Spiritualität und Macht: Kooperationsprojekt zur Amazonas-Region in Dahlem
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Im Projekt „Geteiltes Wissen“ untersuchen Forscher aus Dahlem und aus der Amazonas-Region gemeinsam die Herkunft und die Bedeutung von Objekten, die bisher im Depot des Ethnologischen Museums lagen.
Text: Karolin Korthase
Vorsichtig hebt die Ethnologin Andrea Scholz eine Flöte in die Höhe und zeigt sie ihren Projektpartnern aus der Amazonas-Region. Auf den ersten Blick wirkt das Instrument unscheinbar; für das indigene Volk der Ye’kwana, die im tropischen Regenwald im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien leben, hat es allerdings eine große Bedeutung. Die Flöte wird bei Hauseinweihungsfesten gespielt und auch bei der Jagd. Ursprünglich ist sie Teil eines Paars, erzählt Julio Magalhaes, der aus Brasilien stammt und für das Symposium „Geteiltes Wissen“ nach Berlin gereist ist. Die zweite Flöte, die zum Paar gehört, sei im Depot des Ethnologischen Museums, in dem bis zu 500.000 Objekte lagern, bislang unauffindbar, fügt Andrea Scholz zu.
Während sich die Forscher*innen auf Portugiesisch unterhalten, werden Notizen gemacht, die später in einer multilingualen Online-Datenbank eingetragen werden müssen. Aus welcher Region, aus welchem Territorium stammen die Objekte? Sind sie vollständig? Welche Bedeutung haben sie? Wie müssen sie, auch unter Berücksichtigung ritueller Gepflogenheiten, am besten aufbewahrt, wie präsentiert werden? Es sind viele Fragen, die während des zweiwöchigen Workshops aufkommen. Nicht alle lassen sich auf Anhieb beantworten, aber bei vielen gibt es dennoch Klärung. Und es ist wertvolles Wissen, das hier gesammelt wird, auch im Hinblick auf die Ausstellung „Die Welt als Rundhaus – Vom Ursprung und Leben der Dinge in Amazonien“, die künftig im Humboldt Forum gezeigt werden wird.
Es geht um den Umgang mit rituellen Objekten „Geteiltes Wissen“ ist die Fortführung des Pilotprojektes „Wissen teilen“, das zwischen 2014 und 2015 im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem stattfand. Als die Projektmittel ausliefen, beantragte Andrea Scholz eine Folgefinanzierung und bekam diese auch. Bis 2020 fördern die Volkswagen Stiftung und die Kulturstiftung des Bundes das Projekt, in dem insgesamt etwa 3.000 Objekte zuzüglich Fotografien, Musikaufnahmen und Filmen von einem internationalen Team untersucht werden.
„Ein wichtiges Ziel ist es, herauszufinden, wo wir Probleme bei der Aufbewahrung haben“, erklärt Andrea Scholz. „Dabei geht es aber nicht nur um die konservatorischen Aspekte, sondern auch um den Umgang mit rituellen Objekten.“ Die Wissenschaftlerin schildert das Beispiel einer Tasche, in der sich Steine befinden. Während des zweiten von zwei Workshops mit zehnköpfigen Delegationen aus Venezuela, Kolumbien und Brasilien erfuhren die deutschen Wissenschaftlerinnen, dass es sich bei der Tasche um ein wichtiges sakrales Objekt handelt, das nur von einem Schamanen angefasst werden dürfe. Eine schwierige Situation, die nun gelöst werden kann, wie Scholz erklärt: „Unsere Projektpartner haben ein Ritual vorgeschlagen, bei dem die Objekte in einen Kasten gelegt werden, der mit einer Notiz bzw. einer Warnung versehen wird. Auf dieser steht, dass sie nicht einfach angefasst werden dürfen.“
Eine starke Erfahrung Ein Großteil der Objekte, die im Rahmen von „Geteiltes Wissen“ untersucht werden, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von dem Anthropologen und Forschungsreisenden Theodor Koch-Grünberg auf seinen Reisen im Gebiet des oberen Rio Negro und in der Grenzregion zwischen Brasilien und Venezuela gesammelt. Elton Barroso Tenente, der zur Gruppe der Taurepang gehört und aus Brasilien stammt, sagt dazu: „Ich glaube, dass Koch-Grünberg ein Freund unserer Leute war, da viele der Objekte, die hier sind, normalerweise nicht einfach so verschenkt werden. Traditionell werden sie nur vom Vater an den Sohn weitergegeben.“ Dass Alltags- und auch rituelle Gegenstände, die vor 100 Jahren von seinem Volk erschaffen und genutzt wurden, in einem Museum in Berlin liegen, ruft bei Elton Barroso Tenente trotzdem zwiespältige Gefühle hervor: „Als ich zum ersten Mal hier (ins Depot des Ethnologischen Museums, Anm. d. Red.) herein kam, war das eine starke Erfahrung. Ich hatte das Gefühl, als würden hier Botschaften meines Volkes liegen, die ursprünglich an einem anderen Ort gelassen wurden. Inzwischen bin ich darüber hinweg. Es ist meine Aufgabe, die Sachen anzuschauen und zu registrieren und bei meiner Rückkehr davon zu erzählen. Ich kann mich ja nicht hier hinstellen und die ganze Zeit weinen und darüber nachdenken. Jede Sekunde muss ausgenutzt werden, schließlich gibt es so viel Arbeit“.
Balbina Lambos, die zur Gruppe der Arekuna gehört und aus Gran Sabana in Venezuela stammt, beschäftigt sich während ihres Forschungsaufenthalts in Berlin zusammen mit zwei Musikethnologen mit einer umfangreichen Flötensammlung. Sie erzählt: „Die Objekte haben einen starken Bezug zur Natur und stammen aus einer Zeit, die lange zurückliegt. Sie erzählen davon, wie die Menschen damals die Natur wertschätzten und sie versuchten zu schützen. Die Flöten hier wurden alle aus Naturmaterialien, wie zum Beispiel Bambus gefertigt. Die Menschen besangen mit ihnen die Liebe, die Sonne, den Regen, die Pflanzen.“ Um die Macht der Flötenklänge in der künftigen Ausstellung im Humboldt Forum für die Besucher erfahrbar zu machen, sind Hörstationen geplant, in denen unterschiedliche Klänge der Instrumente erfahrbar sind. Für die Aufnahmen werden dann allerdings nicht die Ursprungsinstrumente aus dem Besitz des Ethnologischen Museums verwendet – sie sind, auch aufgrund von Behandlung mit Chemikalien, unspielbar – sondern vergleichbare Flötentypen.
Dass das Projekt „Geteiltes Wissen“ einen großen Wert für die Forschungsarbeit im Depot des Ethnologischen Museums, aber auch für die künftige Ausstellungspräsentation im Humboldt Forum hat, ist offensichtlich. Aber welchen Mehrwert und auch welche Bedeutung hat das Projekt für die Partner aus der Amazonas-Region? Andrea Scholz sagt hierzu: „Unsere Projektpartner betonen immer wieder, dass die Objekte, die hier im Depot liegen, sehr alt sind und dass sie ganz viel Spiritualität und Macht haben. Ihnen ist wichtig, dass wir in Beziehung treten und dass wir uns auch in ihren Regionen einbringen. Das wird in der Museumsarbeit hierzulande, in der es nur um die Anhäufung des eigenen Wissens geht, oft vergessen. Für die Leute dort ist es wichtig, dass wir den Austausch fördern, zum Beispiel in Form von Community-Museen, dass wir Objekte aus unseren Sammlungen auch mal dort ausstellen oder zumindest Bilder von ihnen zirkulieren lassen.“
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