Sammlungsforschung: Das MEK arbeitet Objektbestände aus Südosteuropa auf
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Das Museum Europäischer Kulturen hält auch nach dem Weggang der außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem die Stellung – mit spannenden Ausstellungen und seit neuestem auch mit einem Projekt zur Aufarbeitung der Sammlungsbestände aus Südosteuropa. Ein Werkstattbericht von Matthias Thaden.
Text: Matthias Thaden
Tief im Innern des Museums Europäischer Kulturen (MEK), hinter vielen Gängen und einer mehrfach gesicherten Feuerschutztür, befindet sich die sogenannte Europa-Sammlung. Lange Zeit gehörte sie zum heutigen Ethnologischen Museum, bis sie im Jahr 1999 das neugegründete MEK übernahm. 1935 gegründet, sollten hier unter dem Afrikanisten Hermann Baumann in systematisch-vergleichender Manier Objekte aus Europa zusammengetragen werden. Bis heute stellen Ost- und Südosteuropa dabei einen der räumlichen Schwerpunkte dar.
Im HANOMAG durch den Balkan
Dass das MEK bis heute eine der größten Sammlungen an Alltagsgegenständen aus dem südöstlichen Europa beherbergt, ist vor allem auf die persönliche Initiative eines Mannes zurückzuführen. Im Jahr 1934 unterbreitete der in Krefeld geborene Gustav-Adolf Küppers dem Museum den Vorschlag, sich für mehrere Monate auf eine Sammlungsreise zu begeben. Zunächst hatte er vorgehabt, das gesamte Gebiet vom Balkan zum Baltikum zu befahren. Dieses Großprojekt wich jedoch schon bald dem bescheideneren Ziel, sich für das Museum ausschließlich nach Südosteuropa zu begeben. Als Küppers bei seiner ersten Reise an einer von der jugoslawischen Agentur „Putnik“ organisierten Rundfahrt teilnehmen konnte, war er vollends von der Region eingenommen.
Insgesamt fünf Mal bereiste Küppers in den folgenden Jahren die Region. Als Kriegsinvalide mit nur einem Bein unternahm er diese Reisen mit dem Auto. Von der Firma HANOMAG erhielt er dafür einen Wagen mit einer eigens für ihn angefertigten vollautomatischen Schaltung. Die Firma versprach sich von den Reisen durch unwegsames Terrain wohl auch einen Imagegewinn. Im Jahr 1937 gab sie eine Broschüre mit aufwändig gestalteten Hochglanzaufnahmen von Küppers‘ Fahrt heraus.
Pläne für weitere Balkan-Aufenthalte wurden durch den Zweiten Weltkrieg obsolet, der auch Küppers‘ letzte Reise vorzeitig beendete. Bis dahin hatte er, von Albanien und Griechenland abgesehen, nahezu jede Region auf der Balkanhalbinsel mehrfach besucht. Hier sammelte er – ohne Sprach- und anfangs auch ohne Ortskenntnisse – Objekte, die vor allem die ländlichen Arbeitswelten und Festtagsbräuche des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie die damit verbundenen Riten dokumentieren sollten. Mit dabei waren ab 1936 seine Kinder Heimtraut und Reinhart. Sie unterstützten ihn auch bei seinen anderen Aufträgen. So nahm er für das Phonogrammarchiv (heute am Ethnologischen Museum) traditionelles Liedgut auf. Zudem nahm er Fingerabdrücke der örtlichen Bevölkerung. Dieser Auftrag im Dienste der nationalsozialistischen Rassenpolitik, den Küppers für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik durchführte, ist leider kaum rekonstruierbar – die Akten des Instituts wurden im Krieg zerstört.
„Relikte vergangener Zeiten“
Für Küppers war der Balkan ein „weißer Fleck in den Sammlungen der Völkerkunde“, den es zu füllen gelte, wie er 1970 in seinem Beitrag „Leben im Sturm der Zeit“ im Jahrbuch der Dobrudschadeutschen schrieb. Als Anhänger der Jugend- und Siedlungsbewegung der Zwischenkriegszeit mit ihrer Verklärung des „Einfachen“, „Volkstümlichen“ und „Authentischen“ faszinierte ihn vor allem die vermeintliche „Ursprünglichkeit“ der Region: So sei hier, wie er in einem seiner zahlreichen während und nach den Reisen verfassten Texte formulierte, eine „abgekapselte, primitive Lebensbasis in fast ursprünglicher Gestalt“ anzutreffen, die jedoch akut von „Zersetzung und Vernichtung“ bedroht sei. Das Relikt vergangener Zeiten zu sammeln und so gleichsam für die Nachwelt zu bewahren – diese Absicht des Küpperschen Sammelns war typisch für die „Rettungsethnografie“ jener Zeit und war auch erklärtes Ziel in der Abteilung Eurasien am Museum für Völkerkunde. Der Abteilungsleiter Baumann betonte während Küppers‘ erster Reise immer wieder, er sei an „guter alter Volkskunst und altem Hausgerät“ interessiert, nicht an dem „minderwertigen“ „Exportkitsch“, den Küppers zunächst erworben habe. Schon am Ende der ersten Reise jedoch war Baumann „restlos befriedig[t]“. Als Küppers nur wenige Monate nach seiner Rückkehr erneut aufbrach und eine „vorzügliche Huzulen-, Gagausen-, Ruthenen- und Rumänensammlung für relativ wenig Geld“ mitbrachte, war man vonseiten des Museums endgültig überzeugt. Baumann half bei der Finanzierung der folgenden Reisen und übernahm den Großteil der dabei gesammelten Objekte für die Sammlungen des Museums.
Hiervon zeugen an die 3600 Alltagsgegenstände und etwa 1600 Fotografien, die auf Küppers‘ Sammlungen zurückgehen und sich bis heute im MEK befinden. Einige der Objekte wurden bereits ausgestellt – eines steht sogar in der derzeitigen Sammlungspräsentation „Kulturkontakte. Leben in Europa“. Abgesehen von Auslagerungen während des Zweiten Weltkriegs haben sie das Depot jedoch nie verlassen. Sie sind zudem nur sehr rudimentär dokumentiert und Informationen über ihre Herkunft wurden bislang kaum zusammengetragen.
Detaillierte Aufarbeitung der Sammlung
Seit Oktober 2023 hat das MEK mit der Aufarbeitung dieses Teils seiner reichhaltigen Sammlung begonnen. Am Ende des auf zwei Jahre angelegten Projekts soll ein großer Teil der Objekte detailliert erfasst und mit hochauflösenden Fotos in der Museumsdatenbank sowie online über die Objektsuche der Staatlichen Museen zu Berlin recherchierbar sein. Konkret bedeutet das: Jedes Objekt, das Küppers ans Museum schickte, muss in den Depots gesucht und genau begutachtet werden, bevor es in seinem Zustand und mit seinen Charakteristika beschrieben wird. Wichtigste Grundlage hierfür sind die Informationen aus der museumsinternen Überlieferung. Diese umfasst die Inventarbücher und Karteikarten, die für jedes Objekt angelegt wurden, die Transportlisten sowie die Sammlungsakten und Korrespondenzen zwischen Küppers und dem Museum, die sich im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin sowie im Archiv des Ethnologischen Museums befinden. Darüber hinaus wird eine Verknüpfung der von Küppers zusammengetragenen Objekte mit seinen Fotografien angestrebt. Gebrauchs- und Erwerbungskontexte sowie eventuell beteiligte Personen, so die Hoffnung, können so sichtbar gemacht werden und erlauben eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Objekten.
Die Erfassung und die Erforschung von Küppers‘ Balkan-Sammlung sind für das MEK wichtige Schritte in Richtung einer erfolgreichen Erforschung und Präsentation seines gesamten Bestandes. Als faszinierendes Zeugnis von Arbeits- und Alltagswelten im späten 19. Jahrhundert ist eine vergleichbare Sammlung außerhalb Südosteuropas – vom Völkerkundemuseum in Wien abgesehen – kaum zu finden. Es ist deshalb auch wichtig, diese Objekte für eine breitere Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nur auf diesem Weg können etwa auch kollaborativ angelegte Projekte mit Kolleg*innen aus der Region angestoßen werden, um die Objekte und ihre Geschichten künftig auch gemeinsam zu erforschen.
Dem MEK geht es jedoch nicht nur um das Beschreiben und Erfassen, sondern auch um die Rekonstruktion der konkreten Sammeltätigkeit und eine Einordnung ihrer ideologischen und fachgeschichtlichen Kontexte. „Wir bemühen uns“, so die MEK-Direktorin Elisabeth Tietmeyer, „die Objekte stärker quellenkritisch zu lesen und wollen auch die Selektivität musealer Sammlungen betonen: In welchen politischen Rahmen bewegten sich ihre Urheber? Welche Interessen und Intentionen hatten sie? Und welche Inkonsistenzen und Leerstellen ergeben sich dadurch?“
Sammeln im Dienste des Nationalsozialismus?
Ein solcher Zugang beinhaltet nicht nur die detaillierte Beschäftigung mit den Objekten selbst – ihrer Verwendung, Bedeutung und Verbreitung – sondern auch mit den beteiligten Personen. Ihre Motivationen und persönlichen Hintergründe sind für eine Beurteilung ihres Handelns zu berücksichtigen. Es ist insofern ein ausgesprochener Glücksfall, dass Küppers sehr viel schrieb und publizierte und er in seinen Texten bis weit nach dem Krieg immer wieder auf seine Reisen zu sprechen kam.
Diese Publikationstätigkeit wirft zugleich lange Schatten auf die Sammlung: Küppers, der schon in den 1920er Jahren völkische Positionen vertrat, zeigte sich in vielen seiner Texte als überzeugter Rassist. So empfahl er in einem seiner Fahrtenberichte für das Magazin „Volk und Rasse“ 1938 unter anderem „in den Zigeunern einen Fremdkörper, wie in den Juden, zu sehen. Klare und eindeutige Vorkehrungen müssen getroffen werden, um sich gegen die von der Zigeunergefahr drohende Ansteckung zu feien.“ Seine neugewonnene Regionalexpertise konnte er ab 1939 dafür nutzen, eine vergleichsweise hohe Stellung im Wehrwirtschaftsstab beim Oberkommando der Wehrmacht für das Referat „Balkan“ zu ergattern, die er bis 1945 innehatte. Auch diese Tätigkeit während des Krieges, die unmittelbar aus seinen Sammlungserfolgen resultierte, zeigt, wie wichtig und notwendig eine neue Bewertung seiner Reisen und der dabei gesammelten Objekte ist.
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