Ein Verlust für das Ethnologische Museum. Nachruf auf den Künstler Feliciano Pimentel Lana Sibé
Lesezeit 5 Minuten
Brasilien bricht täglich neue traurige Rekorde mit der Zahl
an Todesfällen durch COVID-19. Vieles deutet darauf hin, dass COVID-19
nun auch die Ursache für den plötzlichen Tod des Desana-Künstlers
Feliciano Pimentel Lana ist, von dem das Ethnologische Museum 2019 Teile
einer Sammlung von Aquarellen zum Ursprung und der Geschichte der
Weißen am Oberen Rio Negro, seiner Heimatregion, erworben hatte.
Text: Thiago da Costa Oliveira, Andrea Scholz
Brasilien
bricht täglich neue traurige Rekorde mit der Zahl an Todesfällen durch
COVID-19. Besorgniserregend ist insbesondere die Lage der indigenen
Gruppen im Amazonasgebiet, wo die Pandemie düstere Erinnerungen
hervorruft. Nach der sogenannten Entdeckung Amerikas fielen Schätzungen
zufolge 80% der Bevölkerung in den ersten 50 Jahren unbekannten
Krankheiten zum Opfer. Alle Zeichen deuten darauf, dass COVID-19 nun
auch die Ursache für den plötzlichen Tod des Desana-Künstlers Feliciano
Pimentel Lana ist, der dem Ethnologischen Museum erst 2019 den ersten
Teil einer Sammlung von Aquarellen zum Ursprung und der Geschichte der
Weißen am Oberen Rio Negro, seiner Heimatregion, verkauft hatte. Der
zweite Teil der Sammlung liegt noch in Brasilien und wird nun post
mortem erworben werden müssen.
Der Künstler, dessen traditioneller
Name Sibé lautete, verstarb am 12. Mai 2020 in der indigenen
Gemeinschaft São Francisco am Oberen Rio Negro, nachdem er kurz zuvor
seinen Wohnort São Gabriel da Cachoeira mit Symptomen von COVID-19
verlassen hatte. Lana wurde 83 Jahre alt.
Geboren wurde er 1937 in
São João Batista am Fluss Tiquié, den der deutsche Ethnologe und
Sammler Theodor Koch-Grünberg auf seiner Expedition zum Oberen Rio Negro
im Jahr 1904 bereist hatte. Lanas Vater war Desana, seine Mutter
gehörte, wie in der Region üblich, zu einer anderen Sprachgruppe, den
Tukano. Lana teilte das grausame Schicksal vieler anderer indigener
Kinder seiner Generation: Bereits im Alter von vier Jahren, 1941, wurde
er in ein Internat der Salesianer gebracht, um fernab seiner
Gemeinschaft im Sinne der Weißen erzogen zu werden. Durch das
Zusammenleben mit den Geistlichen lernte er nicht nur Portugiesisch,
Lesen und Schreiben. Die Zeit im Internat markierte zugleich den Anfang
von Lanas Beziehungen zur nicht-indigenen Welt, die für einen Großteil
seines weiteren Lebens prägend waren. Nach seinem Schulabschluss
verdingte sich Lana als Maurergehilfe, Traktorfahrer, Telegrafist,
Ziegler und sogar als Minenarbeiter.
Feliciano Lana erklärt seinen Bilderzyklus zur Geschichte der Weißen. Filmstill von Thiago da Costa Oliveira (2019)
Im
Jahr 1965 wurde er vom litauischen Pater Casimiro Bécksta zur
Zusammenarbeit eingeladen, denn der Geistliche war daran interessiert,
die indigene Kultur der Region aufzuzeichnen. Eigentlich sollte Lana
fotografieren und Audioaufnahmen erstellen, entschied sich dann aber
dazu, sein Wissen in gemalten Bildern festzuhalten und dem Pater auf
diese Weise zu erklären, was er von den Ältesten seines Volkes gelernt
hatte. Nach und nach entwickelte er sich zum Experten darin, die
Traditionen und das mythische Universum der Region sichtbar zu machen.
Er arbeitete mit der Technik des Aquarells, reich an Farben und Details,
spielte mit Perspektiven, Dimensionen und einem Spiel an Licht und
Schatten, die seinen Werken einen spezifischen Charakter verliehen.
Der
unter Lanas Clan zusammengetragene Reichtum an Material bildete die
Grundlage für eines der ersten Bücher indigener Autoren in der Region,
„Antes o Mundo não Existia“ (erschienen 1980, neu aufgelegt 2015 und
2019). Das Buch wurde von Berta Ribeiro, damals Anthropologin am Museu
Nacional Rio de Janeiro, organisiert, und machte Lana über die Region
des Oberen Rio Negro hinaus bekannt. Das Weltkulturenmuseum Frankfurt
(damals Museum für Völkerkunde) ließ Teile des Buchs 1988 unter dem
Titel „Der Anfang vor dem Anfang“ übersetzen. Die Bilder, ursprünglich
ein Mittel, durch das Lana in der Zusammenarbeit mit den Ältesten seine
eigene Kultur besser kennenlernte, wurden mehr und mehr zum Medium des
Dialogs mit der Welt. Die Kunst Lanas wurde in verschiedenen
Einzelausstellungen in Brasilien gezeigt und von Museen in Europa
angekauft, darunter vom bereits genannten Weltkulturenmuseum Frankfurt,
vom British Museum und zuletzt auch vom Ethnologischen Museum der
Staatlichen Museen zu Berlin.
Strafen unter Manduca an der Spitze des SPI, 2019. Ethnologisches Museum/ SMB, Identnr. V B 20061
Im
Jahr 2019 begann Lana mit der Produktion einer großen Sammlung für das
Ethnologische Museum Berlin, im Kontext der Zusammenarbeit mit dem
Instituto Socioambiental und dem Humboldt Forum im Projekt “Geteiltes
Wissen”. In einem mehr als 70 Einzelwerke umfassenden Bilderzyklus
beschäftigte sich Lana mit den Beziehungen zwischen Indigenen und Weißen
in der Region, ein Thema, das wohl kaum jemand intensiver erfahren
hatte als er. Lana war überaus schnell und effektiv in der Herstellung
seiner Bilder. Der Zyklus umfasst den mythischen Ursprung der
nicht-Indigenen, die Präsenz von Missionar*innen, Soldaten,
Minenarbeitern, Händlern, Wissenschaftler*innen und Sammlern am Oberen
Rio Negro, Lanas persönliches Leben mischt sich darin mit der Geschichte
der Region.
Während unseres Aufenthalts in São Gabriel da
Cachoeira im Juni 2019 ließen wir uns jedes einzelne der bereits
fertigen Bilder von Lana erklären und filmten ihn dabei. Der zweite Teil
dieser Videodokumentation sollte jetzt, im Mai 2020 stattfinden,
nachdem Lana uns im Februar 2020 informiert hatte, dass er den
Bilderzyklus abgeschlossen hatte. Mit COVID-19 hatte niemand gerechnet.
São
Gabriel da Cachoeira, die kleine Stadt am Oberen Rio Negro, in der Lana
seit 1990 lebte, ist zur Zeit einer der hauptsächlichen Schauplätze der
unfassbaren Tragödie, die fast das gesamte Amazonasgebiet umfasst. Mit
Sorge verfolgen wir die Ereignisse aus der Ferne und nehmen Abschied von
einem besonderen Künstler, großen Lehrer und Freund, in tiefer Trauer
und Solidarität mit seiner Familie und seinen Freunden, Wir sind dankbar
für alles, was wir von Feliciano Pimentel Lana – Sibé lernen durften.
Flussszene in der Internatszeit: Feliciano Lana und andere baden unter der Aufsicht des Salesianerpaters, 2019. Ethnologisches Museum/ SMB, Identnr. V B 20068
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