Industrie und Geschmack – Ein Kunstgewerbemuseum für Berlin
Vor 150 Jahren war Schluss: Victoria von Großbritannien und Irland, Kronprinzessin am preußischen Hof, hatte genug von den gestalterischen Wildwüchsen der jungen deutschen Industrie. Es entstand die erste deutsche Geschmacksbildunganstalt: Das Berliner Kunstgewerbemuseum.
Text von Sabine Thümmler
Kronprinzessin Victoria war unzufrieden. Die Sanitäranlagen der preußischen Schlösser hinkten weit hinter dem gewohnten Standard in Großbritannien her. Auch die Möblierung war alles andere als modern, insgesamt ließ die Ausstattung zu wünschen übrig – es war Zeit, dass sich etwas änderte.

Zeit der rasanten Entwicklungen
Inspiriert von dem technologischen Fortschritt in ihrer englischen Heimat beauftragte Victoria den Statistiker Hermann Schwabe, eine Studie über „Die Förderung der Kunst-Industrie in England und den Stand dieser Frage in Deutschland“ anzufertigen.
Die Weltstadt London hatte bereits 1851 in der ersten großen Weltausstellung ihren Reichtum und ihr Know-How zur Schau gestellt, 1863 wurde die erste U-Bahn der Welt in Betrieb genommen und die industriellen Produktionsmöglichkeiten waren bereits seit der Mitte des vorherigen Jahrhunderts stetig verbessert worden.
Während all dieser rasanten Entwicklungen herrschte auch ein Ringen um die gestalterische Deutungshoheit, das lange Zeit von Frankreich mit seiner langen Kunst-Tradition angeführt wurde. Die anderen Nationen, allen voran England, wollten aufschließen und so wurde Victorias Auftrag an Hermann Schwabe, „das Bedürfniss einer Kunst-Industrie-Schule für Berlin zu erörtern“ zur Initialzündung für die Gründung des Berliner Kunstgewerbemuseums im Jahre 1867.

Kunstgewerbemuseum in der Prinz-
Albrecht-Straße (heute
Niederkirchner-Straße 7) in Berlin; Lithographie von Martin Gropius, 1881
„Höchst gefährliche Erscheinung“
Doch der Reihe nach. Im 19. Jahrhundert war das Handwerk allerorts durch die schier unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Technologien und Materialien in eine dauerhafte Krise geraten. Der Streit um das Kunsthandwerk wurde hitzig geführt, denn es traten Dekorationen und Formen zutage, die durch die neuen Herstellungsweisen sinnentleert, verformt, bisweilen eine Karikatur ihrer selbst wurden. Auf der bereits erwähnten Londoner Weltausstellung von 1851 fand man antik dekorierte Dampfmaschinen, geschnitzte Steinböcke, die an einer Standuhr emporkletterten oder etwa Webteppiche mit im Dschungel schleichenden Tigern.
Die Zeitgenossen verzweifelten an der geschmacklosen Gestaltung vieler Erzeugnisse. Der schnelle Wechsel in der Historisierung vergangener Stilepochen wurde mit der rasenden, Raum und Zeit verschlingenden Geschwindigkeit einer Eisenbahnfahrt verglichen.
Zu den Produkten, die 1873 auf der Wiener Weltausstellung gezeigt wurden, schrieb ein Kritiker: „Zu dieser absoluten künstlerischen Begriffsverwirrung gesellte sich nun als Folge eine andere höchst gefährliche Erscheinung. Da solche Gegenstände in sich keinen künstlerischen Werth mehr hatten, so mussten sie einen anderen Reiz suchen, und so trat an die Stelle der Schönheit der Reiz der Neuheit und der Mode. Das Gewerbe konnte dem kaufenden Publicum nichts Gefälliges mehr bieten und musste daher mit jeder Saison gerade wie die Mode wechseln, Neues vorführen. Das schien eine Weile zu gehen, aber binnen wenigen Jahren zeigte sich die abgequälte Phantasie vollkommen witzlos und leer und selbst die Dummheiten gingen aus und wurden langweilig.“
Schulen für „richtiges“ Gestalten
Die Gestaltung der industriellen Erzeugnisse wurde neben deren Funktionalität zum wichtigen Kriterium. Zwar war England technologisch führend, es erlitt aber Umsatzeinbußen, da es mit Frankreich in der Gestaltung der Produkte nicht konkurrieren konnte. Frankreich war seit jeher tonangebend in Fragen des kunstindustriellen Designs und der Moden. Ein Grund waren – und dies erkannten auch die Zeitgenossen – die fachbezogenen Zeichenschulen, wie etwa die 1767 gegründeten Ecole Graduite de Dessin in Paris.
Auch in England und Deutschland wurden Schulen ins Leben gerufen, jedoch fehlte noch die notwendige Entschlossenheit: Der Unterricht war meist sporadisch und es fehlten die professionellen Lehrer, so dass diese Schulen keine nennenswerten Ergebnisse hervorbrachten.
Erst mit der zweiten Londoner Weltausstellung im Jahre 1862 gelang es den Briten, gestalterisch neue Akzente zu setzen und zum französischen Kunsthandwerk aufzuschließen. Ein Grund dafür war das in England eingeführte Schulsystem, das innerhalb von zehn Jahren solche Früchte trug. Es folgte ab Mitte der 1860er Jahre eine Welle von Gründungen gewerblicher Fortbildungsinstitute, von denen sich viele am bereits 1852 gegründeten South Kensington Museum orientierten, dem späteren Victoria & Albert Museum, das eine Lehrsammlung vorbildlicher Gegenstände und eine angeschlossenen “School of Design“ besaß. Diese Sammlung war in erster Linie nicht für Kunstkenner gedacht, sondern für ein breites Publikum angelegt und daher gut geeignet, den Menschen Grundlagen des „richtigen“ Gestaltens zu vermitteln.

Grundstein für deutsches Design
In Preußen indes, konnte man solche Erfolge noch lange nicht feiern. Das Ergebnis der von Victoria beauftragten Studie war niederschmetternd, Preußen rangierte unter allen deutschen Ländern an letzter Stelle. Angeregt durch die glückliche Entwicklung in England, die ihr Vater Prinz Albert initiiert hatte, schlug die Kronprinzessin eine ähnliche Lösung vor und gab den entscheidenden Anstoß zur Gründung des »Deutschen Gewerbe-Museums zu Berlin«.
Als Verein organisiert, schufen darin Vertreter der verschiedensten Berufsgruppen ab 1868 einen Ort, der Museum und Unterrichtsanstalt in sich vereinte. Mit Unterricht und entsprechenden Vorbildersammlungen als Anschauungsmaterial sollte das Museum Handwerkern, Fabrikanten und Entwerfern eine zeitgemäße Ausbildung bieten. Es legte damit den Grundstein für viele deutsche Gestaltungsschulen, die bis heute in unseren Alltag wirken – eine der berühmtesten von ihnen sollte das Bauhaus werden.
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