Mythische Figuren – Jesus Christus und der Chibinda Ilunga im Bode-Museum
Zwei männliche Skulpturen stehen einander im Bode-Museum gegenüber: Die eine leidet Schmerzen und erträgt diese heldenhaft, die andere verkörpert Selbstbewusstsein und männliche Attribute. Beide Figuren sind in ihrem jeweiligen Kulturkreis Helden, könnten jedoch kaum unterschiedlicher sein.
Text von Karolin Korthase
Ein breitschultriger und muskulöser Mann sitzt mit gebeugtem Haupt auf einem Stein. Blut rinnt über sein Gesicht und seinen Oberkörper. Voller Schmerz blickt er zu Boden und scheint nur mit großer Mühe seinen Kopf halten zu können. Eine Dornenkrone verdeutlicht, dass es sich hier um eine Darstellung von Jesus Christus handelt.
Gefertigt wurde die „Christus im Elend“ genannte Skulptur um 1525 von Hans Leinberger. Der Bildhauer stammt aus Süddeutschland und ist für seine Arbeiten aus Holz, Metall und Stein bekannt. Sein fast schon herkuleshaft anmutender Christus strotzt zwar, zumindest was die körperlichen Attribute angeht, vor Vitalität; er trägt aber gleichzeitig die Last der gesamten Menschheit auf seinen Schultern. Als leidender Held ist er die wichtigste Identifikationsfigur für Christen, in deren Vorstellung er sich für die Erlösung der Menschheit geopfert hat.
Im Rahmen der Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ bekommt der „Christus im Elend“ einen Helden aus dem afrikanischen Kontext an die Seite gestellt, der zwar ebenso kraftvoll, aber ganz und gar nicht leidend daher kommt.
Im Gegensatz zum Jesus von Leinberger, der abgesehen von einem goldfarbenen Tuch und der Dornenkrone komplett nackt ist, besticht Chibinda Ilunga, so der Name der afrikanischen Figur, durch eine Vielzahl von Insignien, die seine Stärke demonstrieren. Gewehr, Patronentasche und Messer stehen für sein Können als Jäger. Stab, Schildkrötenpanzer und Antilopenhorn gelten als Glücksbringer. Ein langer Bart und eine opulente Kopfbedeckung weisen ihn als König aus.
Legenden zufolge ist Chibinda Ilunga aus der Liebe zwischen der Lunda-Königin Lweji und dem Luba-Jäger Chibinda hervorgegangen. Er gilt als Begründer der Lunda-Dynastie, die um 1600 entstand, und ist eine wichtige Identifikationsfigur der angolanischen Ethnie der Chokwe. Die Chokwe leben heute vor allem im Nordwesten Angolas und im Südwesten der Demokratischen Republik Kongo. Um die Bedeutung zu verstehen, die Chibinda Ilunga für sie hat, muss man einen Blick zurück ins 19. Jahrhundert werfen.
Afrikanische Güter erlangten zu jener Zeit eine größere Bedeutung auf dem Weltmarkt; zudem wich der grausame Sklavenmarkt schrittweise legitimen Handelsbeziehungen. Diese Bedingungen begünstigten den Aufstieg der Chokwe, die zuvor meist in verstreuten Jägergruppen lebten und vor den grausamen Sklavenjagden flüchteten.
Durch den Handel mit Elfenbein und Bienenwachs kamen die Chokwe zu Ruhm und Wohlstand. Die Berufung der zahlreichen Oberhäupter auf den gemeinsamen mythischen Helden Chibinda Ilunga und auf die von ihm begründete Lunda-Dynastie sorgte für ein starkes gemeinsames Identifikationsgefühl und garantierte vertrauensvolle Handelsbeziehungen.
Weltweit sind nur etwa ein Dutzend Skulpturen bekannt, die den mythischen Helden des Lunda-Königreichs darstellen. Die Figur, die aus dem Bestand des Ethnologischen Museums stammt, gehört zu den bekanntesten Darstellungen. Und sie verrät viel über das Verständnis der Chokwe von männlichem Heldentum. So drücken die überdimensionierten Hände und Füße von Chibinda Ilunga eine große Handlungsbereitschaft und viel Tatendrang aus. Ein stoischer Gesichtsausdruck unterstützt die kraftvolle Präsenz der Figur.
Wie anders mutet hingegen das christliche Verständnis von Heldentum an, das sich in den unzähligen Darstellungen von Jesus Christus manifestiert. Das Heldenhafte ist hier untrennbar mit einer großen Leidensfähigkeit, einem Martyrium, verbunden. Zwar besticht auch Leinbergers „Christus im Elend“ durch starke maskuline Züge und durch ein kraftvolles Äußeres. Seine wirkliche Heldenhaftigkeit wird von seinen Anhängern aber vor allem darin gesehen, dass er bereit war zu leiden.
Die Ausstellung „Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum“ läuft bis auf Weiteres im Bode-Museum und ist Teil des Transformationsprozesses „Auf dem Weg zum Humboldt Forum„.
Kommentare