20 sogenannte „Benin-Bronzen“ aus Deutschland kehren jetzt nach Nigeria zurück, allein zehn davon aus dem Bestand des Ethnologischen Museums. Mit dieser Rückgabe endet nicht nur eine jahrhundertealte Geschichte – es beginnt auch eine neue, die in die Zukunft verweist.
Text: Sven Stienen
Der Deckel schließt sich langsam und der Blitz einer Kamera erhellt noch einige Male kurz das Innere der Kiste. Zwei Männer in weißen Sweatshirts vollführen vorsichtig die letzten Handgriffe, um die gepolsterte und gesicherte Kiste fest zu verschließen. Sie enthält einen kostbaren Schatz des Humboldt Forums: den Thronhocker des Oba Eresoyen (1735–1750).
Als das Berliner Licht an diesem Dezembernachmittag zum letzten Mal auf den Thron fällt, endet eine jahrhundertealte Geschichte. Gleichzeitig beginnt eine neue, denn der Thron wird bald erstmals seit 1897 wieder in afrikanisches Licht getaucht werden.
Er ist das letzte von zehn Objekten, die noch 2022 von Berlin nach Nigeria reisen werden. Dort, in Benin City, werden sie künftig im neu errichteten „Edo State Museums of West African Art“ (EMOWAA) gezeigt werden – in ihrer ursprünglichen Heimat, aus der sie einst geraubt wurden. „Der Thron ist ein sehr bedeutendes Objekt und gehört dementsprechend zu den ersten Dinge, die jetzt nach Nigeria zurückgehen“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der SPK. „Auch, wenn wir uns nun von diesen Objekten trennen, freuen wir uns“, fährt er fort, „denn diese Rückgabe ist ein Modelfall und wird den Weg bereiten für intensiven Austausch und Zusammenarbeit in der Zukunft.“ Die Rückgabe des Throns und neun weiterer Objekte aus Beständen des Ethnologischen Museums sowie weiterer Objekte aus anderen deutschen Museen ist nur ein Schritt auf einem langen Weg zur Verständigung zwischen Nigeria und Deutschland. Doch warum werden nun die Stücke zurückgegeben, die seit mehr als 100 Jahren in Berlin waren?
Die so genannten Benin-Bronzen sind seit vielen Jahren international im Gespräch – sie gelten als Paradebeispiel für prachtvolle Kulturschätze, die in kolonialen Unrechtskontexten aus ihren Herkunftsgesellschaften entwendet und nach Europa und Nordamerika gebracht wurden. Ursprünglich waren die zahlreichen Metallobjekte – allein 512 davon befinden sich heute in der Sammlung des Ethnologischen Museums in Berlin, viele weitere sind in ganzen Welt verstreut – Produkte einer hocheffizienten Handwerkstradition.
Im Königreich Benin, das sich auf dem Gebiet des heutigen Nigeria befand, herrschten bereits seit dem 16. Jahrhundert mächtige Könige, die Oba. Im 16. und 17. Jahrhundert wurden sie reich und mächtig, indem sie benachbarte Städte und Staaten eroberten und selbst zu wichtigen Partnern in den neuen globalen Handelsnetzen wurden, die Asien, Afrika, Europa und Amerika miteinander verbanden. Die Oba förderten die Produktion von Kulturgütern: Die Handwerkergilden Benins fertigten Messingplastiken und Bronzegusse, die den europäischen Kunstwerken der Zeit in nichts nachstanden, diese teilweise übertrafen.
Wirtschaftlich stand Benin bis ins 19. Jahrhundert hinein gut da, doch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden die europäischen Kolonialbestrebungen immer stärker und das Königreich geriet unter Druck. 1892 musste der Oba Ovonramwen dem Druck des britischen Expansionsdrangs nachgeben und einen Freihandelsvertrag unterzeichnen, der ihn faktisch entmachtete. Es folgte ein Ringen um Kontrolle und Unabhängigkeit, und als 1897 eine britische Delegation unerlaubt das Königreich betrat und daraufhin von Benin-Kriegern angegriffen wurde, kam es zur Eskalation. Die Briten nutzen den Angriff als Vorwand und organisierten noch im selben Jahr eine „Strafexpedition“, die Benin City eroberte. Im Zuge der Eroberung der Stadt kam es zu weitreichenden Plünderungen durch britische Soldaten: Die Teilnehmer der sogenannten Strafexpedition raubten aus der königlichen Sammlung viele der Elfenbeinstoßzähne, Skulpturen und prächtigen Objekte aus Koralle, Messing und Elfenbein. Ein Großteil der Objekte wurde anschließend nach Europa gebracht, wo sie vor allem über Londoner Auktionshäuser in die ganze Welt gelangten.
Auch die Berliner Museen kauften in dieser Zeit zahlreiche Objekte an. Bis auf ein kleines, geschnitztes Elfenbein-Salzgefäß, das bereits vor 1897 in die Kunstkammer der Könige von Preußen gelangte, kam die ganze heutige Benin-Sammlung nach der Eroberung des Königreichs nach Berlin. Sammler:innen und Museumsleute wie Justus Brinckmann, der Gründungsdirektor des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe, oder der Arzt und Anthropologe Felix von Luschan begeisterten sich für die Bronzen. Letzterer arbeitete zielstrebig daran, eine große und bedeutende Sammlung für das Königlich Preußische Museum für Völkerkunde zu erwerben. Er trug mehr als 600 Objekte zusammen, von denen jedoch einige im Zweiten Weltkrieg verloren gingen, so dass heute noch 512 Objekte übrig sind.
Ein langer Weg der Annäherung
Bereits eine Woche vor dem Termin im Humboldt Forum, bei dem der Thronhocker des Oba Eresoyen verpackt wurde, hatten die Restauratorin Eva Ritz und ihr Team neun weitere Objekte aus Benin für die Abreise nach Nigeria vorbereitet: Den Schlüssel für die Türen des Königspalastes von Benin, mehrere kunstvolle gearbeiteten Reliefplatten aus dem 16. Jahrhundert, die einen König mit Lanze, einen Portugiesen mit Armbrust oder eine Schlange zeigen, ebenso wie Armschmuck aus Messing, eine durchbrochene Glocke oder mehrere beeindruckende Messingköpfe. Allen gemeinsam ist der Vermerk in der Objektbeschreibung: „Wahrscheinlich geplündert im Zusammenhang mit der britischen Eroberung Benins, 1897“.
Die Rückgabe ist der letzte Schritt auf einem langen Weg der Annäherung. Bereits im April 2021 trafen sich wichtige Vertreter:innen aus Politik und Kultur beider Länder und einigten sich auf eine Erklärung zu den Benin-Bronzen. Die Teilnehmer:innen bekräftigen darin ihre grundsätzliche Bereitschaft zu substantiellen Rückgaben von Benin-Bronzen. Die Vereinbarung enthielt außerdem Bekenntnisse zur Transparenz der deutschen Benin-Sammlungen, es wurden Gespräche mit der nigerianischen Seite über Rückführungen und Kooperationen vereinbart und ein konkreter Fahrplan sollte entwickelt werden.
„Tempo der Gespräche beibehalten“
Am 29.6.2021 beschloss dementsprechend der Stiftungsrat der SPK, dem Präsidenten Hermann Parzinger und den Museen zu erlauben, „im Rahmen der gemeinsamen Verhandlungen der Bundesrepublik Deutschland mit den zuständigen Stellen in Nigeria Verhandlungen über die Rückführung von Objekten aus den Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin zu führen.“ Bereits zu diesem Zeitpunkt war das Ziel klar formuliert: substantielle Rückgaben schon 2022 ermöglichen.
Einen Monat später sagte Hermann Parzinger während eines vom Auswärtigen Amt organisierten Besuches der nigerianischen Partner und Sir David Adjayes, des Architekten des EMOWAA in Benin City: „Dieses Tempo der Gespräche müssen wir jetzt beibehalten, damit im nächsten Jahr in dem dann fertiggestellten ersten Bauteil des EMOWAA, dem sogenannten Pavillon mit speziellen Schaudepots, Ausstellungsbereichen, Studiensälen und Räumen für Begegnung und Austausch, Objekte zu sehen sein können, die sich heute noch in Berlin befinden.“
Es folgte ein Memorandum of Understanding zwischen der Nigerianischen National Commission for Museums and Monuments (NCMM) und der Kulturabteilung des Auswärtigen Amts, und schließlich, im August 2022, unterzeichneten Hermann Parzinger und Abba Isa Tijani, Generaldirektor der NCMM, einen Vertrag über die Eigentumsübertragung aller 512 Benin-Objekte aus der Sammlung des Ethnologischen Museums an Nigeria. Doch das bedeutet nicht das Ende der Objekte in Berlin, wie Parzinger den Gästen im Humboldt Forum während des Verpackens des Thronhockers versichert: „Es ist auch im Sinne unserer nigerianischen Partner, dass weiterhin Objekte aus Benin hier in Berlin gezeigt werden – sie sind sehr stolz darauf, dass ihr Kulturerbe hier gewürdigt wird.“
Kulturelle Brücken
Dass eine Rückführung aller 502 verbleibenden Objekte vermutlich Jahre dauern würde, weiß auch die Restauratorin Eva Ritz, die für das Ethnologische Museum die Vorbereitung der aktuellen Rückgabe betreut hat. „Wir haben bereits im Sommer die ersten Vorschläge für Rückgaben diskutiert und eine Liste mit möglichen Objekten erstellt“, sagt die Restauratorin. Die eigentlichen Entscheidungen, so erklärt sie weiter, seien letztlich zwischen Lars-Christian Koch, dem Direktor des Ethnologischen Museums, und Abba Isa Tijani gefallen.
Bis die insgesamt 20 Objekte aus Deutschland mit der Delegation um Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth nach Benin City reist, hat das Team des Museums noch einiges an Dokumentation und Datensicherung zu tun. „Wir haben im Einvernehmen mit Nigeria begonnen, so viele Daten wie möglich zum gesamten Benin-Konvolut zu erheben“, erklärt Eva Ritz. Neben einer fotogrammatischen Vermessung, die die Erstellung von exakten 3-D-Modellen der Objekte ermöglicht, wurde ein großer Teil der Benin-Objekte in Kooperation mit dem Rathgen-Forschungslabor und dem Fraunhofer Institut untersucht. „Wir haben dort CT-Scans gemacht und Materialproben entnommen, die uns einiges über Metallguss und Fertigungstechnik sowie die verwendeten Legierungen verraten kann“, so die Restauratorin. Die gewonnenen Erkenntnisse dürften in Zukunft auch in gemeinsamen Forschungsprojekten mit den nigerianischen Partner:innen einfließen. Und so fällt der Abschied von Oba Eresoyens Thron und den anderen Objekten leichter – sie kehren zurück nach Hause, hinterlassen dabei aber feste Brücken zwischen den Kulturen.
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