian 1968
© Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, Reinhard Friedrich

Bereits in einer frühen Rauminszenierung kommen Vorhänge als raumbildende Elemente vor. 1927 entwarf Mies gemeinsam mit Lilly Reich einen Stand für die Berliner Messe „Die Mode der Dame“. Der als „Café Samt und Seide“ genutzte Stand wurde ausschließlich durch Stoffbahnen räumlich gegliedert. Von geraden und geschwungenen Stahlrohren hingen Seiden- und Samtstoffe wie Vorhänge in unterschiedlichen Höhen herab und bildeten unterschiedliche Zonen aus. Auch in Wohngebäuden wie der Villa Tugendhat (1928–30) setzte Mies Vorhänge als Raumteiler und Sonnenschutz ein.

Zur Eröffnungsausstellung der Neuen Nationalgalerie, die 1968 mit Werken von Piet Mondrian stattfand, hingen an allen Seiten vor den Fensterflächen raumhohe, hellgraue, durchscheinende Vorhänge. Charakteristisch für die Vorhänge sind die Wellenfalten, die für einen gleichmäßigen, wellenartigen Fall des Stoffes sorgen. Ausgewählt wurde ein Stoff der Firma Knoll International, Modell „Saphir“. Das Polyestergewebe hat in Textur, Transparenz und Mattheit die Anmutung eines Wollstoffs. Auch die Farbe der Vorhänge, grau getönt Nr. 3, kann heute noch aufgrund der Rechnung von 1968 genau benannt werden. Diese Vorhänge sorgten für ein verändertes Raumklima, aber gerade weil sie so durchscheinend waren, halfen sie natürlich nicht, den Lichteinfall wirklich zu minimieren. So wurde der leichte Vorhang in den späten 1970er Jahren gegen einen festeren Stoff ausgetauscht, der nun zwar kaum noch Licht in die Halle ließ und damit viele Ausstellungen ermöglichte, aber ganz der Idee des Baus entgegen stand.

Historische Erscheinung wird wieder hergestellt

Bis zur Einzelausstellung von Ulrich Rückriem im Jahr 1998 prägen die Vorhänge – ob aufgezogen vor den Fenstern oder zusammengeschoben in den Ecken – das ästhetische Bild der Ausstellungshalle. Für die raumbezogene Bodenarbeit des Bildhauers Rückriem, die den Blick auf die konstruktive Eleganz der Mies’schen Architekturikone lenkt, wurden die Vorhänge erstmals komplett abgenommen und dauerhaft eingelagert. Der Künstler Thomas Demand zitierte im Display seiner Ausstellung 2009 die Vorhänge von Mies als Raumteiler und Wandflächen, um seine Werke vor den in Wellen drapierten Stoffen zu präsentieren.

Bemusterung der Vorhänge von außen, rechts die rekonstruierte und links die modifizierte Vorhangvariante
© David Chipperfield Architects für Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)

Im Rahmen der Grundinstandsetzung werden die Vorhänge nun für die Ausstellungshalle und das Sammlungsgeschoss in Anlehnung an die historische Erscheinung wieder hergestellt. Zusätzlich zur Vorhangschiene wird ein zusätzliches Hängesystem für temporäre und ausstellungsspezifische Behänge angebracht, die einen stärkeren Lichtschutz ermöglichen als die leichten, durchsichtigen Vorhänge. Um für zeitgenössische Projekte in Zukunft das Haus auch weiterhin ganz ohne Vorhänge nutzen zu können, wurde die Abnahme und Einlagerung der Vorhänge mit berücksichtigt – keine einfache Aufgabe, denn die Vorhänge haben die doppelte Länge der Fassade von 54 Metern bei einer Höhe von über acht Metern.

Vorhänge gab es auch schon seit der Bauzeit des Museums im Untergeschoss. Während man die Stoffqualität in der Ausstellungshalle wegen des hohen Denkmalwertes nicht verändern wollte, hat man sich für das Untergeschoss darauf geeinigt, die beiden innenliegenden, sogenannten „Schleuderzugvorhänge“ zwar wieder einzurichten, aber in der Textilwahl etwas freier damit umzugehen, um den kuratorischen Bedürfnissen für das Sammlungsgeschoss gerecht zu werden. Dabei wird das Ziel verfolgt, unter Einhaltung der konservatorischen Anforderungen möglichst einen Teil der Transparenz zum Skulpturengarten zu wahren. Ausstellungsbedingt kann aber auch ein Verdunkelungsvorhang zu Einsatz kommen. So verbindet die Grundinstandsetzung sowohl die Vorgaben des Denkmalschutzes als auch die Anforderungen einer zeitgemäßen musealen Nutzung.

schmedding.vonmarlin.

Bemusterung der Vorhänge von innen, links die rekonstruierte und rechts die modifizierte Vorhangvariante © David Chipperfield Architects für Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)
Rekonstruktionszeichnung des Vorhangs in der Ausstellungshalle
© David Chipperfield Architects für Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)

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