Im Kunstgewerbemuseum wird in der Ausstellung „Design Lab #13 – Material Legacies“ untersucht, welche Stoffe wir kennen, welche wir vergessen haben und welche noch entwickelt werden müssen
Text: Irene Bazinger
Wenn man eines der Museen des Kulturforums betritt, ist man immer in Vorfreude, welche schönen neuen Eindrücke einen erwarten werden. Aber dass man sich plötzlich wie im 19. Jahrhundert unterwegs mit Theodor Fontane auf dessen Wanderungen durch die Mark Brandenburg mit ihren Sand- und Kiefernlandschaften vorkommt, ist dann trotzdem eine veritable Überraschung. Man sieht die Bäume nicht, doch man riecht sie, ihre würzigen, süßlichen, kräftigen Düfte: Köstlich! Sämig! Unwiderstehlich! Dieses ungeahnte olfaktorische Vergnügen bietet im Untergeschoss des Kunstgewerbemuseums nun das Design Lab #13 unter dem Titel „Material Legacies“. Es ist eine Ausstellung der besonderen Art: Sie ist im Fluss, blickt aufmerksam zurück und optimistisch voraus. Sie nimmt sich die Natur als Lehrmeisterin und die tollsten High-Tech-Materialien als Utopie. Wie die Rinde, die hier präsentiert wird, breite Streifen, aus denen man zum Beispiel Boote fertigen kann, was bei den indigenen Völkern Nordamerikas, Kanadas und Sibiriens bis heute üblich ist. Gezeigt wird dazu das kleine Modell eines Kanus aus Birkenrinde, das 1867 auf der Weltausstellung in Paris erworben wurde.
Gegenüber sind breite Bahnen abgelöster Rinde fast wie Ballen ausgelegt. Ferner ist eine große, geflochtene Kugel aus – in Brandenburg gewonnener! – Kiefernrinde aufgebockt, in die man seinen Kopf stecken kann, um sich darin allein und glücklich wie im Wald zu fühlen – zumindest, was das Aroma anbetrifft. Rinde ist ein Rohstoff, der natürlich entsteht, der nachwächst und der biologisch abbaubar ist. Das ist natürlich ein Wunschtraum sämtlicher Forschungsteams, die für diese Schau fächerübergreifend miteinander gearbeitet haben. Freilich ist auch Rinde, wie alle organischen Substanzen, mengenmäßig begrenzt. Was kann man tun, wenn man mehr davon benötigt als vorhanden ist? Wie lässt sich die expandierende Menschheit mit ihren diversen Bedürfnissen auskömmlich versorgen? Der abschließende letzte Teil der „Design Lab“-Reihe, von der Kuratorin Claudia Banz als Diskursraum etabliert, um schnell und direkt auf aktuelle Probleme reagieren zu können, hat folgende Fragestellung: „Wie können wir Abfall und Ressourcen besser nutzen? Was können wir von biologischen Prozessen für die Materialverarbeitung lernen?“
Die Frage nach Materialien hat längst eine politische Dimension
In Kooperation mit dem Exzellenz-Cluster „Matters of Activity. Image Space Material“ der Humboldt-Universität zu Berlin haben sich interdisziplinäre Teams auf die Suche nach innovativen Werkstoffen gemacht, die uns helfen könnten, gut weiterzuleben – und dabei die Natur, das Klima möglichst schonend zu behandeln. Diese Gruppen umfassen internationale Geistes- und Naturwissenschaftler*innen aus über vierzig Disziplinen, wie Designer*innen, Chemiker*innen, Architekt*innen, Ingenieur*innen. Als Inspiration für ihre hiesigen Arbeiten dienten ausgewählte Objekte aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums, zu denen die neuen Exponate eine inhaltlich-empathische Verbindung gefunden haben. Erstere können ein reliefartiger Wandteppich aus dem Jahr 1975 sein, wie ihn die rumänische Textilkünstlerin Ritzi Jacob (1941-2022) aus Wolle, Seide, Sisal, Ziegen- und Rosshaar in Gobelin- und Mischtechnik als „Exotica III“ schuf, oder – eine erstaunliche Kombination – ein Messer aus Metall und Koralle aus dem 17.Jahrhundert, sind doch Korallen im Wasser weich und flexibel, verhärten sich hingegen an der Luft und werden brüchig, oder ein zweiteiliges cremefarbenes Abendkleid der französischen Couturière Madame Grès (1903-1993) aus reinweißem Single-Jersey, das von Faltenwurf und Schnitt her an einen antiken Entwurf erinnert. Es dient als Referenzobjekt für das Projekt „Self-Shaping Textiles“ von Lorenzo Guiducci und Agata Kycia, in dem sie sich auf die Entwicklung neuer Oberflächenstrukturen durch die Umwandlung von 2D-Oberflächen in faltige 3D-Strukturen konzentrieren. Inspiriert von morphogenetischen Prozessen in Pflanzenblättern schlagen sie vor, den 3D-Druck auf vorgedehnten Textilien als alternative, materialbasierte Formfindungstechnik einzusetzen, um dadurch letztlich zu nachhaltigeren Baupraktiken zu gelangen.
Das Kunstgewerbemuseum fungiert als Wissensspeicher für biologisch inspirierte Designlösungen, denn es konserviert nicht nur unzählige Werkstoffe, sondern katalogisiert auch die Methoden, wie diese zu handhaben und zu gebrauchen sind. Das ist eine seiner wichtigsten Funktionen in einer Welt, in der die Frage nach Materialien längst eine politische Dimension erhalten hat. Wie gehen wir mit Produkten um, und wie mit den Ingredienzien, aus denen sie hergestellt wurden?
Das Design Lab ist Grundlagenforschung und Möglichkeitsraum
Das betrifft etwa Haushaltsüberreste wie die Berge von leeren Muscheln, die nach einem Essen übrigbleiben können. Valentina Aliaga, Marīa José Besoain, Nicolas Hernandez, Heidi Jalkh, Alejandro Weiss haben diese für „Infauna / A Biomaterial Culture“ gründlich analysiert, die morphologischen Strukturen moduliert und spezifische Paradigmen verändert. In zerkleinerter, hoch verdichteter Form wurde die so transformierte Biomasse der Miesmuscheln zum Baumaterial weiterentwickelt. Als Referenzobjekte erkor sich das Kollektiv einen „Nautiluspokal mit Insekten“ aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Solche Gegenstände gehörten zu den begehrten Schaustücken in den Kunst- und Wunderkammern jener Zeit und wurden aus den glänzenden Perlmuttschalen des Gemeinen Perlboots angefertigt, mithin – wie bei den Muscheln – eines maritimen Lebewesens. Ein anderes Team – Iva Rešetar, Christiane Sauer, Maxie Schneider, Josephine Shone – hat in „Architectural Yarns“ mit Textilien, Bienenwachs und Pflanzenfetten experimentiert, um deren klimamodulierende Eigenschaften zu untersuchen und nutzbar zu machen.
Neben Biomaterialien gibt es freilich die leider allzu bekannten Zivilisationsrückstände, die Küsten, Meere und ganze Landstriche verschmutzen. Die ugandische Multimedia-Künstlerin Nabukenya Allen alias Njola arbeitet mit solchen Industrieabfällen. Vor allem in den Slums von Kampala sammelt sie dafür mit Helfer:innen Müll ein, wie Altreifen, Plastiktüten und Sandalen. Während auf diese Art vergessene Gebiete beräumt und gesäubert werden, gewinnt sie die Rohstoffe für ihre Produkte. Mithilfe traditioneller handwerklicher Techniken, die sie von ihrer Mutter, einer Weberin von Palmenmatten, gelernt hat, praktiziert sie ihre Version des Upcyclings, erzeugt Taschen, Schuhe, Alltagsgegenstände, die unter ihren Händen zu bunten, enigmatischen Unikaten werden. Sie teilt ihre Erfahrungen dann mit ihrer Community, um auch anderen die Chance zu Eigenständigkeit und hoffentlich Einnahmen zu bieten.
Egal, ob der progressive Einsatz von Sand, Gummi, Garn, Wolle, bestimmten Bakterien oder Korallen angedacht ist, stets werden die soziokulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontexte im globalen Maßstab studiert, um zu neuen Lösungen zu kommen, die man in der Medizin wie in der Bauwirtschaft, für Innenausstattung oder technisches Zubehör einsetzen kann. Das aktuelle Design Lab zeigt Prototypen solcher innovativen Entwicklungen, die als ausgereifte Substanzen gute Chancen haben, unsere Zukunft zu begleiten. Es handelt sich dabei einerseits um Grundlagenforschung, andererseits um einen visionären Möglichkeitsraum voller Anstöße, um perspektivisch über Wohl und Wesen von Materialien nachzudenken. Und davon kann man nie genug haben!
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