Magie und Wissenschaft: Mesopotamische Schutzzauber gegen Krankheiten
Lesezeit 4 Minuten
Im antiken Mesopotamien führte man Krankheiten auf den Zorn
der Götter zurück – dennoch war das Prinzip der Ansteckung offenbar
bekannt, wie Keilschrifttafeln aus dem Vorderasiatischen Museum im
Pergamonmuseum zeigen.
Text: Juliane Eule
Das Coronavirus legt die Welt lahm – doch aus Keilschrifttexten wissen wir, dass Epidemien auch in Mesopotamien mit seinen dicht besiedelten Städten nicht selten waren. Wir haben uns im Vorderasiatischen Museum gefragt, ob sich die Menschen des Altertums schon der hohen Ansteckungsgefahr von Viren bewusst waren. Die Zeilen einer sogenannten lipšur-Litanei (lipšur „er möge es lösen“), die im Verlaufe eines Heilungsrituals zu rezitieren war, lassen darauf schließen. Dabei fasste der Beschwörer den Erkrankten an der Hand und wandte sich in dessen Namen an die Götter mit der Bitte um Lösung des Banns. Der Text ist durch sechs neuassyrische Tontafeln aus Ninive (Irak) und zwei weitere aus dem sog. Hauses des Beschwörungspriesters in Assur (Irak), die sich heute im Vorderasiatischen Museum Berlin befinden, bekannt. Hier ein Auszug:
„Mag er das Brot einer Person gegessen haben, die unter einem Bann steht; mag er das Wasser einer Person getrunken haben, die unter einem Bann steht, (…)! Mag er das getrunken haben, was eine Person, die unter einem Bann steht, übriggelassen hatte; mag er mit demjenigen, der eine Schuldenlast auf sich geladen hat, gesprochen haben, (…)! Mag er das Brot einer Person gegessen haben, die eine Schuldenlast auf sich geladen hat; mag er das Wasser einer Person getrunken haben, die eine Schuldenlast auf sich geladen hat!“
Die
Babylonier und Assyrer glaubten, dass die Ursache einer Erkrankung im
göttlichen Zorn lag. Offensichtlich konnte man sich aber auch durch
direkten Kontakt bzw. Speise und Trank einer Person, die den göttlichen
Schutz verloren hat, anstecken.
Doch wie konnte man verhindern,
dass eine Krankheit überhaupt erst ausbricht? Hierfür sind verschiedene
Schutzmaßnahmen belegt. So sprach ein Heilkundiger, bevor er sich auf
den Weg zu einem Patienten machte, zunächst eine Beschwörung für sich
selbst und rieb sich die Hände mit einer speziellen, aus einer
Reinigungspflanze, Sirup und Schmalz hergestellten Salbe ein. Hier
verbinden sich – wie so oft im Zweistromland – Magie und Wissenschaft.
Während die Beschwörung eine magische Wirkung haben sollte, sorgte das
Einreiben der Hände sicher auch für eine Reinigung derselben. Was –
worauf wir in diesen Tagen so oft hingewiesen werden – das Risiko einer
Ansteckung senken kann.
Zum Schutz vor Pest und Seuche brachten
die Menschen zudem bestimmte Ton- oder Steintäfelchen mit Schutzformeln
als Amulett am Hauseingang an. Auf einigen dieser Schutzamulette sind
Auszüge des Erra-Epos niedergeschrieben. Dieses Epos erzählt von den
katastrophalen Auswirkungen des Wütens des Gottes Erra, der die Welt mit
Pest, Krieg und Krankheiten überzieht. Am Ende des Textes heißt es:
„Dem Haus, in dem diese Tafel platziert wird, soll, auch wenn Erra verärgert und die Sieben (Dämonen) mordlustig sind, das Schwert der Pestilenz nicht nahekommen, sicher soll es sein.“
Neben
Abschriften oder Auszügen des Epos konnte auch eine Anrufung der
Protagonisten des Textes als Schutzgottheiten auf einem Amulett den
Schutz herbeiführen. Die folgenden Zeilen sind u. a. auf einem
neuassyrischen Textamulett aus Assur (Irak) erhalten:
„O Marduk, Weiser der Götter, Erra, Held der Götter, Išum, Herold der Straße, Die sieben Götter, Helden ohne Gleichen, Ich, (…), Sohn seines (persönlichen) Gottes, bin Euer respektvoller Diener. Bei Epidemien, Katastrophen und Pestilenz, dem Morden des Erra, der Seuche, dem starken (…) des Erra, erbarmt Euch meiner, und dann will ich Euren Lobpreis dem Volk der Schwarzköpfigen (d.h. der Mesopotamier) bis ans Ende der Tage singen.“
Wie
genau sollte der Schutzzauber der Amulette nun wirken? Ein
umherstreifender Gott, der am Haus vorbeikam, sollte in dem Amulett ein
Gebet, eine Bitte um Verschonung erkennen und so besänftigt werden.
Darüber hinaus konnten Amulette anstelle des Menschen permanent Gutes
für den Gott bewirken und waren daher eine Art ständiges Schutzgebet.
Dieses praktische Prinzip ist uns auch aus anderen Kontexten gut
bekannt, auch im Tempel stellte man kleine Beterstatuetten vor den
Götterstatuen auf, damit sie anstelle des Stifters permanent zur
Gottheit beteten. Eine enorme Zeitersparnis! Die besondere Form der
Täfelchen lenkte schließlich die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den
magischen Text. Es handelte sich also vermutlich um eine Kombination aus
Anbringungsort, Inhalt und Form des Textes.
Ob einen die Götter dank der Schutzmaßnahmen wohl tatsächlich verschonten?
Dass die Antike farbenfroh war, ist in der Forschung schon lange Konsens. Doch welche der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind einem breiten… weiterlesen
Das Plündern archäologischer Grabungsstätten und der illegale Verkauf der Objekte im Ausland sind ein weltweites Problem. Sven Stienen sprach darüber… weiterlesen
Unsere Webseite verwendet Cookies. Diese haben zwei Funktionen: Zum einen sind sie erforderlich für die grundlegende Funktionalität unserer Website. Zum anderen können wir mit Hilfe der Cookies unsere Inhalte für Sie immer weiter verbessern. Hierzu werden pseudonymisierte Daten von Website-Besuchern gesammelt und ausgewertet. Das Einverständnis in die Verwendung der Cookies können Sie jederzeit widerrufen. Weitere Informationen zu Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung und zu uns im Impressum.
Funktional Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.
Kommentare