Tobias Renner entdeckte gleich zu Beginn seines Volontariats in der Generaldirektion der Staatlichen Museen zu Berlin ein ganz besonderes Objekt. In der Figur der thronenden ägyptischen Göttin Isis mit dem Horuskind im Bode-Museum erkennt er eine transkulturelle Verflechtungsgeschichte, die offenbart, wie sehr Kulturen und Epochen miteinander verwoben sind.
Text: Tobias Renner
Der Mythos um die ägyptische Göttin fasziniert mich bereits seit geraumer Zeit. Wie die Figur der Isis zwischen einer omnipotenten Muttergöttin und einer fürsorglich liebenden Gottesmutter oszilliert, ist aus meiner Perspektive erstaunlich. Zur Wahl als Lieblingsstück trägt überdies bei, dass Mythos und Ikonographie der Isis ein frühes Zeugnis kultureller Globalisierung sind. Auch auf der Museumsinsel kündigt sich das transkulturelle Moment der Isis an: dort findet man die Isis nämlich nicht nur im Ägyptischen Museum, sondern auch im Bode-Museum.
Der Name Isis bedeutet ursprünglich der „Thron“. Allerdings nahm Isis schon bald die Gestalt einer jungen Frau an, die nunmehr selbst auf dem Thron sitzt. Isis ist häufig mit einer Krone dargestellt, bisweilen auch mit anderen Insignien ihrer Macht: Einer Geierhaube, Kuhhörnern und einer Sonnenscheibe. Geierhauben waren dabei ein bezeichnender Kopfschmuck ägyptischer Königinnen. Indes gemahnen Kuhhörner und Sonnenscheibe an die ägyptische Muttergöttin Hathor, mit der Isis mitunter ikonographisch verschmolz. Die eminente Bedeutung der Isis speist sich insbesondere aus ihrer Rolle im Leben, Tod und der Wiederauferstehung des Königs Osiris. Letzteren begleitete sie als liebende Gemahlin und, nach dessen Tod, als trauernde Witwe. Osiris wurde von seinem Bruder Seth ermordet, der dessen zerstückelte Leiche im ganzen Land verstreute. Die trauernde und verzweifelte Isis begab sich alsdann auf die Suche nach den Überresten und umwickelte den Leichnam mit Binden. Daraufhin vermochte Osiris wiederaufzuerstehen und regierte in mumienförmiger Gestalt im Totenreich.
Neben ihrer Position als Gemahlin respektive Witwe des Osiris ist das Motiv der Mutterschaft bezeichnend für Isis. Den Zorn und Schrecken Seths befürchtend, zieht sie ihren Sohn Horus heimlich im Papyrusdickicht des Deltas groß. Der achtzig Jahre währende Kampf zwischen Horus und Seth beginnt, als Horus den Tod seines Vaters zu rächen versucht. Dass Horus als Nachfolger Osiris den ägyptischen Thron besteigt, will Seth wiederum konterkarieren. Nachdem der Zwist vor dem Göttergericht verhandelt wurde, verhilft die Zauberkunst der Isis Horus schließlich zum krönenden Sieg. Ikonographisch wird Horus häufig als das von Isis gestillte Kind abgebildet. Zuweilen ist er nackt und mit einer auffälligen Seitenlocke versehen, was als typisches Merkmal ägyptischer Kinderdarstellungen gilt. In der häufig vorzufindenden Uräusschlange an seiner Stirn manifestiert sich außerdem das Symbol des Königtums.
Ob ihrer Funktion im Leben, Tod und der Wiederauferstehung des Osiris sowie als Mutter des Horus avancierte Isis zur wichtigsten Göttin des ägyptischen Pantheons. Schutzamulette oder kleine Figuren der Göttin erfreuten sich großer Beliebtheit. Als Schutzgöttin der Toten, aber auch als große Zauberin und Beschützerin von Kindern wurde sie verehrt.
Die Verehrung der Isis blieb jedoch kein ein genuin ägyptisches Phänomen, sondern verbreitete sich bald über Ägypten hinaus und transgredierte in andere Reiche. Als die Ptolemäer, eine Dynastie aus Makedonien (Nordgriechenland), Ägypten beherrschten, fand die Göttin Eingang in deren Pantheon. Zwischen 332 v. Chr. bis ca. 300 n.Chr. kam es infolgedessen zur Genese eines neuen, von der griechischen Kunst inspirierten Isis Bilds. Obzwar bezeichnende Attribute beibehalten wurden, unterschied sich das neue Bild stilistisch mitunter eklatant vom Stil der Pharaonenzeit. Schließlich diente die Isis lactans (die stillende Isis) auch als Blaupause eines altbekannten Motivs, als da wäre die stillende Maria mit dem Jesusknaben. Die stillend Gottesmutter Maria geht auf hellenistisch-römische Darstellungen der Isis zurück und wird bis in die Gegenwart in zahlreichen Variationen künstlerisch verarbeitet. Aber auch Isis wurde teils rückwirkend christianisiert und an Maria angepasst: Die im Bode-Museum stehende Isis Figur beispielsweise wurde sukzessive adaptiert, weswegen sie ironisch als „Isis mit dem Jesuskind“ bezeichnet wird.
Die Figur der Isis mit dem Horuskind ist für mich ein Lieblingsobjekt, da sie das Bild einer erhabenen, liebenden Mutter suggeriert und eine beeindruckende Ruhe ausstrahlt. Gleichzeitig erkenne ich in der Isis als allmächtige, weiblich gelesene Göttin auch ein empowerndes Moment. Das Mächtige der Isis besteht für mich aber insbesondere in ihrer Rolle als kulturelle Grenzgängerin. Indem Isis sowohl im Bode-Museum als auch im Ägyptischen Museum erscheint, bricht sie mit dem Phantasma von Kulturen als in sich geschlossene Entitäten. Die Motivgeschichte der stillenden Isis ist nachgerade das frühe Zeugnis einer transkulturellen Verflechtungsgeschichte, in der sich Kulturen reziprok beeinflussten. Gerade angesichts aktueller rechtspopulistischer und kulturrassistischer Diskurse, die versuchen Narrative von „unserer“ und „eurer“ Kultur zu perpetuieren, können Objekte wie die Isis wichtige Gegenimpulse setzen. Ebendeshalb ist die Isis für mich Pionierin und Lieblingsobjekt zugleich.
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