Das Exakte im Un-Exakten: Esther Stocker im Kunstgewerbemuseum
Lesezeit 5 Minuten
Anlässlich des 2. „Tags im Grünen“ am Kulturforum wird im Kunstgewerbemuseum eine temporäre Installation der Künstlerin Esther Stocker aus Südtirol präsentiert. Im Gespräch erklärt Stocker, warum sie meist auf Farben verzichtet – und was das Meer mit ihren grafischen Rastern zu tun hat.
Interview: Sven Stienen
Am 3. September 2023 findet am Kulturforum der zweite „Tag im Grünen“ statt. Anlässlich des Aktionstages wird im Kunstgewerbemuseum eine speziell für den Ort entwickelte, temporäre Installation von dir präsentiert. Worum geht es in der Arbeit und wie kann man sich die Installation vorstellen?
Esther Stocker: Es ist eine grafische Arbeit, die sich an den Balkonen des Museums als architektonische Elemente orientiert. Im Grunde besteht die Installation aus schwarzen Linien, die sich flächig ausbreiten und immer wieder unterbrochen sind. Sie sollen einen starken horizontalen Gegenpol zu dem ansonsten sehr unruhigen Raum mit seinen vielen Diagonalen bieten. Es ist eine formale Arbeit, die aber auch im praktischen Dialog zum Gebäude steht und auch eine ästhetische Qualität hat.
Fassade Museum Gegenstandsfreier Kunst Otterndorf 2018 (Foto Matthias Seidel)
Ein wichtiges Thema für dich ist das Aufbrechen von vermeintlich bekannten Strukturen und das Herausfordern der Wahrnehmung. Geht es auch in dieser Installation darum?
Definitiv! Ich versuche immer, mit möglichst einfachen Elementen eine Komplexität herzustellen. Die Arbeit im Kunstgewerbemuseum besteht zum Beispiel nur aus horizontalen Linien, die mal durchlaufen und mal unterbrochen sind. Die Unterbrechungen irritieren und ich kann damit zeigen: Wir haben gewisse Erwartungen an Formen, die wir meist erst bemerken, wenn sie nicht erfüllt werden. Wenn die Linie etwas macht, das man nicht gewohnt ist, dann werden die unterschwelligen Erwartungen plötzlich sichtbar.
Ein weiteres Merkmal deiner Arbeiten ist die wiederkehrende Verwendung von Schwarz und Weiß. Warum verzichtest du auf Farben?
Ich benutze diese Kombination gern, weil ich in Formen und Relationen denke und im Exakten das Un-Exakte zeigen möchte. Dabei hilft mir der hohe Kontrast von Schwarz und Weiß, weil man sofort unterscheiden kann: Was ist die Linie, was ist die Ebene, was die Zwischenfläche und was sind die Beziehungen zwischen den Formen? Wir nehmen Farben schneller wahr als Formen und wenn ich einen Fokus auf die Form legen will, dann hilft es enorm, die Farbe weg zu lassen.
Installation im Matsudai Castle, Echigo Tsumari Artfestival, Japan 2021 (Foto Art Front Gallery Tokio)
Deine Arbeiten sind schwarz-weiß und sehr grafisch, aber die Installation wird anlässlich des „Tags im Grünen“ präsentiert – einem großen Gartenfest. Gibt es in deinen Arbeiten allgemein oder in dieser spezifischen Installation einen Bezug zum Garten, zu Pflanzen und Botanik?
Nein, der Bezug besteht eher zur Architektur. Aber meine Arbeiten sind Abstraktionen und es hat in der analytischen, abstrakten Kunst immer einen Bezug zur Natur gegeben. Etwa bei Mondrian, der seine berühmten Raster von Bäumen abgeleitet hat. Analytische Kunst braucht den Bezug zur Natur und zum Sozialen, weil es sonst nicht interessant wäre, über Strukturen nachzudenken.
Deine aktuelle Installation wurde speziell für das Kunstgewerbemuseum entwickelt. Wie war der Entstehungsprozess und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Museum?
Ich war vor Ort im Kunstgewerbemuseum, habe mir die Situation angeschaut und ein Gespräch mit der Direktorin Sibylle Hoiman geführt. Da ging es um eine Idee, die mich sehr fasziniert: den Raum zu transformieren und mit grafischen Elementen eine parallel Ebene in etwas Bestehendes hinein zu bringen. Ich möchte offenbaren, was jenseits der Architektur liegt. Die Architektur ist sehr an das Funktionale gebunden, aber die Kunst kann darüber hinausgehen. Die Horizontale ist dabei ein Ausgangspunkt, den es auch in der Architektur gibt. Ich habe bei den Linien auch viel an das ruhige Meer gedacht. Das ist ein Grundthema, das mich sehr inspiriert, denn die Meeresoberfläche besteht ja aus unzähligen, sich ständig wiederholenden kleinen Wellen. Sie wirken alle gleich, doch in Wirklichkeit ist keine wie die andere, sie verändern sich ständig. Aber meine Installation enthält keine symbolische Referenz zu Wellen, das ist eher eine abstrakte Referenz. Ich wollte etwas Ruhiges erschaffen, wie wenn man in den Horizont schaut, aber gleichzeitig auch eine Bewegung, eben wie beim Meer.
Hachihama Train Station, Japan 2016 (Foto Art Front Gallery Tokio)
Das klingt sehr spannend und macht Lust, die Arbeit anzusehen …
Ich weiß natürlich nicht, ob die Leute beim Erleben der Installation auch die Assoziation mit dem Meer haben, vermutlich nicht. Es ist gedanklich schon ein großer Sprung, aber er war für mich sehr wichtig. Die Natur beruht im mikroskopischen Bereich auf ganz ähnlichen, geometrischen Strukturen.
Wie kam der Kontakt zum Museum zustande?
Der erste Kontakt entstand über Matthias Seidel und die Galerie drj art projects, wo derzeit eine Ausstellung von mir gezeigt wird. Mit Matthias Seidel habe ich mal eine Fassadengestaltung für das Museum gegenstandsfreier Kunst in Otterndorf gemacht und er ist mit Sibylle Hoiman vom Kunstgewerbemuseum bekannt. Nachdem der Kontakt hergestellt war, lief alles ganz unkompliziert und wir haben uns schnell auf das Projekt geeinigt.
Installation bei Kohlmaier, Wien 2020 (Foto Markus Gradwohl)
Wie ist denn dein Eindruck vom Kunstgewerbemuseum? Mit seiner brutalistischen Fassade ist es ja ein sehr eigenwilliger Bau …
Ich war auch vor dem Projekt schon dort und finde es vor allem von außen sehr ansprechend. Ich mag generell diese Architektur und die Zeit, in der das Haus geplant wurde. Außerdem interessiert mich das Museum auch inhaltlich sehr, weil ich mich seit einigen Jahren verstärkt mit der Gestaltung von Objekten beschäftige. In diesem Zusammenhang mag ich auch den Namen, Kunstgewerbemuseum, der getreu dem Bauhaus-Gedanken Kunst und Gewerbe zusammenbringt. Insofern bin ich sehr froh, diese Arbeit im Kunstgewerbemuseum realisieren zu dürfen, das ist ein schönes Projekt.
Welche Vergangenheit haben Routinen, die an Objekte geknüpft sind, wenn wir diese nicht mehr benutzen? Wie etablieren sich Gewohnheiten anhand… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare