Atmoism im Kunstgewerbemuseum: Tanz mir den Brutalismus!
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Nach sechs Monaten Schließzeit öffnet am 12. September auch
das Kunstgewerbemuseum wieder und blickt mit der neuen Schau „ATMOISM –
Gestaltete Atmosphären“ auf sich – Fragen an die Kuratorin Claudia Banz.
Interview: Ingolf Kern
Aufatmen
im Kunstgewerbemuseum: Ab 12. September darf das Haus am Kulturforum
wieder öffnen – mit Hygieneregeln, Abstandsgeboten und
Zeitfenstertickets wie überall. Vorläufig nur samstags und sonntags ist
jeweils um 14 und um 15.30 Uhr im Rahmen von Führungen und mit online
gebuchten Tickets die neue Ausstellung „Atmoism – Gestaltete
Atmosphären“ zu sehen. Der Designer Hermann August Weizenegger hat die
Sammlung, die Präsentationsformen des Museums und die brutalistische
Architektur von Rolf Gutbrod befragt. Ein Gespräch mit Kuratorin Claudia
Banz über diesen künstlerisch-gestalterischen Dialog, den Reiz von
Christbaumkugeln und Erkenntnisse aus der Corona-Zeit.
Frau
Banz, Sie sind dafür bekannt, dass Sie in der Architektur des
Kunstgewerbemuseums, die gemeinhin als schwierig oder gar abstoßend
bezeichnet wird, ein ungeheures Potential erkennen. Sie haben in
Ausstellungen immer wieder gezeigt, was sich aus dem Haus machen lässt.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Designer Hermann August
Weizenegger? Claudia Banz: Wir haben uns
vor zwei Jahren zum ersten Mal getroffen. Er war sehr angetan von der
Architektur des Hauses. Bei dieser Gelegenheit habe ich den Wunsch
geäußert, dass sich mal ein zeitgenössischer Designer wie er auf das
Haus und die Sammlung einlässt. Ich wollte keine Ausstellung im White
Cube, sondern wirklich einen Umgang mit den Räumen des Hauses. Hinzu
kommt, dass Weizenegger jemand ist, dem es in seiner Arbeit immer um
Revitalisierung von kulturellem Wissen, Materialität und
Produktionstechniken geht. Das war die Schnittstelle zum
Kunstgewerbemuseum. Hieraus ergaben sich weitere Fragen, die wir uns
gestellt haben: Was ist der Geist, was ist die Formensprache des
Brutalismus? Wie lässt sich angewandte Kunst anders ausstellen als in
Vitrinen? Welchen atmosphärischen Wert haben unsere Räume? Erzeugen sie
Ablehnung oder Zustimmung? Heraus kamen kleinere oder größere
Installationen, die wie Bühnenbilder im Museum wirken.
Und was erwartet die Besucherinnen und Besucher konkret? Weizenegger übersetzt den Geist des Hauses in eine ganz eigene
Szenografie. In der Dauerausstellung hat er 24 Stationen verteilt –
schwarze oder cremefarbene Aluminiumgestelle, auf die eigens für die
Ausstellung angefertigte Keramikplatten montiert werden, die
brutalistische Motive tragen. Sie bilden den atmosphärischen Rahmen für
seine Objekte, von denen die meisten ebenfalls neue Entwürfe für die
Ausstellung sind: das kann ein brutalistischer Teppich sein oder eine
Vase aus dem 3-Drucker mit brutalistischem Motiv. Mit seinen
Interventionen, die Titel wie „Die Arbeit“, „Die Illusion“ oder „Das
Abbild“ tragen, kreiert er Mikro-Atmosphären im Raum und stellt darüber
aber auch Dialoge mit der umgebenden Dauerausstellung her. Weizenegger
legt großen Wert auf eine regionale Produktion und ist dafür bekannt,
dass er mit kleinen Handwerksbetrieben, Manufakturen oder Start ups
arbeitet. So kommen die Besucherinnen und die Besucher in den Genuss
eines Leuchters, den eine Firma aus dem thüringischen Lauscha
hergestellt hat, die eigentlich auf die Produktion von Christbaumkugeln
spezialisiert ist. Der nachhaltig nach dem Konzept der
Kreislaufwirtschaft produzierte X-Chair lädt dazu ein, bestimmte Objekte
der Dauerausstellung genauer zu betrachten. Es wird aber auch einen
brutalistischen Sound geben, und ein Tänzer des Stuttgarter
Staatsballetts tanzt den Brutalismus.
Hermann August Weizenegger, Foto: Dorothea Tuch
Diese
künstlerische-gestalterische Auseinandersetzung mit Ihrem Haus beendet
die fast sechsmonatige Schließzeit Ihres Hauses. Was haben Sie in dieser
Zeit gemacht? Wir haben im Prinzip intensiv an dieser
Ausstellung gearbeitet und waren gerade dabei, den Katalog in Angriff zu
nehmen, als das Haus geschlossen wurde. Parallel war die sechste
Ausgabe der Design-Lab-Reihe mit dem sehr visionären Titel „(How) do we
(want to) work (together) (as (socially engaged) designers (students and
neighbours)) (in neoliberal times)?“ vorzubereiten. Der Titel freilich
stand schon vor der Corona-Zeit fest. Eigentlich hätte das ein Festival
hier am Haus werden sollen, aber dann hat unser Kooperationspartner, das
Studio Experimentelles Design in Hamburg, es in digitales Format
transformiert. Die siebte Ausgabe des Design Lab, die wir übrigens dank
des Kuratoriums Preußischer Kulturbesitz realisieren können, trägt den
Titel „Sprich mit mir – die Sammlung im Kontext“ und ist eine
Kooperation mit der Zürcher Hochschule der Künste. Wir haben ein Team
von Masterstudierenden ausgewählt, die sich unsere Sammlung ebenfalls
mit der Frage anschauen, wie man unsere Objekte anders ausstellen und
andere Geschichten dazu erzählen kann. In vielen Online-Meetings haben
wir von März bis August ganz intensiv mit verschiedenen Objekten
gearbeitet und werden die Ergebnisse jetzt auch bald präsentieren.
In
diesen Corona-Zeiten ist unser Alltag von Dingen bestimmt gewesen, die
plötzlich von uns ganz anders gesehen wurden. Eine Kaffeetasse kann
Beständigkeit ausstrahlen, Omas Brosche vielleicht Trost, eine schön
geformte Vase vielleicht Halt. Sind das Themen, die auch ein Museum für
Gestaltung bewegen? Unbedingt. Es gibt ja das englische
Wort „Care Work“, was aber nicht nur Pflegedienste meint, sondern auch
den Umgang mit unseren Dingen. Ich denke, dass durch Corona die
Wertschätzung für die Dinge gestiegen ist, dass wir uns stärker als
zuvor der Frage gestellt haben, was uns wichtig ist – in der Mode, beim
Essen, in unserem alltäglichen Leben. Es gibt eine große Verunsicherung,
die aber auch zu noch mehr Umdenken führt. Ich kenne Menschen, die
plötzlich Brot backen, obwohl sie davon nie etwas wissen wollten, ihre
Sachen reparieren oder aufheben, anstatt sie wie gewohnt
wegzuschmeissen. Wir als Kunstgewerbemuseum können und sollten gerade in
dieser Postwachstumsgesellschaft Orientierung bieten. Denn die
Gestaltung unserer Lebenswelten mit allen gesellschaftlichen
Implikationen zu befragen und auszustellen, gehört zu unseren Aufgaben.
In diesem Sinne sollten wir auch als Museum dazu beitragen, die
Wertschätzung für die Dinge im positiven Sinne zu verändern.
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