Die Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin Ifunanya Madufor arbeitete im Rahmen des Projekts „The Collaborative Museum“ mehrere Monate als Fellow am Ethnologischen Museum. Während sie dort Artefakte der nigerianischen Igbo erforschte, erkundete sie auch das winterliche Berlin aus einer Perspektive, die stark von der Spritualität der Igbo geprägt war.
Der graue Himmel, der sich über Berlin spannt, ist ohne Worte und sagt doch so viel aus. Überdeckt von Jahrhunderten der Liebe und des Krieges, ist die Stadt zusammengewachsen, Stück für Stück, wie eine fantastische Aufführung. Es gibt Gefühle, für die man nicht genug Worte hat, die Kraft des Lebens, die einen hier umgibt, ist eines davon. In der Luft liegt eine seltsame Mischung aus Kirsche und Salzwasser – ein unverwechselbares Aroma, das mir wie ein treuer Begleiter durch die Stadt folgt. Mein Atelier als Fellow des Ethnologischen Museums befindet sich im Künstlerhaus Bethanien, das sich in eine lange Reihe ähnlicher Architekturen und künstlerischer Ausdrucksformen im Herzen Kreuzbergs einreiht und zugleich als Zufluchtsort und Bühne dient. Von hier aus werde ich zu meinem Arbeitsplatz pendeln: Manchmal in das lebhafte Humboldt Forum bei der Museumsinsel, das Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst beherbergt, und in dem sich Kulturen begegnen und Geschichten offenbaren; und meistens in den ruhigen und fast menschenleeren Stadtteil Dahlem, wo sich die Einrichtungen und Büros des Ethnologischen Museums befinden. Ich bin nicht zum ersten Mal in Berlin, und obwohl mich die klirrende Kälte (ein krasser Gegensatz zur Wärme in Nigeria) eher verunsichert, tue ich so, als würde ich diese Stadt kennen, und als würde die Stadt auch mich kennen. In Kreuzberg gibt es eine eklektische Mischung aus Ideen, Kulturen und Küchen. Ich stelle mir diese Mischung wie ein Portal zu verschiedenen Ecken der Welt vor.
Die ersten Wochen waren ein Wirbelwind aus Entdeckungen und Anpassungen; ich lernte, mich in die Abdrücke des Winters hineinzuschmiegen, traf die Museumsleiter und begann mein Engagement an der Freien Universität Berlin. Während ich hier einen Überblick über meine Forschungen zu den spirituellen Symbolen des Igbo-Volkes gab, lernte ich, dass das wahrhaftige Erzählen Vorrang hat, wenn man sich mit der Geschichte und dem kulturellen Erbe befasst, insbesondere in Kontexten, in denen Begriffe und Konzepte unbekannt sind und missverstanden werden können. Ich hatte es stillschweigend hingenommen, dass diese Artefakte als bloße „Objekte“ bezeichnet wurden, und ein Teil von mir widmete sich einem stillen Protest. „Es schmälert ihre tiefe Bedeutung und ihren zentralen Sinn, wenn man sie als Objekt bezeichnet“, sprach ich. „Wenn man sie vielmehr als Symbole bezeichnet, erkennt man nicht nur ihre Rolle als Ausdruck kultureller Realitäten an, sondern vermittelt auch ein tiefes Verständnis für den kosmologischen Rahmen eines Volkes.“ Das war präzise, und für den Rest meiner Tage würde ich bewusst versuchen, diese Worte in Gesprächen mit Menschen zu verwenden.
Ich möchte hier hinzufügen, dass inmitten dieses akademischen Engagements ein Moment der Verletzlichkeit lag. Während ich fröhlich zum Bahnhof spazierte, nahmen meine Füße auf den vereisten Straßen vorsichtig Maß, während ich vielleicht die erforderliche Gangart für die Navigation auf den mit Schnee bedeckten Wegen ignorierte. Zweimal stolperte ich und verstauchte mir einen oder zwei Muskeln, aber jedes Mal war es eine Lektion in Sachen Widerstandsfähigkeit, die man braucht, um in einem ungewohnten Terrain zu bestehen.
In den darauffolgenden Wochen habe ich diese Symbole, die alle aus dem Land der Igbo, dem Land meiner Vorfahren und meinem Geburtsort, stammen, in aller Ruhe genauer untersucht. In den Fußstapfen meiner Vorfahren, die sich unermüdlich für die Wiederherstellung unseres indigenen Wissens eingesetzt hatten – Achebe, Nwoga, Acahlonu, Egonu -, sprach ich Dankesworte und Gebete. Während meines Praktikums am Institut für Afrikastudien der Universität von Nigeria in Nsukka vor einigen Jahren wurde meine Suche nach der Wahrheit geboren. Hier tauchte ich in ein neues Bewusstsein ein, eine neue Art des Seins, die von einer unvoreingenommenen und vertrauten Weltsicht ausging. Es war wie eine Wiedergeburt von Bekanntem, das in Vergessenheit geraten war; das Erinnern und anschließende Eintauchen, das schließlich zu meiner Epiphanie wurde. Schon bald war ich wie neu geboren, lernte bewusst um und lernte neu, machte diese kleinen Schritte des Mutes. Meine erste bewusste Untersuchung betraf das Wissen um das Selbst – die bedeutsame Überprüfung der eigenen Herkunft, wo das individuelle Leben in seiner Gesamtheit beginnt. Und wo fängt das an?
Ich erinnere mich, dass ich gleich nach der High School Chinua Achebes „Chi in Igbo Cosmology“ in der von dem verstorbenen Emmanuel Chukwudi Eze zusammengestellten Anthologie „African Philosophy: An Anthology“ las und den Drang verspürte, mich einer Sache zu verschreiben. Dieses Etwas hatte noch keinen Namen, aber es weckte meine Neugierde auf ungewohnte Weise und so begann ich, Fragen zu stellen. Es waren diese Fragen, die mich auf meinen jetzigen Weg brachten. Das Depot des Ethnologischen Museums in Dahlem eröffnete einen Weg, um die Antworten zu finden – die Spiritualität der Igbo oder das, was die Igbo mit Recht Odinani nennen würden: „Es ist im Land.“
In ihren zahlreichen Lebensaktivitäten werden die Igbo von der Spiritualität ihres kulturellen Erbes geleitet. Alles, was sie tun, ist eng mit den Philosophien verbunden, die ihre traditionsgeprägte Wahrnehmung der Realität formen. Das Wesen der Igbo-Spiritualität besteht in einer grundlegenden Anerkennung aller Teile der Schöpfung. Die göttliche Essenz trennt ein Fragment von sich selbst ab und fügt es in alles ein, was sie erschafft. Daher ist es die Realität des Igbo-Volkes, dass alles Geschaffene mit Leben erfüllt ist, ganz gleich ob es Tiere, Bäume, Hügel, Flüsse oder Berge sind. Daher dient die Untersuchung der spirituellen Symbole der Igbo als greifbare Manifestation dieses kosmologischen Paradigmas. Bei der Untersuchung dieser Symbole, die in erster Linie persönliche Gottheiten, Gemeinschaftsgottheiten und Ahnenmasken umfassen, handelt es sich nicht nur um statische Darstellungen; vielmehr dienen sie als Kanäle, durch die das Wesen des Göttlichen tief erfahren wird. Jedes Symbol wird somit zu einem Mikrokosmos der umfassenderen Weltanschauung der Igbo. Mein Studium der spirituellen Symbole der Igbo im Ethnologischen Museum geht über eine rein akademische Untersuchung hinaus. Es ist vielmehr ein Tor zu einem tieferen Verständnis des Lebens und der Ausdrucksformen der alten Igbo geworden, mit einer Klarheit zum Verständnis ihrer ungeschriebenen Geschichte. Mit jeder dieser Offenbarungen wird es einfacher, über das Wissen des Selbst zu sprechen; die Geschichten der Vorfahren, der Ungeborenen, der Geister – die vollständige Geschichte unserer Herkunft, wie sie sein sollte.
Beim offenen Gespräch „Späti“ im Humboldt Forum diskutierte ich in ruhiger Atmosphäre mit ganz unterschiedlichen Menschen über die Verwirklichung unserer Spiritualität und wie die Symbole diesen Weg eröffnen können. Ich spürte, wie die Stimmen meiner Vorfahren durch mich sprachen und vertiefte mich in die Philosophie des Gleichgewichts der Igbo. Aus dieser Philosophie stammt ein beliebtes Sprichwort der Igbo: „ife kwudo, ife ozo akwude be ya“ – nichts steht für sich allein, denn es gibt immer ein unsichtbares Gegenstück zu allem, was Leben hat. Ich ließ die Zuhörer wissen, dass man, um die Geschichte und die kulturelle Ausprägung eines Volkes zu verstehen, zunächst seine geistige Ausrichtung kennen muss.
Während sich mein Besuch im Ethnologischen Museum dem Ende zuneigt, genieße ich ein Stück Pommes frites mit Mayonnaise und Ketchup, dazu Würstchen – ein Berliner Street Food, das ich gerade erst kennengelernt habe. Doch inmitten dieses sinnlichen Genusses kann ich nur an zu Hause denken, an den tiefsten Abdruck in meiner Seele, wohin ich bald zurückkehren werde. Ich kann mir nur vorstellen, wie viel von unserer Vergangenheit mit unserer Gegenwart verwoben ist. Es wurden Lügen erzählt, unsere Geschichte wurde in Halbwahrheiten oder Falschaussagen geschrieben. Es liegt nun an uns, selbst zu entscheiden, wie lange wir an diesen Erzählungen festhalten wollen. Solange wir in den Fußspuren unserer Vorfahren wandeln, die große Weise und Philosophen waren, können wir uns auch dafür entscheiden, die falschen Erzählungen niederzubrennen und neue zu erschaffen – diesmal auf dem Fundament der Wahrheit.
CoMuse – The Collaborative Museum ist eine Initiative des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die darauf abzielt, multiperspektivische Ansätze zur sammlungsbasierten Forschung zu entwickeln und neue Formate internationaler kollaborativer Prozesse zu erproben, um die Dekolonisierung und Diversifizierung der Museumspraxis nachhaltig zu intensivieren.
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