Männer in der Fremde – Eine Ägypten-Expedition 1842
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Im Jahr 1842 startete von Alexandria aus eine internationale Expedition in die ägyptischen Regionen. Expeditionsleiter Richard Lepsius scharte im Dienste der Wissenschaft eine bunte Gruppe um sich, die gemeinsam allen Hindernissen trotzte.
Text: Anne Grischek
Man stelle sich vor, drei Jahre lang mit einem Team aus internationalen, mehrheitlich unbekannten Personen auf Reisen zu gehen. Das allein erfordert bereits Mut, und dann findet die Reise auch noch im Ägypten des 19. Jahrhunderts statt, in politisch unsicheren Verhältnissen, in einer fremden Kultur mit unbekannter Sprache und für Mitteleuropäer unter extremen klimatischen Bedingungen. Und doch wagt dies ein Team von zehn Personen mit preußischen, britischen und schweizerischen Wurzeln. Durch König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen finanziert und durch Mehmet Ali Pascha, den Gouverneur in Ägypten, unterstützt, kann die königlich preußische Expedition unter Leitung von Richard Lepsius in den Jahren 1842-1845 realisiert werden. Ziel der Reise ist eine wissenschaftliche Aufnahme antiker Denkmäler im Niltal, um die Geschichte und Kultur der Menschen im alten Ägypten und Nubien zu ergründen.
Im September 1842 trifft das Kernteam der Forschungsreise in Alexandria erstmals zusammen, bestehend aus verschiedenen Spezialisten.
Richard Lepsius (Abb. 1), Ägyptologe und Expeditionsleiter, hatte im Vorfeld Skizzen, Lagepläne und Berichte früherer Forschungsreisen genauestens studiert und ausgewertet. Er trug die Verantwortung für das Gelingen der Expedition und die Beantwortung der Forschungsfragen. Seine Ausbildung zum Sprachwissenschaftler, Archäologen und Historiker begann an der Universität Leipzig und führte über Göttingen nach Berlin. Hier kam er in Kontakt mit der neuen ägyptologischen Forschung und bekam die Möglichkeit, altägyptische Objekte in Museen in ganz Europa zu studieren. Die Planung und Durchführung der Forschungsmission im Niltal war ein Schlüsselmoment seiner akademischen Laufbahn, mit der er aber auch das spätere Berufsleben einiger anderer Expeditionsteilnehmer beeinflusste.
Eine bunte Gruppe
Georg Erbkam (Abb. 2) war nach seiner Ausbildung zum Architekten in Berlin in der Landvermessung und Bauinspektion tätig. Auf der Reise nahm er Maß und zeichnete topographische Geländepläne, Schnitte und Grundrisse von Gebäuden, die noch heute ein wichtiges Grundgerüst ägyptologischer Bauforschung darstellen. Unterwegs vertrat er oft Lepsius als Expeditionsleiter, wenn dieser zu anderen Orten reiste oder krank war.
Drei weitere Mitglieder, die Brüder Max und Ernst Weidenbach (Abb. 3+4) sowie Karl Franke, stammten wie Lepsius selbst aus Naumburg an der Saale. Max Weidenbach, der jüngere der Brüder, erhielt in Berlin von Lepsius persönlich Unterricht im Hieroglyphenzeichnen. Ernst Weidenbach hatte zum Zeitpunkt der Expedition bereits eine abgeschlossene Ausbildung zum Zeichner und Maler von der Kunstakademie Dresden vorzuweisen. Der Gipsformer Franke nahm auf Empfehlung von Lepsius‘ Vater teil, fiel im Verlauf der Expedition aber oftmals negativ durch „seine Rohheit, seinen Jähzorn“ auf, wie Lepsius in seinen Briefen vermerkte, und wurde im Mai 1844 schließlich vorzeitig nach Hause geschickt.
Einige Jahre zuvor, während einer Anstellung beim Instituto di Corrispondenza Archeologica in Rom, knüpfte Lepsius Kontakte, die jetzt das Expeditionsteam bereicherten. Der Theologe Heinrich Abeken (Abb. 5) begleitete die Reisegruppe ab Dezember 1842 als „Feldgeistlicher“ und Mediator in sozialen Belangen. Auch den Maler Jakob Frey, dessen Atelier in Rom Lepsius gut bekannt war, stellte er für die Reise an. Der spezialisierte Landschaftsmaler war nun der dritte professionelle Zeichner und Illustrator der Expedition. Ihre Aufgabe war es, die Dekorationen auf Grab- und Tempelwänden maßstabs- und originalgetreu zu dokumentieren und die Monumentalbauten in ihrer landschaftlichen Umgebung zu erfassen.
Einheimische Unterstützer
Als Jakob Frey im August 1843 den Forschungsaufenthalt wegen Krankheit abbrechen musste, wurde er durch Otto Georgi (Abb. 6) ersetzt. Der in Leipzig und Dresden ausgebildete Landschaftsmaler stieß im Mai 1844 zur Gruppe hinzu. Ihm ist die großformatige Zeichnung zu verdanken, die er Lepsius 1844 zum Geburtstag als „Gedächtnisstele“ überreichte, und die alle Expeditionsteilnehmer zu diesem Zeitpunkt abbildet (Abb. 7).
Zusätzliche Unterstützung kam vom britischen Bildhauer und Zeichner Joseph Bonomi, der Ägypten schon früher bereiste und sogar mehr als zehn Jahre dort wohnte. Seine dabei erworbenen Kenntnisse des Arabischen sowie der landeskundlichen Gegebenheiten waren ein wertvoller Zugewinn für die Expedition, auch wenn er das Team im Sommer 1843 bereits verließ. Auch der britische Architekt James Wild dokumentierte anfänglich Grabbauten für die Expedition, folgte dann allerdings seinem eigenen Interesse für islamische Architektur und verließ die Expedition im März 1843.
Die Mission hätte nicht gelingen können, wären die europäischen Forschungsreisenden nicht von einer ganzen Reihe weiterer Helfer und Bediensteten bewacht, bekocht und in der Verständigung mit Einheimischen im Alltag unterstützt worden. In den Briefen von Richard Lepsius und den Tagebüchern von Georg Erbkam und Max Weidenbach werden einige dieser Hilfskräfte erwähnt. So werden beispielsweise mehrere Männer mit Namen Mohammed genannt, die als Wächter der Expedition angestellt waren. Dazu kamen Diener, die Botengänge und Einkäufe für die Gruppe tätigten. Genannt ist ein Briefbote Ali, der wohl auch als Koch für die Gruppe arbeitete. Nach dessen Entlassung wurde ein Koch namens Syrian eingestellt (Abb. 8), der aber auch andere Aufgaben erledigte. So ist ihm unter anderem auch der Fund einiger alter Denkmäler zu verdanken, wie zum Beispiel der großen Stele von Semna, an der einstigen Südgrenze Ägyptens. Erbkam ließ sich wohl häufiger durch einen Diener namens Ibrahim bei der Geländevermessung begleiten und unterstützen (Abb. 9).
Als Kinder versklavt
Genauso wichtig für die Expedition waren die Dolmetscher (Dragomane), die den Tross begleiteten. Zu ihnen gehörten u.a. Eugen Rabascini für die Sprachen Arabisch, Italienisch und Französisch und Jussuf Sherebi für Arabisch und Italienisch. Fast noch wichtiger als die Dolmetscher war der Kawaß, ein von der Regierung gestellter türkischer Staatsbeamter, der als Ehrengarde die Sicherheit der Expedition erhöhen sollte und besonders für den Umgang mit der einheimischen Bevölkerung wichtig war. Er war dafür verantwortlich, die lokale Bevölkerung zum Treideln der Nilschiffe und zum Bewegen schwerer Denkmäler heranzuziehen, die dabei häufig unter Zwang direkt von der Feldarbeit weggeholt wurde.
Ein Kawaß war Ibrahim Aga, genannt „der Lange“, dem man nach Erbkams Einschätzung ansah, „dass er Haare auf den Zähnen“ hatte. Da er ein Alkoholproblem hatte, gerieten er und Lepsius öfter aneinander und Aga verließ die Gruppe 1844. Vor Ort wurden darüber hinaus ortskundige Führer und Kameltreiber für kurze Zeit angestellt. Auch ein Tierpfleger für die Versorgung der Esel und Kamele (und der lebenden Wildtiere) war Teil des Expeditionsteams.
In unserer heutigen Zeit besonders schwer nachzuvollziehen sind die Umstände, unter denen zwei weitere, sehr junge Männer Teil der Expedition wurden. Seit früher Kindheit als Sklaven gehandelt, wurden sie im Sudan Bedienstete der Männer. Zu Abeken gehörte ein solcher Diener namens Abdallah. Wie jener zu ihm kam, ist jedoch nicht bekannt. Zu Lepsius kam ein Junge unter dem Namen Rehan, der eigentlich Gabre Mariam hieß (Abb. 1). Seine Geschichte ist exemplarisch für das Schicksal vieler Kinder, die aus ihrer Heimat verschleppt und verkauft wurden. Gabre Mariam wurde Lepsius beim Besuch der nubischen Prinzessin Nasr als Gastgeschenk überreicht, nachdem dieser das erste Angebot einer Sklavin ablehnte. Es stellte sich heraus, dass der Junge von der sudanesisch-äthiopischen Grenze stammte und als Kind von Beduinen entführt und verkauft worden war. Lepsius investierte in eine Schulausbildung des Jungen in Kairo, nahm ihn anschließend mit nach Berlin und ließ ihn später zum Missionar ausbilden. Gabre Mariam zeigte jedoch Widerwillen gegen das Ausüben der ihm zugedachten Tätigkeit und wurde schließlich, immerhin mit Geld ausgestattet, 1853 in seine Heimat zurückgeschickt.
Geschichten wie diese zeigen, wie groß das Netzwerk von Personen war, die an der Expedition beteiligt waren, und wie unterschiedlich ihr Hintergrund war. Drei Jahre gemeinsam auf Reisen führen immer wieder zu Spannungen, schweißen aber auch zusammen. Als Team zu funktionieren, Wüstenklima, Krankheit, Diebstahl und logistischen Schwierigkeiten gemeinsam zu trotzen erforderte von jedem einzelnen Gruppenmitglied sicher viel Rücksichtnahme, gegenseitigen Respekt, Einfühlungsvermögen, Ausdauer und manchmal auch Überwindung eigener Überzeugungen. Dennoch arrangierten sich die Männer miteinander, feierten gemeinsame Feste und beschenkten sich gegenseitig (Abb. 10). Sie achteten das Können der anderen.
Viele der europäischen Mitglieder zehrten ein Leben lang von den Erfahrungen dieser Reise, indem sie weiterhin mit Lepsius zusammenarbeiteten oder als Maler mit Orientmotiven ein Auskommen fanden. Auch einige der Bediensteten profitierten von ihrer Arbeit für die Expedition. Sie erhielten einen guten Lohn und finanzielle Unterstützung für Fortbildungen als Dragomane. Die Referenzen durch Lepsius qualifizierten sie für solche Tätigkeit bei zukünftigen ausländischen Reisenden und garantierten einen guten Lebensunterhalt im aufkommenden Tourismus.
Häufig unfreiwillig und unter schwierigen Bedingungen für harte Arbeiten requiriert, trugen auch die zahlreichen, nicht namentlich genannten, lokalen Anwohner zum Gelingen der Expedition bei. Ihnen allen gebührt in Erinnerung an die Errungenschaften der Forschungsreise für die Ägyptologie unsere Anerkennung und unser Dank.
Die Geschichte der Ägyptenexpedition von 1842-1845 steht im Mittelpunkt der Sonderausstellung „Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842-45“ des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung, die vom 15.10.2022 bis 7.3.2023 im Neuen Museum gezeigt wird. Alle weiteren Infos dazu auf der Webseite zur Ausstellung.
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