Archäologie im Museum: Kleine Perle mit großer Ausstrahlung


Die Sonderausstellung „Berlins größte Grabung. Forschungsareal Biesdorf“ im Neuen Museum präsentierte nicht nur die bedeutendsten Funde aus der 15-jährigen Grabungskampagne im idyllischen Stadtteil Biesdorf, sondern erläuterte den Besucher*innen auch die alltägliche Arbeit der Archäolog*innen anhand von Schautafeln und direkt vor Ort durchgeführten Freilegungen von Urnen.
Text: Johannes Heußner
Jeden
Donnerstag und Freitag legte in der Schau „Berlins größte Grabung“ im
Neuen Museum eine kleine Gruppe Archäologie-Studierender mit Pinsel und
Löffel die Spuren der Vergangenheit frei.
Im Zentrum des Interesses
standen bis zur temporären Schließung der Museen im März rund 30 Urnen,
die im brandenburgischen Flatow ausgegraben worden waren und aus der
Eisenzeit stammen. Während dieser Epoche wurden die Verstorbenen
verbrannt und deren Überreste sowie wichtigsten Habseligkeiten in Urnen
bestattet. Die menschlichen Überreste wurden bei dieser Form der
Bestattung stark fragmentiert und liefern erst nach
Spezialuntersuchungen Daten zu den Verstorbenen. Oft sind es vielmehr
die in den Urnen beigelegten Objekte, die den Archäolog*innen einen
ersten Einblick in das damalige Leben gewähren. Dabei haben unscheinbare
Objekte meist weitaus mehr zu erzählen, wenn man sie im damaligen
Kontext betrachtet. Dazu zählt eine kleine blaue Glasperle, die in einer
der Urnen in der Ausstellung geborgen wurde.
Genaue archäologische Dokumentation
Mit großer Begeisterung legten Archäologie-Studierende der Freien Universität Berlin sie vor dem neugierigen Blick der Besucher*innen frei. Trotz der Freude über den Fund waren Vorsicht und eine genaue Dokumentation gefragt. Mit dem Pinsel wurde die Perle langsam freigelegt, während immer wieder Fotoaufnahmen gemacht wurden, um die Position und den Zustand des Fundes zu dokumentieren. Ganz neu ist hierbei die Erstellung eines exakten 3D-Modells mithilfe des Verfahrens der Photogrammetrie.

Mit der Bergung des Objekts beginnt die eigentliche Arbeit der Archäolog*innen. Zahlreiche Untersuchungen müssen durchgeführt werden, um mehr über die Glasperle zu erfahren. Zuerst wurden ihre Größe und ihr Durchmesser ermittelt und penibel dokumentiert. Darauf folgten spezielle Untersuchungen. Von besonderer Bedeutung waren bei der Glasperle eventuelle Abnutzungsspuren, die Rückschlüsse dazu liefern können, wie sie getragen wurde. Und tatsächlich offenbarten Mikroskopaufnahmen die entscheidenden Hinweise: Am Loch fanden sich einseitig Abnutzungsspuren, wohl von einem Faden oder einer Lederschnur, welche vermuten lassen, dass die Perle wie ein Anhänger getragen worden ist.
Seltenes Glas der Eisenzeit
Auf den Betrachter mag es vielleicht eigentümlich wirken, warum lediglich eine einzelne Perle und nicht eine ganze Perlenkette um den Hals getragen wurde. Wenn man die Perle jedoch in den prähistorischen und räumlichen Kontext rückt, erkennt man, welche Strahlkraft allein diese einzige Perle während der vorrömischen Eisenzeit (8–1. Jahrhundert v.Chr.) in unseren Breitengraden besessen haben muss. Glasobjekte sind zu dieser Zeit nördlich der deutschen Mittelgebirgszone äußerst selten. Anders als bei der im südlichen Mitteleuropa ansässigen Latène-Kultur finden sich im Nordosten kaum Glasobjekte. Auch eine eigene Produktion von Glas scheint es nicht gegeben zu haben. Jedes Glasobjekt musste mindestens über mehrere hundert Kilometer auf Handelswegen transportiert werden. Hinter dem „Erwerb“ von Glas steckte für die Angehörigen der sogenannten Jastorf-Kultur also ein enormer Aufwand. Vor diesem Licht betrachtet, erscheint es logisch, wenn schon eine einzelne Perle einen enormen Wert vermittelte und für den damaligen Träger oder die Trägerin eine hohe Bedeutung besessen hat. Umso mehr, wenn solch ein wertvolles Kleinod als Grabbeigabe mitgegeben wurde und somit für die Gemeinschaft der Lebenden verloren ging.

2000 Jahre später hat diese Perle ihren hohen Wert behalten. Sie ist ein Zeugnis von weiträumigen Kontakten und einem Austausch zwischen der Umgebung um Berlin mit den Bewohnern Süddeutschlands oder sogar Südeuropas. Solche Importwaren helfen Archäolog*innen, die damaligen Zusammenhänge besser zu verstehen und Einblicke in das Leben und die Vorstellungswelten vorangegangener Kulturen zu erhaschen. Diese Perle zeigt auf eindrucksvolle Art, dass auch auf den ersten Blick „kleine Funde“ große Bedeutung haben können.
Die Sonderausstellung „Berlins größte Ausgrabung. Forschungsareal Biesdorf“ ist Aufgrund der temporären Schließung der Museen wegen der Coronavirus-Pandemie leider nicht mehr öffentlich zugänglich.
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