Alltagsgestaltung im Kunstgewerbemuseum: Die Sichtbarmachung der Routine

Welche Vergangenheit haben Routinen, die an Objekte geknüpft sind, wenn wir diese nicht mehr benutzen? Wie etablieren sich Gewohnheiten anhand neuer Gegenstände und Dinge? Nele Mai sprach mit der Kulturanthropologin Kerstin Schäfer, die mit Studierenden aus Linz, die Midissage des Design Lab #2 im Kunstgewerbemuseum organisierte.
Interview: Nele Mai
Sie waren Teil eines Workshops im Rahmen des Design Lab #2
“Less is Less – More is More” im Kunstgewerbemuseum. Was war Ihre
Aufgabe dabei?
Kerstin Schäfer: Als Kulturanthropologin kann ich
helfen, unseren Alltag mit seinen oftmals an Dinge geknüpften Routinen
und Praktiken sichtbar zu machen. Dieses Sichtbarmachen haben die
Studierenden und ich gemeinsam erarbeitet, indem wir einen Schritt
zurückgetreten sind und uns angeschaut haben, was die so
selbstverständlichen Kulturtechniken des Sitzens, Essens und
Telefonierens eigentlich alles in sich tragen. Es gibt zu jeder Praktik
eine Vergangenheit – wie und in welchem Kontext ist sie entstanden und
wie hat sie sich dann weiterentwickelt? Wer hat diese Praktik gestaltet,
welche Geschichten verbinden wir selbst zum Beispiel aus unserer
Kindheit mit ihr, wie machten das unsere Großeltern und wie stehen wir
heute dazu? Dadurch, dass wir jeden Tag sitzen, essen oder telefonieren,
ist uns das alles normalerweise nicht mehr bewusst.
Können alltäglich gebrauchte Gegenstände moralisierende Elemente entwickeln?
Ja, ganz eindeutig! Allerdings haben wir selbst die Moral in die Dinge
eingeschrieben: Wir sind es, die zum Beispiel eine Stuhllehne so
konzipiert haben, dass wir auf diesem Stuhl gerade und aufgerichtet
sitzen müssen – so, wie es sich am Tisch gehört. Und wir sind auch
diejenigen, die in das Auto den Fiepton eingebaut haben, der jedes Mal
ertönt, wenn wir uns nicht anschnallen. Letzten Endes ist das Auto das
Ding, das uns dann immer wieder daran erinnern wird, uns anzuschnallen –
aber der Mensch ist ganz eindeutig die Institution, die die Moral
zuerst in die Dinge eingeschrieben hat. Und es liegt uns frei, die Dinge
und ihre Nutzungen dann auch wieder umzudeuten und umzunutzen.
Wie sieht der Alltag der Zukunft für Sie aus?
Ich habe keine Ahnung! Würde ich jetzt ein Zukunftsszenario unseres
Alltages entwerfen, dann würde dieses vor allem etwas über unsere
Jetztzeit aussagen. Das sieht man ja sehr gut, wenn man sich die
Zukunftsszenarien z.B. der 1980er Jahre anschaut, in denen wir alle
einzeln und vereinsamt in unseren weltraumartig ausgestatteten-Lofts
sitzen oder in Flugtaxis durch die Luft sausen. Aber natürlich gibt es
Tendenzen, die jetzt schon viel Bedeutung haben und sich
höchstwahrscheinlich noch ausweiten werden. In unserer Ausstellung
hatten wir das Beispiel des Telefons, welches sich vom reinen Notruf-
und Informationsübermittlungsapparat zum dauerhaft im Einsatz
befindlichen mobilen Computer entwickelt hat, weil allgegenwärtige
Information so wichtig geworden ist. Und das wird sich auch in Zukunft
fortschreiben. Wobei es zu jeder Entwicklung dann auch wieder die
Gegenbewegung gibt und offline und unerreichbar sein dann ebenfalls der
neuste Schrei sein wird, das deutet sich ja jetzt schon an.
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