Kunstgewerbemuseum:

Alltagsgestaltung: „Auf gepolsterten Luftsäulen sitzen“

Workshop zum Thema Alltagsgestaltung im Kunstgewerbemuseum © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Simone Barlian

Wie wurden Gegenstände einst benutzt und wie benutzen wir sie heute? Welche alltäglichen Praktiken gehen verloren und welche kommen dazu? Studierende der Uni Linz untersuchen in der Workshop-Reihe „More is More – Less is Less“ im Kunstgewerbemuseum, wie gestaltete Objekte unseren Alltag prägen.

Text: Nele Mai; Fotos: Simone Barlian

Sitzen, Essen und Telefonieren – diese drei Kulturtechniken prägen und formen unseren Alltag. Doch wie wurden und werden solche alltäglichen Praktiken durch Gegenstände beeinflusst? Im zweiten Teil einer dreiteiligen Workshop-Residenz im Kunstgewerbemuseum widmen sich Studierende des Studiengangs space&designSTRATEGIES der Kunstuniversität Linz diesen Fragen. In partizipativ angelegten Performances werden anhand der eingangs erwähnten Kulturtechniken des Essens, Sitzens und Telefonierens die damit verbundenen Alltagsobjekte neu befragt.

Workshop zum Thema Alltagsgestaltung im Kunstgewerbemuseum © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Simone Barlian

Ortstermin im Kunstgewerbemuseum: Wir setzen uns hin. Unser Sitzen wird immer wieder durch einen Gong unterbrochen. Es werden Fragen gestellt, Sitzpositionen verändert und Bezüge zur Geschichte des Sitzens hergestellt. So galt das Sitzen lange Zeit als eine prestigeträchtige Handlung und symbolisierte z.B. bei Hofe, die Hierarchie der Menschen (der Herrscher sitzt, der Diener steht bzw. kniet). Heute aber wird die sitzende Haltung längst mit Begriffen wie ungesund, hinderlich oder unangebracht konnotiert. Im Durchschnitt verbringen wir mehr Zeit sitzend als z.B. schlafend und in vielen Büros wird das Arbeiten an einem Stehpult zur Normalität. Nicht nur die Geschichte, sondern auch unsere Konditionierung zum Sitzen wird in der partizipativen Performance der Studierenden spielerisch erforscht.

Wie können wir eigentlich sitzen? Wie viele Menschen passen auf einen Sessel und welche Positionen eignen sich, um ohne Stuhl zu sitzen?

Workshop zum Thema Alltagsgestaltung im Kunstgewerbemuseum © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Simone Barlian

Den Blick in die Zukunft richtend, stellen sich Fragen einerseits nach Ökonomisierung und Kommodifierzung des Sitzens und andererseits der Verantwortung von Designer*innen. Die neuen Modelle der ICEs (Modell 4, seit 2017) werden immer kleiner und enger, in Flugzeugen werden wir bald stehend unsere Reisen antreten, Bänke in Parks und an öffentlichen Plätzen werden abmontiert oder so deformiert, dass wir uns nicht mehr gern auf ihnen niederlassen.

Kann das Sitzen hier sogar als ein Akt alltäglicher Stadtraumaneignung verstanden werden? Müssen trotz der Vielzahl an Stuhldesigns und dem Überschuss an Stühlen noch neue entworfen werden?

Oder werden wir bald, wie Marcel Breuer sagte „auf einer gepolsterten Luftsäule sitzen“?

Nachdem wir nun also saßen, werden wir zum Essen eingeladen (bei dem sich übrigens auch wieder hingesetzt wird). Durch verbundene Augen und einer abgespielten Geräuschkulisse über Kopfhörer, wird ein Sinnenspiel der Ablenkung vorgenommen, das darauf abzielt Essgewohnheiten zu hinterfragen und aufzubrechen.

Workshop zum Thema Alltagsgestaltung im Kunstgewerbemuseum © Staatliche Museen zu Berlin, Kunstgewerbemuseum / Simone Barlian

Welche Geräusche stören beim Essen und warum? Kann der Geschmackssinn mehr wahrnehmen, wenn der Sehsinn nicht mehr vorhanden ist? Wie entstehen neue Formen des Essens?

Die Selbstverständlichkeit und Sicherheit, mit der wir nach dem Besteck greifen und es benutzen, zeigt inwieweit Gegenstände unseren Alltag produzieren bzw. das ritualisierte Umgehen mit den Dingen eine Alltagspraxis hervorbringt.

Wir wenden uns nun einer Kulturtechnik zu, bei der sich nicht nur die Technik, sondern vor allem die alltägliche Praxis rasant entwickelt hat: dem Telefonieren. Vor uns, auf einem kleinen Beistelltisch liegen verschiedene Kommunikationsmittel. Einige wirken wie aus der Zeit gefallen, andere erinnern an Beuys‘ berühmtes Dosentelefon. Die humorvolle Performance der Studierenden Alireza Karkhaneh, Kerstin Reyer und Lama Ghanem geht dem Telefonieren als automatisierte Alltagstätigkeit auf den Grund. Sie rekonstruieren unterschiedliche Verhaltensweisen, die wir im Laufe der Zeit entwickeln, nehmen diese auseinander und hinterfragen die Rolle, die das Telefon bzw. das Handy in unserem heutigen Alltag einnimmt.

Es entwickelt sich ein lebendiges Gespräch zwischen den Studierenden und der Kuratorin des Kunstgewerbemuseums Claudia Banz und dem Künstler und Professor Ton Matton, die gewissermaßen als Stellvertreter*innen einer anderen Generation an dem Gespräch teilnehmen.

Wie gestaltet sich Alltag, wenn die unaufhörliche Dokumentation alltäglicher Situationen zum großen Bestandteil des Lebens wird? Was wird dadurch gewonnen oder auch verloren? Spiegelt das Selfie wirklich den Alltag derer wider, die es aufnehmen?

Das nicht versiegende Gespräch beweist, wie tiefgreifend das Smartphone, mit dem wir längst nicht mehr nur noch telefonieren, unseren Alltag formt.

„Nach unserer Zeit hier im Museum, schreiben wir ein Utopisches Manifest des Alltäglichen“, scherzt Ton Matton. Die Studierenden sind begeistert und wir können darauf wohl sehr gespannt sein!

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