Restaurierung:

Hans Holbein und das Geheimnis des Kaufmanns Georg Gisze

Für die Ausstellung „Holbein in Berlin“ gastiert das berühmteste der Berliner Porträts von Hans Holbein dem Jüngeren im Bode-Museum. Die Ausleihe bot Gelegenheit, das Werk eingehend zu untersuchen – Museumsassistentin Christine Seidel berichtet spannende Einzelheiten.

Für eine neue Ausstellung hat das berühmteste der Berliner Porträts von Hans Holbein dem Jüngeren seinen angestammten Platz in der Gemäldegalerie zeitweise verlassen: Das eindrucksvolle Bildnis des Danziger Kaufmanns Georg Gisze in seinem Kontor im Londoner Stalhof ist seit dem 21. Januar in der Ausstellung „Holbein in Berlin. Die Madonna der Sammlung Würth mit Meisterwerken der Staatlichen Museen zu Berlin“ im Bode-Museum zu sehen. Der temporäre Umzug bot eine einmalige Gelegenheit, das berühmte Werk des Renaissance-Meisters einmal genau zu untersuchen und seiner Entstehung einen Schritt näher zu kommen.

Hans Holbein d. J., Der Kaufmann Georg Gisze, 1532, Gemäldegalerie © Jörg P. Anders
Hans Holbein d. J., Der Kaufmann Georg Gisze, 1532, Gemäldegalerie © Jörg P. Anders

In einem holzvertäfelten Innenraum sitzt der Kaufmann und blickt den Betrachter an. Auf dem mit einem kostbaren anatolischen Teppich bedeckten Tisch vor ihm sind verschiedene Gegenstände ausgebreitet, die ihn als Mann von Welt und mit gutem Geschmack auszeichnen sollen. An den Wänden hängen Geschäftsbriefe und Siegel, auf den Regalen liegen vereinzelte Bücher. Die stilllebenhaften Elemente in Giszes dicht angefülltem Büro werden häufig symbolisch verstanden: so sollen die vergoldete Dosenuhr und die feine Glasvase auf dem Tisch an die Vergänglichkeit von Zeit und Schönheit erinnern.

Hin und wieder wurde die Fülle an Objekten auch negativ interpretiert: in der Raumecke wirke der Porträtierte hinter der Vase eingezwängt, Unwohlsein spräche aus seinem Blick und bestätige sich auch in seinem persönlichen Motto, das Holbein in weißen Lettern links auf die grün vertäfelte Wand des Kontors geschrieben hat: „Ohne Leid kein‘ Freud“ („Nulla sine merore voluptas“). Stephan Kemperdick, Kurator an der Berliner Gemäldegalerie, ist dieser Frage anlässlich der Ausstellungsvorbereitung noch einmal nachgegangen: Hat sich Georg Gisze tatsächlich in einer misslichen Lage porträtieren lassen? Und wenn ja, für wen soll ein solches Bildnis des Kaufmanns gedacht gewesen sein? So ist die Fokusausstellung im Bode-Museum um die Madonna der geeignete Anlass, dieses weitere Hauptwerk Holbeins einmal genauer anzuschauen.

Röntgenstrahlen offenbaren Verborgenes
Eine Technik, die auch bei der Untersuchung von Kunstwerken im Museum Einsatz findet, bringt uns einen Schritt näher: Ein altes Röntgenbild, das einigen Experten bereits bekannt war und in der älteren Holbein-Literatur durchaus berücksichtig wurde, liefert einen wichtigen Hinweis auf die Entstehung des Bildes. Für die Ausstellung wurde eine neue, besser lesbare Aufnahme angefertigt. Röntgenaufnahmen, die auch in der Gemäldegalerie zu den zentralen Techniken der restauratorischen und gemäldekundlichen Untersuchung gehören, bilden nicht die verwendeten Farben ab, sondern Elemente wie Malmaterialien und Bildträger, aus denen das Bild zusammengesetzt ist. Röntgenstrahlen werden von schweren Elementen wie Metallen absorbiert – im Röntgenbild erscheinen diese daher hell. So lässt sich zum Beispiel die Verteilung des hochgiftigen Bleiweiß, das bis zum Aufkommen industriell gefertigter Farben im späten 19. Jahrhundert vielseitig verwendet wurde, auf Röntgenaufnahmen sehr gut erkennen. Auf diese Weise kommen Restauratoren Veränderungen am Bild auf die Spur, die mit bloßem Auge gar nicht oder nur schwer zu erkennen sind.

Radiografie des Kaufmanns Georg Gisze, Gemäldegalerie © SMB, Christoph Schmidt
Radiografie des Kaufmanns Georg Gisze, Gemäldegalerie © SMB, Christoph Schmidt

So auch in dem berühmten Porträt des Georg Gisze: Die Radiografie zeigt deutlich, dass die Raumecke, die heute an der rechten Seite des Bildes zu sehen ist, ursprünglich auf der gegenüberliegenden Seite angelegt war. Der schräg in die Tiefe fluchtende Regalboden und die tragende Konsole sind nicht nur einmal, sondern zweimal in Farbe ausgeführt worden, bevor Holbein sich dazu entschied, die Raumecke auf der anderen Bildseite anzulegen – der ursprünglich bildparallel verlaufende, verzierte Holzbalken ist heute noch in Ansätzen über dem Kopf des Kaufmannes erkennbar. Die Position des Buches, dessen heller Schnitt sich deutlich in der Röntgenaufnahme abzeichnet, blieb hingegen gleich.

Detail , linke obere Ecke
Detail, linke obere Ecke
Detail aus der Radiografie, linke obere Ecke
Detail aus der Radiografie, linke obere Ecke

Und noch etwas hat Holbein verändert. Ursprünglich war Gisze frontal dargestellt, im Laufe der Arbeit hat der Maler den Kopf dann ins Dreiviertelprofil gedreht und auch den Blick modifiziert. Das rechte Auge und die Kopfbedeckung der ersten Fassung zeichnen sich klar auf dem Röntgenbild ab, im heutigen Zustand sind sie unter dem schwarzen Barett und den lockigen Haaren verschwunden.

Detail, Gesicht
Detail, Gesicht
Detail aus der Radiografie, Gesicht
Detail aus der Radiografie, Gesicht

Diese umfangreichen Veränderungen während des Malens haben sicherlich auch dazu beigetragen, dass die Raumsituation an einigen Stellen nicht ganz geklärt ist: So laufen die schmalen Holzleisten, hinter die die Briefe gesteckt sind, bildparallel über die rechte Raumecke – offenbar hat Holbein sie einfach aus der ersten Bildanlage übernommen und nicht an die endgültige Raumsituation angepasst. Der Kaufmann selbst wirkt mit seiner Drehung nach links viel stärker in die Ecke gedrängt, als es wohl in der ersten Fassung gedacht war.

Paradestück mit Korrekturen
Bei Holbeins Porträts findet man so große Umarbeitungen selten, denn für sie hat er häufig sehr genaue Zeichnungen in farbigen Kreiden angefertigt, die als Vorlage für die gemalten Bildnisse dienten. Von kaum einem Künstler dieser Zeit haben sich mehr Bildniszeichnungen erhalten, an denen auch Spuren der mechanischen Übertragung sichtbar sind. Ein Großteil dieser Zeichnungen befindet sich zwar in der Royal Collection in Windsor Castle, in der Ausstellung können wir aber auch ein solches Blatt von Hans Holbein dem Jüngeren zeigen, das aus dem Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts stammt.

Den Kaufmann Gisze hat Holbein als Paradestück entworfen, um die neuen Auftraggeber in England von seinen künstlerischen Qualitäten zu überzeugen. Die Entstehungsgeschichte des wohl ersten Stalhof-Bildnisses, mit dem Holbein seinen Aufstieg in England begann, birgt sicher noch viele Überraschungen. Es bleibt zu hoffen, dass weiterführende gemäldekundliche und kunsttechnologische Untersuchungen sie dem Meisterwerk entlocken können.

Die Sonderausstellung „Holbein in Berlin. Die Madonna der Sammlung Würth mit Meisterwerken der Staatlichen Museen zu Berlin“ ist vom 21. Januar bis 08. Mai 2016 im Bode-Museum zu sehen. Auf dem begleitenden Ausstellungskatalog basieren die hier veröffentlichten Ergebnisse.

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