Köpenick statt Kreta: Ein sommerlicher Ausflug zu „Flora Fauna Fabelwesen“
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Die diesjährige Sommerausstellung des Kunstgewerbemuseums im Schloss Köpenick widmet sich den zeitgenössischen Keramikerinnen Grita Götze, Heidi Manthey und Sonngard Marcks.
Text: Elena Then
„Grandios! Allein dieses Museum lohnt eine Fahrt nach Berlin. Wir haben viele Museen in der Welt gesehen. Dieses steht ganz oben!“, so liest man im Gästebuch von Schloss Köpenick. Ob man sich überhaupt noch in Berlin befindet, fragt man sich schon, wenn man durch Berlin-Köpenick fährt. Ein bisschen fühlt es sich an wie Urlaub, wenn man an der klangvollen Haltestelle „Schlossplatz Köpenick“ aus der Tram steigt. Links die Dahme mit stehpaddelnden Sportler*innen, rechts die Köpenicker Altstadt, wo sich Eisdiele an Café reiht. Das Urlaubsgefühl verschwindet auch nicht auf dem kurzen Weg zum Schloss Köpenick, wo die Ausstellung „Flora Fauna Fabelwesen“ lockt, die gefühlt schon beginnt, wenn man über die Holzbrücke inmitten von grünen Bäumen durch den steinernen Torbogen den Schlosspark Köpenick betritt.
Vor der imposanten Fassade stehen einige Tourist*innen, die die Architektur bewundern, der Rasensprenger verschafft Abkühlung an diesem schwülen Sommertag, hinten geht eine Gruppe bunt gewandeter Kinder im Gänsemarsch schnatternd vorbei. Im Schloss ist es ruhig, von einer prachtvollen Stuckdecke und freundlichen Mitarbeiter*innen empfangen geht es gleich los. Die diesjährige Sommerausstellung des Kunstgewerbemuseums im Schloss Köpenick widmet sich den zeitgenössischen Keramikerinnen Grita Götze, Heidi Manthey und Sonngard Marcks. Grita Götze und Sonngard Marcks haben in den 1980er-Jahren bei Heidi Manthey an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle (Saale) studiert, wo Manthey 30 Jahre zuvor selbst Studentin war. Malerei und Keramik gehen in ihren Werken eine Symbiose ein, so entsteht ein spannungsreicher Dialog zwischen Oberfläche und Gefäß, ein Wechselspiel zwischen zwei- und dreidimensionaler Wirkung. Blumen, Gräser, Insekten und Fabelwesen, jede Künstlerin hat dabei eine eigene Bildsprache entwickelt. Im Schloss Köpenick präsentiert das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen zu Berlin (Kuratorin Dr. Claudia Kanowski) nun auf drei Etagen eine Auswahl ihrer Werke.
Im ersten Raum erwarten die Besucher*innen Grita Götzes „Mikrokosmen“. Die Keramikerin schafft es meisterhaft, Dinge aus ihrer unmittelbaren Umgebung, seien es Steine, Unkraut, Gräser oder Insekten, illusionistisch wiederzugeben. In ihrer eigenen Technik aus Engoben (Angüssen aus gefärbten Tonmassen) erschafft sie eine verblüffende räumliche Tiefenwirkung, die selbst den kleinsten und scheinbar nebensächlichen Details eine Bedeutung beimessen. Überaus faszinierend ist auch die Gegenüberstellung von Entwurf und Keramik – eines so meisterhaft ausgeführt wie das andere.
Über den Tellerrand hinauswachsen
Vom hellen und freundlichen Flur biegt man ab in einen holzvertäfelten Raum: Die Raumkunst spielt eine tragende Rolle in der Ausstellung in Schloss Köpenick, hinter fast jeder Ecke wartet eine Überraschung. Auch in den spärlich beleuchteten Raum finden sich Götzes Keramiken, die sich so gut in das Raumgefühl einfügen, als wären sie schon immer dort gewesen: Zwei Vitrinen stehen da, jeweils drei Teller darin, die verziert sind mit kunstvoll miteinander verwobenen Figuren und Ranken. Geschnitzte Verzierungen wie diese Grotesken schmücken auch den Raum. Grita Götze kombiniert auf ihren Tellern Grotesken und illusionistisch gemalte Früchte, die anders als die streng symmetrischen Formen der italienischen Renaissance über den Tellerrand hinauswachsen.
Neben keramischer ‚Flachware‘ erwartet die Besucher*innen im Erdgeschoss auch eine fast weihnachtliche Überraschung: Götzes „Gartenskulptur mit roten Blüten und Eidechsen“. Wie ein Weihnachtsbaum steht sie neben einer Vitrine vor dem Fenster, deren Inhalt fast fließend in die Natur draußen übergeht.
Das erste Obergeschoss sollte man nicht hungrig betreten, denn dort warten Sonngard Marcks‘ Schaugerichte auf die Besucher*innen. Sowohl im Medium der Keramik als auch der Grafik widmet sich die Künstlerin der Darstellung von Naturmotiven. Dabei stellt sie sich bewusst in die Tradition des Barocks ein. Den Gedanken der Vergänglichkeit der Schöpfung übersetzt die Keramikerin in die Gegenwart und macht ihn sinnlich erfahrbar. Den Einstieg machen filigrane Zeichnungen von Sommerblumen, blickt man nach rechts, so wird der geneigte Disney-Fan sich jedoch bei „Die Schöne und das Biest“ wiederfinden. Oben ein großer Teller, schön wie aus Omas Porzellanvitrine, unten eine prall gefüllte Schale glänzender, orangeroter Marillen. Doch die Mitte ist es, die den Blick auf sich zieht: Neben einer Faltschalte mit Chinoiserien steht eine Kanne, die sich so dynamisch neigt, die geschwungenen Henkel wie ein Lächeln im Gesicht, man könnte fast meinen, sie fange jeden Moment an zu tanzen.
Eiersalat, Erdbeeren, Zitronen
Täuschend echt dargestellte Früchte versinnbildlichen seit jeher Wohlstand und Genuss, Füllhörner und Fruchtgirlanden zieren auch die barocken Stuckdecken und Deckenmalereien in Schloss Köpenick. Unter der prachtvollen Decke erstreckt sich ein sommerliches Buffet von Sonngard Marcks, ganz im Sinne des barocken Tafelschmucks, wo Früchte – echte genauso wie Nachbildungen aus Zucker –, Federn oder gar ganze Wildschweinköpfe die Tafel zierten. Sonngard Marcks‘ illusionistische Schaugerichte aus Fayence sind zumeist nicht minder appetitlich: Eiersalat, Erdbeeren, Zitronen und Ananas bieten sich in den Vitrinen dar. Und doch steckt eine tiefgründige Botschaft in ihren Werken: So zerbrechlich und fragil, wie die Keramik ist, so schützenswert ist auch der Reichtum der Natur. Dies betont die Künstlerin auch in den weniger schmackhaft aussehenden Schaugerichten: Eine Ananas ist bereits von Würmern bevölkert, Fliegen sammeln sich auf der Schale.
Ein luftiger Flur präsentiert die Dauerausstellung, da fällt, weit entfernt am Ende des Ganges, plötzlich eine weitere Ananas ins Auge. Ein prachtvoller blütenverzierter Kronleuchter, bekrönt von einer aus strahlend grünen Blättern erwachsenen Ananas – der Blick auf die Objekttafel verrät, dass es sich hierbei um ein Stück aus der Königlichen Porzellanmanufaktur aus dem 18. Jahrhundert handelt.
Das abschließende zweite Obergeschoss widmet sich Heidi Mantheys „Metamorphosen“. Die Künstlerin wird in ihren malerischen Dekoren und plastischen Figuren von Ovids Metamorphosen inspiriert, aus denen sie keramische Gefäße und Objekte komponiert. Eine Metamorphose geschieht auch, wenn Manthey fertige Produkte bemalt: Während ihrer Werksaufenthalte in den 1980er und 1990er Jahren in der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen und der Königlichen Porzellanmanufaktur Berlin (KPM) verwandelte sie historische Formen mit ihren Dekoren zu etwas Neuem. In der Ausstellung findet man die mit dem Rokokoporzellan Friedrichs des Großen gedeckte Tafel im prunkvollen Wappensaal von Schloss Köpenick im Dialog mit Mantheys „Schale mit Schlaufenhenkeln“, „Terrine mit Vögeln und geometrischen Motiven“ und „Vase mit Greifenhenkeln“.
Weibliche Flügelwesen und Echsen
Die Henkel sind der Teil der Keramik, an dem der*die Künstler*in sich am freiesten ausleben kann: Schon in der italienischen Majolika der Renaissance spielte der plastische Dekor eine wichtige Rolle, als Beispiel ist in Schloss Köpenick eine Kanne mit Echsenhenkel und Schildkrötenfuß ausgestellt. Daneben stehen Mantheys kunstvolle Objekte, an denen sich ebenfalls kleine Echsen als Griffe an den kunstvoll bemalten Kannen nach oben winden. Blickt man sogleich nach links, so lächelt eine „Sirene mit Kelch“ von Heidi Manthey ihre Betrachter*innen milde an. Waren im 17. Jahrhundert die plastischen Elemente, zu sehen am „Salznapf mit plastischen Sphingen“, noch reiner Zierrat, so erheben sie sich bei Manthey zum Mittelpunkt des Objektes. Weibliche Flügelwesen und Echsen sind in ihrem Oeuvre in vielfacher Variation anzutreffen, seien sie Gefäßstütze oder Kannenhenkel.
Der reine Gebrauchszweck ist bei Heidi Mantheys Keramiken zweitrangig, das Spiel mit historischen Vorbildern und der eigenen Fantasie steht im Vordergrund. Dies verarbeitet die Keramikerin an Helmkannen und Teedosen, Tafelaufsätzen, zinnglasierten Apothekerdosen bis hin zu einem Fliesentisch. In jedem Raum, in jeder Vitrine werden die Besucher*innen aufs Neue von brillant bemalten und einzigartigen Keramiken überrascht.
Überraschend ist auch die Vielfalt der Ausstellung in Schloss Köpenick. Ob begehbare Zimmergetäfel oder filigrane Porzellanobjekte, sogar historische Reste des mächtigen Nordost-Turms sind zu besichtigen. In diese Präsentation fügen sich die rund 80 Exponate der Sonderausstellung „Flora Fauna Fabelwesen“ wunderbar ein. Nicht nur wer Museuminsel und Kulturforum schon in- und auswendig kennt, sollte also einmal den Ausflug nach Köpenick wagen.
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