Ende des 19. Jahrhunderts brachte der norwegische Seefahrer
Johan Adrian Jacobsen mehrere Objekte der Chugach aus Alaska nach
Berlin. Unter den etwa 200 Objekten ist auch ein besonderer Hut, der in
den Quellen nirgends auftaucht – Gemeinsam mit Vertrtetern der Chugach
ergründeten die Forscher*innen am Ethnologischen Museum seine
Geschichte.
Text: Ilja Labischinski, Provenienzforscher, Zentralarchiv/Ethnologisches Museum
„Was
ist mit unseren Vorfahren passiert?“ fragt John Johnson. Er ist zu
Besuch im Depot des Ethnologischen Museums und liest einen Reisebericht
von Jacobsen vor. Darin beschreibt Jacobsen, wie er die Mumien einer
Frau und eines Kindes aus einer Begräbnishöhle holt. Diese seien
allerdings in einem so schlechten Zustand, dass es ihm lediglich
gelingt, den Schädel der Frau an Bord seines Schiffes zu bringen. John
Johnson ist Vizepräsident der Chugach Alaska Corporation und ist
gemeinsam mit einer Delegation der Kulturorganisation Chugachmiut im
Herbst 2015 nach Berlin gereist. Sein Ziel: eine Kooperation für eine
virtuelle Sammlung aller Chugach Objekte zu erstellen. Er möchte auch
mehr über den Verbleib der Objekte und über die menschlichen Überreste
erfahren, die im Berliner Museum seit über 100 Jahren lagern.
Die
Objekte der Chugach im Ethnologischen Museum werden von dem
norwegischen Seefahrer Johan Adrian Jacobsen nach Berlin gebracht, der
im Auftrag des damaligen Königlichen Museums für Völkerkunde zwischen
1881 und 1883 die amerikanische Nordwestküste und Alaska bereist. Am
Ende seiner Reise im Juli 1883 erreicht Jacobsen den Prince William
Sound im südlichen Alaska. Auf den Inseln Chenega und Nuchek erwirbt er
größere Sammlungen ethnologischer Objekte, auf Chenega Island fast 200
Objekte, darunter auch einen auffälligen Hut.
Die
Region des Prince William Sound steht von frühen Zeiten an im Fokus
europäischer Interessen. So sind es Mitte des 18. Jahrhunderts russische
Pelzhändler, die in der Region sich ansiedeln und später kolonisieren.
Darunter litten vor allem die Menschen im südlichen Alaska. So werden
unter anderem Frauen und Kinder entführt, Männer müssen Zwangsarbeit
leisten und Krankheiten verbreiteten sich so schnell, dass viele
Menschen sterben. Der Verkauf Alaskas von Russland an die USA im Jahr
1867 verändert die Situation der indigenen Bevölkerung kaum. Anfang des
20. Jahrhunderts dezimierte eine Pockenepidemie die Bevölkerung
drastisch und ein Erdbeben mit darauffolgendem Tsunami zerstört einen
Großteil der Gebäude vieler Ortschaften. 1989 ereignet sich der
folgenschwere Unfall des Öltankers Exxon Valdez, bei dem geschätzte
37.000 Tonnen mehr als 2000 Kilometer Küste verseuchen. Hunderttausende
Tiere sterben als direkte Folge des Unglücks und vergiften sich teils
bis heute schleichend über die Nahrungsaufnahme. Die Situation der
indigenen Bevölkerung Alaskas ändert sich im Jahr 1971 als die
US-Regierung den Alaska Native Claims Settlement Act (ANCSA) erlässt, in
dessen Folge auch die Chugach Alaska Corporation gegründet wird und nun
selbstbestimmt über ihr Land und dessen Ressourcen bestimmen können.
Seitdem setzt sie sich auch für die Bewahrung ihres kulturellen Erbes
ein.
Im
November 1883 kehrt Jacobsen nach Berlin zurück. Dort entpackt und
katalogisiert er seine Sammlungen, die bereits im Museum eingetroffen
waren. Nebenbei bereitet er mithilfe eines Journalisten seine Tagebücher
für die Veröffentlichung vor, die 1884 unter dem Titel „Capitain
Jacobsen’s Reise an der Nordwestküste Amerikas 1881–1883: zum Zwecke
ethnologischer Sammlungen und Erkundigungen nebst Beschreibung
persönlicher Erlebnisse“ erscheinen.
Wie bei vielen anderen
Objekten in den Sammlungen des Ethnologischen Museums sind die genauen
Erwerbungsumstände der Objekte aus dem südlichen Alaska unbekannt. In
seinem Reisebericht erwähnt Jacobsen zu den Objekten von Chenega Island
lediglich: „Am Abend kehrten wir nach dem Dorfe zurück, in dem ich alle
ethnographischen Gegenstände kaufte, die zu haben waren. […] Die
ethnographischen Gegenstände, welche ich hier kaufte, bestanden aus
Steinäxten, hölzernen Tellern mit eingelegter Perlenarbeit, grossen
Steinlampen, Perlenarbeiten, Jacken aus Adlerhäuten u.a.m.“. Der Hut
wird also im Reisebericht gar nicht erwähnt, gehört aber vermutlich zu
denjenigen Objekten, die Jacobsen auf Chenega Island erwirbt. Solche
Hüte waren wertvolle Familienerbstücke und lassen Fragen offen. Warum
wird dieses auffallende und wichtige Objekt nicht weiter erwähnt?
Bei
dem aus Fichte geflochtenen Hut handelt es sich vermutlich um einen Hut
zur Jagd. Das herausragende Design erinnert eher an die Motive der
amerikanischen Nordwestküste. Er ist mit zahlreichen bunten Perlen
dekoriert. Auffallend sind die langen Schnurhaare eines Seelöwen. Die
rote und schwarze Farbe auf dem Hut ist bereits leicht verblasst und
lässt nur noch erahnen, wie farbenfroh der Hut einmal gewesen sein muss.
Einen solchen Hut trugen die Männer auf See während der Jagd.
Einerseits schützt er sie vor Regen und Wasser und andererseits dienen
sie dem Jäger als Tarnung.
In den Sammlungen der Smithsonian
Institution in den USA findet sich ein ähnlicher Hut, der durch William
J. Fisher in das Museum gelangte. Jacobsen begegnete Fisher mehrfach auf
seiner Reise in Alaska. Fisher erwähnt in einem Brief, dass Jacobsen im
Prince Williams Sound eine hervorragende Sammlung an Objekten
zusammenstellen konnte, insbesondere die Mumien hob er dabei vor. Fisher
beschreibt aber auch, dass Jacobsen durch seine unendlich wirkenden
finanziellen Mittel die Preise in der Region in die Höhe treiben würde.
Ein Vorwurf, den Jacobsen aber selbst gegenüber Sammlern erhob, die
zeitgleich durch die Region reisten. In seinem Reisebericht schreibt
Jacobsen über Fisher: „In St. Paul machte ich einige interessante
Bekanntschaften. Zunächst lernte ich Herrn Fischer kennen, welcher
hierselbst als Beamter der Coast Survay thätig ist und zugleich für
Smithsonian Institution sammelt…. Nach einem Abkommen, welches ich mit
Capitain Andersen getroffen hatte, ging die Hälfte der Funde in den
Besitz des Herrn Fischer in St. Paul über. Ohne eine derartige Abmachung
würde ich wahrscheinlich gar nichts erhalten haben.“
1879 zieht
es William J. Fisher nach St. Paul auf Kodiak Island, wo er im Auftrag
des Smithsonian vor allem naturhistorische, später auch verstärkt
ethnographische Objekte sammelt. Heute sind über 400 Objekte von Fisher
in den Sammlungen des National Museum of Natural History in den USA.
Fisher war einer von vielen Sammlern, die das Smithsonian gegen Ende des
19. Jahrhunderts in alle Regionen Alaskas entsandte, um ihre Sammlungen
flächendeckend auszubauen und die Objekte aus dem von Russland
erkauften Gebiet für die eigene Nation zu sichern. Um an Objekte zu
gelangen war er auf von ihm beauftragte Sammler angewiesen. Jacobsen mag
einer dieser Sammler gewesen sein.
Eine Abgabe von Objekten an
Fisher wird nirgendwo weiter erwähnt, so dass wir leider heute nicht
wissen, ob und welche Objekte damals aus der Sammlung abgegeben wurden.
Ein Blick in die Sammlungen des National Museum of Natural History aus
dem südlichen Alaska lassen jedoch vermuten, dass sich heute von
Jacobsen gesammelte Objekte in dem amerikanischen Museum befinden.
Die
Sammlungen aus Alaska standen lange Zeit nicht im Fokus der Forschungen
ethnologischer Museen. Im Berliner Museum änderte sich dies spätestens
1997 mit dem Besuch einer Delegation der Yupik aus dem nordwestlichen
Alaska und den Vorbereitungen für die Ausstellungen im Humboldt Forum,
in denen die Sammelreise von Johan Adrian Jacobsen prominent
thematisiert wird.
Dies
betraf allerdings nicht die Sammlungen aus dem südlichen Alaska. Diese
gelangen erst durch die Forschungen im Vorfeld des Aufenthalts der
Delegation der Chugach in den Fokus. Die Objekte aus der Region sind
kaum dokumentiert und praktisch alle nicht digital erfasst. Viele der
Objekte waren vor dem Aufenthalt noch als Kriegsverluste gekennzeichnet,
konnten aber wieder ausfindig gemacht werden. Obwohl einige Objekte
fotografiert und über den Onlinekatalog des Museums und verschiedene
Publikationen öffentlich zugänglich sind, waren die Objekte der
Delegation der Chugach gänzlich unbekannt.
Erst
nachdem John Johnson uns den Reisebericht Jacobsens vorliest änderte
sich dies. Wir machten uns gemeinsam an die Arbeit, die menschlichen
Überreste und die Grabbeigaben zu identifizieren. Während der Verbleib
der menschlichen Überreste bis heute nicht geklärt ist, konnten wir
gemeinsam neun Objekte identifizieren, die von Jacobsen aus Gräbern im
südlichen Alaska entnommen wurden. 2018 konnte die Stiftung Preußischer
Kulturbesitz diese neun Objekte an die Chugach Alaska Corporation
zurückgeben. Weiter bleiben über 200 Objekte aus der Region in den
Sammlungen des Ethnologischen Museums und sind nun Teil gemeinsamer
Forschung. Dazu besuchte 2019 erneut eine Delegation von Vertretern der
Chugach das Ethnologische Museum und arbeitet nun gemeinsam an Projekten
zur Provenienz, Vermittlung und Ausstellung der Objekte und des damit
verbundenen Wissens.
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe anlässlich des 2. Tags der Provenienzforschung, einer Initiative des Arbeitskreises Provenienzforschung e.V. Der Aktionstag am 8.4.2020 soll darauf aufmerksam machen, wie wichtig
die Entschlüsselung der Objektbiografien auf wissenschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene ist. Aufgrund der Coronakrise werden viele der
geplanten Aktionen nun in den digitalen Bereich verlegt. Auf Twitter
wird der Hashtag #TagderProvenienzforschung den Aktionstag begleiten.
Kontakt zu Fragen der Provenienzforschung der Staatlichen Museen zu
Berlin: provenienzforschung@smb.spk-berlin.de
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